Waldviertler Traditionen oder: Die Fassade des Kultourismus

Werbung
Werbung
Werbung

In der Fremdenverkehrswerbung stellt sich Niederösterreich als Land mit vielfältigem Kulturangebot dar: Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Kreativkurse. Das trifft auch für das Waldviertel zu. In manch altem Klostergemäuer kann man sich in der Kunst der Keramik ebenso unterweisen lassen, wie die Geheimnisse der Batik enthüllt werden. Auf manch alter Burg erklingen Melodien alter Meister. Hellhörigen müßte eigentlich vom ersten Augenblick klar sein: Solche kulturellen Angebote sind eher als touristisches Entertainment einzustufen als ein Ausdruck bodenständigen kulturellen Schaffens.

Wer erwartet, angesichts des kunsthistorischen Rangs der erhalten gebliebenen Gebäude oder wegen der Vielzahl an kulturellen Veranstaltungen oder gar wegen der Menge an Künstlern, die in unterschiedlichen Sparten tätig sind, im Waldviertel gebe es eine offene, kultur- und weltreflektierende Gesinnung, der muß sich enttäuschen lassen. Die Arbeit der Künstler interessiert nicht einmal nebenbei, sondern gar nicht. Helene Neuwirth, die Frau des wohl wichtigsten Collagekünstlers Österreichs, Arnulf Neuwirth, brachte es in einem Gespräch auf den Punkt, indem sie nicht wörtlich, doch sinngemäß sagte: âWir müssen glücklich sein, daß wir in einer Zeit leben, die Toleranz verordnet. Wenn die Zeiten kälter werden, müssen wir damit rechnen, daß wir das Leben am Land aufgeben müssen.'

Die künstlerische Arbeit, unabhängig in welcher Sparte sie erfolgt und auch unabhängig, ob sie augenscheinlich eher der Tradition verhaftet ist oder ob sie dem zugerechnet wird, was Avantgarde genannt wird, hat im wirklich ländlichen Bereich keine Bedeutung. Dörfer mit einer rein bäuerlichen Gesellschaft haben keinen Bedarf an Kunst. Das ist unabhängig davon, ob Bauern im Haupterwerb in ihrem Beruf tätig sind oder ob sie nur im Nebenerwerb ihrer angestammten Tätigkeit nachgehen. In rein bäuerlichen Dörfern ist Kunst ebensowenig interessant wie Medieninformation, und das unabhängig davon, ob die Informationen übers Fernsehen oder die Printmedien kommen. Im ländlichen Bereich ist die Lokalberichterstattung der Niederösterreichischen Nachrichten (für die Region mutiert) das Nonplusultra. Da kann nicht einmal das berühmte handliche Kleinformat mit, das jedem Leser seine Krone verspricht. Andere nationale oder internationale Tages- und Wochenzeitungen sowie Magazine haben nicht einmal marginale Bedeutung.

Etwas besser wird die Situation in Kleinstädten wie Drosendorf, Horn und Geras. In Drosendorf beispielsweise gibt es eine Art Programmkino, das einige Male pro Monat zu einer cineastischen Köstlichkeit einlädt. Doch den Hauptbesucherstrom der Filmbegeisterten zieht's nach Horn, wo die aktuellen "Mußfilme" gezeigt werden. Dort kommt es zur Durchmischung der einzelnen Bevölkerungsgruppen, vom Bankdirektor bis zum Hilfsarbeiter, alle wollen gemeinsam James Bond siegen oder die Titanic untergehen sehen. In einem Programmkino wie Drosendorf würde nie ein Bauer den Weg zu einem alten Streifen finden. Und wie klar diese Trennung der Bevölkerungsgruppen ohne ausformulierte Ausschließungsparagraphen funktioniert, beschreibt der in Drosendorf ansässige Publizist Wolfgang Müller-Funk: "Im Tennisklub Drosendorf sind die Zweitwohnsitzler und einige wenige Drosendorfer organisiert, doch die bäuerliche Bevölkerung gehört nicht zum Einzugsbereich dieses Vereins."

Um Kunst und Literatur bemühte Institutionen wie die Galerie Thurnhof in Horn und das Waldviertler Hoftheater in Pürbach können in ihrer Pionierarbeit gar nicht überschätzt werden. Das gilt auch dann, wenn zu Vernissagen und Premieren das Publikum aus Wien anreist, um dabeizusein, wenn allererste Kunst geboten wird. Es möge sein, daß durch langjährige Kulturarbeit doch noch eine bodenständige Aufbruchsstimmung entsteht, die Grenzland als Herausforderung versteht, die Leben mit Menschen einer anderen Sprache als spannend und bereichernd sieht. Allzu lange wird die EU-Osterweiterung, die den Grenzbalken zu Tschechien verschwinden lassen wird, nicht auf sich warten lassen.

Von all dem ist zur Zeit nichts zu spüren. Es gibt keine traditionellen kulturellen Wurzeln, auf die Waldviertler aufbauen könnten. Es gibt letztlich nichts an Brauchtum, das weiterzuentwickeln wäre. Sieht man vom üblichen Feuerwehrfest ab und von den Gepflogenheiten rund ums Maibaumaufstellen. Beide gesellschaftlichen Ereignisse enden jährlich in riesigen Besäufnissen, wobei im Zuge des Kollektivrauschs der Burschen besonders nach dem Maibaumaufstellen Akte des Vandalismus beschreibbar sind. Die Traditionen, denen kirchliche Feiertage wie Ostern und Dreikönige zugrunde liegen, haben außer ein wenig folkloristischem Gepräge nichts Eigenständiges. Es gibt nichts zu beschreiben, was die Tradition im Waldviertel von allen anderen Traditionen, die in Österreich gepflegt werden, unterschiede.

Jenes Waldviertel, das in sich die kulturelle Tradition trägt, die bei den Druden beginnt und offenen Herzens versteht, daß eine Autorin wie Christiane Singer mediterranes Gemüt ins Grenzland bringt, muß erst entstehen. Die tradierte Bauernkultur ist tot, es deutet auch nichts darauf hin, daß sie sich wieder beleben ließe, doch die neue Zeit, die erkennt, daß Unterschiede zur Normalität gehören, findet sich erst im spärlichen Ansatz.

Der Autor lebt im Waldviertel und ist Mitarbeiter der Österreichischen Gesellschaft für Literatur.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung