"Wagner der Operette"
Zum 50. Todestag von Franz Lehar, Meister des silbernen Zeitalters der Wiener Operette.
Zum 50. Todestag von Franz Lehar, Meister des silbernen Zeitalters der Wiener Operette.
Seine Melodien gingen um die ganze Welt. Die Meinungen über Franz Lehar, dessen Todestag sich zum 50. Mal jährt, gingen jedoch weit auseinander: "In ein paar Takten von mir liegt mehr Musik als in einer ganzen Leharschen Operette", knurrte Richard Strauss, während Giacomo Puccini dem österreichischen Komponisten mit den Worten "teurer und berühmter Maestro" huldigte. Interessanterweise schaute sich Franz Lehar sowohl von Puccini als auch von Strauss einiges ab. Nicht zuletzt seine meisterhafte, an der Oper orientierte Instrumentierungstechnik macht Lehar - rückblickend - zum herausragendsten Vertreter der silbernen Ära der Wiener Operette. Noch heute steht er mit unvergeßlichen Werken wie "Die lustige Witwe" und "Das Land des Lächelns" auf den Spielplänen in aller Welt.
Um die Jahrhundertwende endete die erste, die goldene Ära der Wiener Operette: 1898 wurde mit Richard Heubergers "Der Opernball" das letzte bedeutende Werk dieser musikgeschichtlichen Epoche uraufgeführt, im Jahr darauf starben Johann Strauß und Carl Millöcker. Die Operette verflachte, sie wurde zum vorstädtischen Vergnügen, wie der Wiener Musikberichterstatter Herman Ullrich analysierte. In dieser Tradition wuchs der am 30. April 1870 als Sohn eines Militärkapellmeisters in Komorn (Ungarn) geborene Lehar auf. Anfangs trat er beruflich in die Fußstapfen seines Vaters und es gelang ihm, seine ersten Operetten am Theater an der Wien unterzubringen.
Mit der "Lustigen Witwe" gelang ihm 1905 der Durchbruch - dabei hatte außer ihm bis zur Generalprobe kaum jemand an ein Gelingen geglaubt. Mit diesem Meisterwerk hatte der "Wagner der Operette", wie Lehar von Zeitgenossen genannt wurde, einen neuen Weg beschritten: Von "verschwenderischer Reichhaltigkeit der Melodien" schwärmt Franz Endler in seiner jüngst bei Heyne erschienenen Lehar-Biographie. Wien und das Wienerische waren für Lehar nicht mehr der Nabel der Welt, er besann sich anderer musikalischer Traditionen: Seine Spezialität war es, das Kolorit verschiedenster in der Donaumonarchie lebender Volksgruppen erklingen zu lassen. Auch der Walzer hörte sich bei Lehar anders an als bei der vorangegangenen Generation von Operettenkomponisten: "Das treuherzig ländlerhafte des Altwiener Walzers fehlt dem Lehar-Walzer vollständig. Immer guckt bei Strauß und Millöcker der Tanzboden, das Hügelland, das ,Blauaugete' durch. Lehars Walzer ist schwarzäugig: ein Walzer der Steppen und Pußten, der Walzer eines Einsamen, der sich krank sehnt - die Mollkadenzen, die unterdominanten Elemente reden vom Reiz des Vergeblichen", beschreibt der Schriftsteller Ernst Decsey.
Lehar feierte in der Kaiserstadt Wien noch einige große Erfolge, vor allem mit "Der Graf von Luxemburg" (1909), doch mit dem Zerfall der Donaumonarchie veränderten sich auch die Verhältnisse in der Operettenstadt Wien schlagartig. Teile des Bürgertums, der klassischen Operetten-Klientel, waren finanziell ruiniert und die neue sozialdemokratische Wiener Stadtregierung hatte nicht viel übrig für Operette. Weil diese nicht als Kunstform anerkannt wurde, mußten Operettentheater gleich viel Vergnügungssteuer berappen wie Revuetheater und Nachtbars.
Auch der Publikumsgeschmack änderte sich: Man war es müde, die immer wieder gleiche Abfolge von drei schablonenhaften Akten mit dem unvermeidlichen happy end zu erleben. 1923 floppte folglich auch Lehars "Die gelbe Jacke" - ein Werk, das nur deshalb erwähnenswert ist, weil es sechs Jahre später mit einem modifizierten Libretto zum wohl größten Erfolg Lehars wurde: "Das Land des Lächelns". Lehar war stets ein begnadeter Wiederverwerter eigener Kompositionen.
"Schmachtfetzen ..."
Lehar verließ Wien und ging nach Berlin (ein Umstand, den ihm die Wiener so schnell nicht verziehen: sein sechzigster Geburtstag wurde in seiner Heimatstadt ignoriert). Mit "Paganini", "Der Zarewitsch", "Friederike" und "Das Land des Lächelns" gelangen ihm zwischen 1926 und 1929 Riesenerfolge in der deutschen Hauptstadt - und das, obwohl diese Werke dem Zeitgeist geradezu entgegengesetzt waren: lyrisch statt grell, behutsam statt schnell, melodienselig statt atonal. "Da kam aus der längst entschwundenen Zeit der Monarchie ein Mann, dessen große Zeit unvorstellbar lang zurücklag, mit einem Schmachtfetzen ...", wundert sich selbst Franz Endler. Lehar hatte zum einen das anscheinend nicht auszurottende Verlangen des Publikums nach schönen Melodien Rechnung getragen und dem beliebten Mozart-Tenor Richard Tauber in jeder dieser Operetten einen Schlager ("Superhit" hieße das heute) auf den Leib geschrieben, etwa "Dein ist mein ganzes Herz" in "Friederike". Zum anderen verabschiedete sich Lehar vom glücklichen, strahlenden, eben operettenhaften Ende. Die Berliner Operetten blieben allesamt ohne glücklichen Ausgang, stets senkte sich der Vorhang über Verzicht und ewigen Liebeskummer.
Seine letzte Operette ("Giuditta") wurde 1934 an der Wiener Staatsoper uraufgeführt - eine Anerkennung seines Lebenswerkes, die Lehar zutiefst befriedigt haben muß. Danach dirigierte er noch hin und wieder und kümmerte sich hauptsächlich um rechtliche und finanzielle Angelegenheiten. Am 24. Oktober 1948 starb Franz Lehar in seiner Villa in Bad Ischl.
Lehar ist sein ganzes Komponistenleben gegenüber anderen Musik-richtungen offen geblieben. Daß er Techniken auch von einem ihm übel gesinnten Komponisten wie Richard Strauss übernommen hat, wurde schon erwähnt. Bei der Uraufführung von Arnold Schönbergs "Gurreliedern" (1913) war Lehar im Publikum. "Es steckt viel Kraft, Können und Talent in der Komposition. Allerdings, die unmittelbare Wirkung auf das Herz ist ihm versagt ... jedenfalls war es ein ungemein interessanter Abend", schrieb er anschließend seinem Bruder. Und der bedürftige Jungkünstler Anton von Webern verdankt Lehar ein Stipendium. Davon will heute jedoch niemand mehr etwas wissen: Die Operettenliebhaber wollen nichts mit einem Webern, die Avantgardisten nichts mit einem Lehar zu tun haben.