Waghalsiger Husarenstreich auf Kreta

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Wie man einen General stiehlt: Patrick Leigh Fermor entführte 1944 den Befehlshaber der deutschen Besatzungsmacht von Kreta nach Ägypten. Den Bericht fand man erst im Nachlass des britischen Schriftstellers, der als Doyen der europäischen Reiseliteratur gilt.

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Wie man einen General stiehlt: Patrick Leigh Fermor entführte 1944 den Befehlshaber der deutschen Besatzungsmacht von Kreta nach Ägypten. Den Bericht fand man erst im Nachlass des britischen Schriftstellers, der als Doyen der europäischen Reiseliteratur gilt.

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Heuer wäre er 100 Jahre alt geworden, der vor vier Jahren in seiner englischen Heimat verstorbene Doyen der europäischen Reiseliteratur Patrick Leigh Fermor. Den Großteil seines langen Lebens hat "Paddy", wie ihn alle nannten, in seinem geliebten Griechenland verbracht, über das er etliche schöne Bücher geschrieben hat. In Griechenland wurde ihm auch die größte Verehrung entgegengebracht, dieser verlockenden Reisewerke wegen, mehr aber noch ob seiner tollkühnen Taten als freiwilliger Widerstandskämpfer an der Seite der griechischen Armee im Krieg gegen die deutsche Besatzung 1944.

"An derselben Quelle getrunken"

Das Husarenstück dabei war die Entführung des deutschen Oberbefehlshabers Heinrich Kreipe im von der Wehrmacht beherrschten Kreta. Fermor hatte als Major der Royal Army die waghalsige Aktion zusammen mit seinem britischen Kameraden William Stanley Moss geplant, um die kretischen Partisanen in ihrem Widerstand gegen die brutale deutsche Besatzung zu unterstützen. Zugleich sollte dadurch die Kampfmoral der Deutschen gründlich unterminiert werden. Die Entführung des Generalmajors glückte wegen der sorgfältigen Erkundung der Fahrgewohnheiten Kreipes, vor allem aber wegen der überragenden Ortskenntnis der Partisanen. Am 26. April 1944 stoppten sie auf der Straße nach Herakleion die Limousine des Generals und nahmen ihn gefangen. Während sich Moss mit Kreipe und etlichen Partisanen ins Gebirge unterhalb des Berges Ida schlug, markierte Fermor in deutscher Uniform auf dem Sitz neben dem Fahrer den deutschen Oberbefehlshaber. Mit dieser List schaffte er es, 22 deutsche Kontrollstellen zu passieren. Der Wagen wurde mit der schriftlich hinterlegten Botschaft zurückgelassen, einzig eine britische Kommandoeinheit habe den Wehrmachtsgeneral entführt. So versuchte man, die einheimische Bevölkerung vor Nachstellungen zu schützen.

Länger als zwei Wochen dauerte die Flucht der Partisanen mit Fermor und dem entführten General quer durch das unwegsame Gebirgsgelände in Zentralkreta, um in den Südwesten der Insel zu gelangen. Berühmt wurde die Episode, als der deutsche General eines Morgens beim Anblick der schneebedeckten Gipfel des Ida-Bergmassivs - in der antiken Mythologie der Geburtsort des Göttervaters Zeus - auf Lateinisch die erste Zeilen von Horaz' "Ode an Thaliarchus" zitierte ("Vides ut alta stet nive candidum Soracte") - worauf der in klassischer Bildung sattelfeste Brite Fermor mit den folgenden Versen einsetzte: "Nec jam sustineant onus/silvae laborantes geluque/Flumina constiterint acuto". ("Siehst du, wie hell glänzend im hohen Schnee/Der Berg Soracte steht,/Kaum noch unter der Flockenlast/Der Wald sich aufrichtet, und von scharfer/Kälte der Bach vereist ist?") Nicht ohne Genugtuung bemerkten beide, so schrieb Fermor später, dass sie "an derselben Quelle getrunken hatten".

Mit Legenden aufräumen

Ständig von der Gefahr bedroht, von den deutschen Suchtrupps entdeckt zu werden, erreichte die Gruppe mit dem gekidnappten General schließlich die Südküste, von wo sie mit einem britischen Schiff nach Ägypten übersetzten. Der Wehrmachtsgeneral wurde später in die Kriegsgefangenschaft nach Kanada überstellt. Noch in der Schlussphase war das Unternehmen beinahe daran gescheitert, dass keiner der Entführer das Morse-Alphabet kannte, um das Boot in den Hafen von Rodakino zu locken -und dass sie zu stolz waren, ihr Entführungsopfer danach zu fragen.

Zu Lebzeiten äußerte sich Patrick Leigh Fermor nur spärlich über sein kretisches Abenteuer. Umso überraschter war man, als sich in seinem Nachlass der vorliegende Bericht aus seiner Feder fand, der nicht zuletzt mit etlichen Legenden aufräumt, die sich seither auf der Insel um seinen tollkühnen Einsatz an der Spitze einheimischer Partisanen eingenistet haben.

Liest man seinen so anschaulich und treffend formulierten Bericht nun, 70 Jahre danach, erscheint einem die Entführung als spätromantisches Mantel-und-Degen-Stück auf den sehr britischen Spuren Lord Byrons auf griechischem Boden. Nur dass Fermor, im Unterschied zu seinem schottischen Landsmanns, seinen Einsatz für die Freiheit der Hellenen nicht mit dem Leben bezahlen musste. Wohl aber mussten das jene kretischen Dorfbewohner, die den unweigerlich folgenden Vergeltungsmassakern der Deutschen zum Opfer fielen. Der später, lang nach 1945, zuweilen vorgebrachte Vorwurf, man habe die deutsche Besatzung so kurz vor Kriegsende unnötig provoziert, entspricht dem Besserwissen nach Kriegsende: im April 1944 war dieses Ende im Südosten Europas noch keinesfalls als gesichert auszumachen.

Berichten, was man gesehen und gehört hat: das war die Maxime des griechischen Geschichtsschreibers Herodot, der zugleich als Ahnherr der Reiseschriftsteller gelten kann. Fermor steht eindrucksvoll in dieser Tradition. Den Durchbruch hatte er in den Sechzigerjahren mit der viele Leser begeisternden Schilderung seiner Fußreise als junger Mann von Holland bis zum Schwarzen Meer ("Zeit der Gaben", "Zwischen Wäldern und Wassern"). Hier und in seinen nachfolgenden Landeserkundungen ("Mani", "Rumeli") entfaltete er seinen unnachahmlichen atmosphärischen Stil, der auch in "Die Entführung eines Generals" anklingt: "Die Klippenstufen unter uns waren ein Dschungel aus Thymian, Sonnenröschen, Heide, Myrten, Erdbeerbäumen und Eisenkraut. Wer hätte all das, die Nachtigallen, die Laute von den Schafweiden, die Rufe der Hirten von Berg zu Berg, das Hallen von Schüssen in den menschenleeren Schluchten, gegen Straßenbahnglocken und Palisanderbäume tauschen wollen, gegen Aaskrähen und Muezzins?"

Gerade in diesem Sommer unseres Missvergnügens tut es wohl, in seinen Büchern "die Griechen selbst" zu suchen, wie es sich der Autor in "Rumeli" vorgenommen hatte :"Nicht die Griechen, die vor zweieinhalbtausend Jahren gelebt haben, auch nicht die Griechen, wie sie sein sollten oder eines Tages sein werden, sondern die Griechen, wie sie sind."

Die Entführung des Generals

Von Patrick Leigh Fermor, Übers. von M. Allié und G. Kempf-Allié, Dörlemann 2013, 304 S., geb., € 25,60

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