Wandel in Nahost muss in Gaza beginnen

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Außenminister Michael Spindelegger zum Konflikt in Nahost: Der Krieg im Gazastreifen hat eine größere Dimension für die gesamte Region. Der Gazastreifen ist ein strategisch wichtiges Feld in der Auseinandersetzung zwischen Radikalen und Gemäßigten - auf beiden Seiten.

Erneut steht der Nahe Osten im Banne von Gewalt: "Operation gegossenes Blei"; vor Jahren rollte die "Operation Schutzwall". Opfer sind vor allem Zivilisten. Die Welt wähnt sich wie in einem schlechten Film, den sie schon zum Überdruss gesehen hat. Oslo, Camp David, Washington, Annapolis - die Stationen ernsthafter Verhandlungen über Frieden zwischen Israel und den Palästinensern muten an wie Episoden eines schönen Traumes. Aber der Traum muss Wirklichkeit werden. Es geht um die bessere Zukunft für Israelis und Palästinenser. Es geht um Europas Nachbarschaft; Friede im Nahen Osten bedeutet auch mehr Sicherheit für Europa.

Der Krieg im Gazastreifen hat noch eine größere und brisantere Dimension, die die gesamte Region prägt. Der Gazastreifen, darin sind sich Experten einig, ist ein strategisch wichtiges Feld in der Auseinandersetzung zwischen Radikalen und Gemäßigten.

Tiefer Graben des Misstrauens

Alle friedliebenden Kräfte in Nahost müssen sich engagieren, um Radikalismus und Fundamentalismus den Nährboden zu entziehen. Der Anstoß für eine umfassende Lösung muss aus der Region kommen. Wir Europäer sind bereit, zu helfen und Verantwortung zu übernehmen. Mehr noch: Wir sind gefordert. Als Teil der Völkerfamilie und, wie Österreich, als Mitglied des UN-Sicherheitsrats, des höchsten Gremiums im Welt-Kompetenzzentrum für Frieden. Wer Frieden schaffen will, der darf sich auch von bittersten Rückschlägen nicht entmutigen lassen, muss einen langen Atem haben und die Kraft der besseren Argumente.

Unverändert gilt, was Shimon Peres, heute Israels Staatspräsident, in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bei den Osloer Verhandlungen als wichtige Voraussetzung formulierte: "Beide Seiten müssen lernen, einander als Menschen zu betrachten und zu versuchen, die Bestrebungen, Befürchtungen, Hoffnungen und Ängste kennenzulernen, die jede Seite gegen die andere hegt."

Entschlossenheit, Mut und Weitblick sind gefordert. Der Graben des Misstrauens ist tief. Religion wird missbraucht. Fanatismus wirkt als Sprengstoff. Psychologische Barrieren und Feindbilder haben sich während vieler Jahrzehnte gefestigt. Tatsache ist aber eben auch: Die überwältigende Mehrheit der Israelis und Palästinenser will Frieden.

Die existenzielle Furcht Israels

Israel hat mit massivem Militäreinsatz auf fortgesetzten Raketenbeschuss reagiert. Dahinter verbirgt sich auch die existenzielle Furcht, vernichtet zu werden. Es liegt aber leider auf der Hand, dass diese Schläge gegen die Hamas Israel kein Mehr an Sicherheit bringen werden. Jedes Opfer, das aufseiten der Palästinenser zu beklagen ist, kann den Extremisten nützen, stärker und mächtiger zu werden.

Mit militärischen Mitteln ist dieser Konflikt nicht zu lösen. Die Menschen in den Palästinensergebieten und besonders im Gazastreifen brauchen konkrete Perspektiven, damit das Streben nach Frieden gestärkt wird. Eine wesentliche Phase, um die Trennung zwischen Extremisten und Friedenspartnern zu erreichen, muss damit beginnen, die Lebensbedingungen nachhaltig zu verbessern und den Menschen ihre Bewegungsfreiheit zurückzugeben.

Israelis haben ein Recht auf ein Leben in Sicherheit und Frieden. Ihre Feinde sitzen aber nicht nur in Gaza. Vom Ausgang des Kampfes in dem schmalen Landstreifen hängt nicht nur ab, ob Israelis wieder sicherer leben und die Bewohner des Gazastreifens wieder ein menschenwürdiges Leben führen können. Der Ausgang bestimmt auch das Kräfteverhältnis von Pragmatikern und Extremisten im gesamten Nahen Osten. Der Wandel in Nahost muss im Gazastreifen beginnen.

In der historischen Stunde des Handschlags mit Jasser Arafat vor dem Weißen Haus in Washington zitierte Israels damaliger Premier Jitzhak Rabin 1993 biblische Verse: "Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine Zeit: Eine Zeit zum Steinewerfen; eine Zeit zum Steinesammeln. Eine Zeit zu lieben, eine Zeit zu hassen. Eine Zeit des Krieges, eine Zeit des Friedens." Versäumte Chancen und vergebliche Appelle dürfen uns nicht entmutigen. Zu viel steht auf dem Spiel.

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