Wahrheit statt Chimären

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Ein US-Forscher kreiert menschliche Mischwesen, ohne ein Kind zeugen zu wollen; und die EU bastelt an "fairen Regeln" zur Finanzierung der Embryonenforschung. Trugbilder, so weit das Auge reicht.

Es wäre kein Ungeheuer geworden, wie es die griechische Sage unter "Chimäre" versteht - Löwe, Ziege und Schlange zugleich. Es wäre bestenfalls zu einem Menschen herangereift, der aus Zellen eines männlichen und eines weiblichen Individuums besteht und sich nicht den Launen der Natur, sondern eines Forschers verdankt - jenen Norbert Gleichers.

Mit seiner Chimärenbildung hat der aus Österreich stammende und in den USA tätige Genetiker vergangene Woche auf der Jahresversammlung der Europäischen Gesellschaft für Fortpflanzungsmedizin (ESHRE) in Madrid für Aufregung gesorgt. Gleicher hatte Zellen eines drei Tage alten männlichen Embryos einem weiblichen Embryo eingepflanzt. Freilich nicht, um ein Kind entstehen zu lassen, wie er betonte, sondern um "eine Theorie zu einer Gentherapie-Alternative" zu testen. Wenige Tage nach dem Unterfangen wurden die Embryonen vernichtet. Ein Patent folgte auf dem Fuß.

Was auch immer Norbert Gleicher offiziell beabsichtigte: Tatsache ist, dass er an menschlichen Embryonen experimentierte und sie vernichtete. Tatsache ist, dass sich seine "Gentherapie-Alternative" in Richtung einer unzulässigen Keimbahntherapie entwickelt. Und Tatsache ist, dass der Erkenntnisgewinn dieser Gen-Bastelei heftig angezweifelt wird. So seien Gleichers Untersuchungen "voller Fehler", meinte der australische Wissenschafter Alan Trounson - und fügte mahnend hinzu: "So lange man nicht sicher ist, dass man Gutes tut, sollte man nichts tun, was schaden könnte."

Eine Regel, die nicht nur die Forscher in den Biotech- und Genlabors beherzigen müssten, sondern auch Europas Biopolitiker. Noch immer wird in den EU-Gremien an einer tauglichen Regelung gebastelt, wie die ethisch umstrittene Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen aus dem gemeinsamen Fördertopf finanziert werden soll. Angesichts divergierender Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten behalf man sich bislang - nicht zuletzt auf Initiative Österreichs - bis Ende 2003 mit einem Moratorium. Spätestens dann sind aber Entscheidungen gefragt.

Eine Vorentscheidung ist diesen Mittwoch gefallen: Unter Federführung von EU-Forschungskommissar Philippe Busquin präsentierte die Kommission ihre ethischen Leitlinien für diesen umstrittenen Bereich. Ob sie eine Stichtagsregelung beinhalten, wonach nur die Forschung an solchen humanen embryonalen Stammzellen gefördert werden soll, die bis zu einem bestimmten Datum hergestellt wurden, war bis Redaktionsschluss ungewiss. Zudem bleibt abzuwarten, ob sich auch der EU-Forschungsministerrat und das Europäische Parlament für die Vorstellungen der Kommission erwärmen.

Eines scheint sich jedoch schon jetzt abzuzeichnen: Von der künftigen Regelung haben die EU-Mitgliedstaaten weder Gerechtigkeit noch Chancengleichheit zu erwarten. Tatsache ist, dass sich alle Länder an der Finanzierung des 6. EU-Rahmenprogramms - und damit auch des Sonderbereichs "Biowissenschaften, Genomik und Biotechnologie" - beteiligen müssen. Auch Länder wie Dänemark, Irland, Spanien oder Österreich, in denen die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen dezidiert verboten ist.

Spätestens hier wird der hehre Vorsatz von Forschungskommissar Busquin, den Mitgliedstaaten keine Vorschriften machen und sich erst gar nicht in heikle ethische Belange einmischen zu wollen, zur Farce: Denn die Tatsache, dass österreichische Steuergelder für solche Projekte ausgegeben werden, für die heimische Forscher hinter Gitter kämen, ist Einmischung pur.

Die einzige faire Alternative, nämlich diese Forschung nicht über das gemeinsame Budget, sondern einen freiwillig bestückten, externen Fonds zu finanzieren, ist im EU-Regelwerk nicht vorgesehen: "Wir finanzieren schließlich auch gemeinsam Forschungsprojekte in der Arktis, die nicht alle Länder betreffen", wehrt Busquin-Sprecher Fabio Fabbi auf Anfrage der Furche ab.

Fairness bei der Förderung embryonaler Stammzellforschung zu erwarten, hieße folglich, einer Chimäre nachzuhängen. Ein trauriger Befund für die EU, die sich oft und gern ihrer Visionen brüstet.

doris.helmberger@furche.at

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