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Beim Versuch, mithilfe der Religion die Menschen zu einem umweltfreundlichen Verhalten zu zwingen, degradieren grüne Denker sowohl den Glauben als auch die Wissenschaft.

Wir leben in einer Welt, in der die zynische Manipulation von Ängsten häufig die faktenorientierte öffentliche Debatte überlagert. Prinzipien und Überzeugungen sind allem Anschein nach verhandelbar, und allzu oft macht die Suche nach Wahrheit Platz für alles, „was machbar ist“. In der Vergangenheit haben religiöse Gestalten immer wieder die Autorität der Wissenschaften herangezogen, um ihre Botschaften zu kommunizieren. Die einstige Verlautbarung „unser Glaube fordert …“ hat jedoch der Aussage „die Forschung zeigt …“ Platz gemacht. Wenn christliche Fundamentalisten ihr Dogma in der Form des „wissenschaftlichen Kreationismus“ neu erschaffen können, wie lange dauert es dann noch, bis atheistische Wissenschaftler ihren moralischen Kreuzzug in der Sprache der Religion rechtfertigen?

Lord May, Präsident der „British Science Association“, hat genau dies mit seiner Aufforderung, die Religionen als Teil des Kreuzzuges gegen die globale Erwärmung zu mobilisieren, getan. Die Mainstream-Religionen, so May, sollten eine Schlüsselrolle spielen bei der Vermittlung umweltpolitischer Inhalte und dem Bemühen, das Verhalten der Menschen im Sinne einer „Rettung des Planeten“ zu ändern. Indem er diese opportunistische Forderung in den Dienst einer wirksamen Rehabilitierung Gottes stellte, hat ein atheistischer Unternehmer in Sachen Moral gezeigt, dass es möglich ist, Religion und Wissenschaft in einem Atemzug herabzuwürdigen.

Die Religion für urbane Atheisten

Mays Forderung nach der Instrumentalisierung der Religion für das Thema Klimawandel bildet eine logische Schlussfolgerung innerhalb des Projektes Umweltschutz, das in jeder Hinsicht einen moralischen Kreuzzug darstellt. Im September 2003 hat der inzwischen verstorbene amerikanische Schriftsteller Michael Crichton die Umweltschutzbewegung als eine einflussreiche neue Religion bezeichnet. Vermutlich dachte er an die Lord Mays dieser Tage, wenn er konstatierte, die „Umweltschutzbewegung scheint die erste Wahl unter den Religionen für die urbanen Atheisten zu sein“.

Die Urteile der Grünen über unser Ess-, unser Fortpflanzungs- und unser Alltagsverhalten greifen unsere Intimsphäre womöglich noch massiver an als die Verlautbarungen mittelalterlicher Religionsrepräsentanten. Einstige Prophezeiungen und Wahrsagerei haben Spekulation und Alarmismus, auf Computermodellen basierend, Platz gemacht. Und die mittelalterliche Inquisition, die Häretiker und Hexen in die Zange nahm und auf den Scheiterhaufen brachte, ist im gegenwärtigen Kreuzzug gegen Skeptiker und sogenannte Leugner der Klimakatastrophe zu neuem Leben erwacht.

Die Manipulation religiöser Überzeugungen mit der Absicht, das Verhalten der Menschen zu ändern, ist nicht nur eine Missachtung der Öffentlichkeit. Darin zeigt sich auch eine Missachtung des Glaubens. Man erkennt ein simplistisches, rein funktionales Verständnis dessen, was Religiosität ist. Seit dem 19. Jahrhundert sehen einige säkulare Denker im Verfall der Religion ein großes Problem der modernen Gesellschaft. Obwohl selbst ungläubig, erachteten sie Religion als einen Stabilitätsfaktor und machten sich ernste Gedanken darüber, welches Verhalten Menschen ohne Religion an den Tag legen würden. Derartige Überlegungen über die moralische Verwirrung und die Aushöhlung disziplinierender Strukturen führten oft zu der Schlussfolgerung, dass die Gesellschaft irgendeine Form von Religion benötigt. Diese Sichtweise formulierte in seltener Klarheit der amerikanische Kulturkritiker Daniel Bell in den späten siebziger Jahren folgendermaßen: „Was verbindet uns mit der Realität, wenn die säkularen Bedeutungssysteme sich als Illusion herausstellen? Ich riskiere eine unpopuläre Antwort – es ist die Rückkehr irgendeiner Form von Religion in der westlichen Gesellschaft.“

Bell wählte seine Worte mit Vorsicht. Die Phrase „irgendeine Form von Religion“ legt eine pragmatische Konzeptualisierung des Problems nahe. Nicht diese oder jene Religion, sondern irgendeine Form von Religion wird den säkularen Ungewissheiten, an denen die Gesellschaft leidet, vorgezogen. Nach Bell ist es belanglos, was die Menschen glauben, solange sie ihrem Glauben einen gewissen Sinn entnehmen können. Bell sieht in der Religion eine wichtige Funktion: die Bereitstellung einer moralischen Ordnung in der Gesellschaft. Betrachtet man die religiöse Überzeugung nur von dieser eingeschränkten und funktionalen Perspektive, lässt sie sich leicht für eine Vielzahl von Zielen instrumentalisieren, für honorige, aber auch für niedrige.

Religiöse Überzeugungen werden durch alltägliche Übung und Praxis internalisiert. Solche Überzeugungen helfen dem Menschen, seinem Leben und der Welt Sinn zu verleihen. Die Vorstellung, man könnte Religion und Gott erfinden, weil man sie „braucht“ oder weil ein moralischer Kreuzzug die Autorität eines übernatürlichen Wesens benötigt, übersieht die historische, soziale und kulturelle Einbindung, innerhalb der sich Religionen konstituieren. Sie bedeutet auch eine Herabwürdigung religiöser Überzeugungen. Religiöse Überzeugungen sind an Intuition, Spiritualität, Glaube und Vernunft gebunden. Auf jeden Fall müssen die Weltreligionen als die wichtigste moralische, intellektuelle und kulturelle Errungenschaft menschlicher Zivilisation gesehen werden. Religiöse Überzeugung als eine Art Instrument zur Regelung öffentlicher Beziehungen zu interpretieren, entwertet die historischen Formen des Glaubens.

„Skeptizismus ist vorrangige Pflicht“

Aber der Missbrauch der Religion ist nicht das einzige Ergebnis des modernen, zynischen Versuchs, einen neuen grünen Gott zu erfinden. Wenn sogenannte Atheisten, Wissenschaftler und säkulare Denker fordern, dass ihre Ansichten sakrosankten Status genießen, dann degradieren sie auch wissenschaftliche Wahrheitsfindung. Wissenschaft entstand während des intellektuellen Kampfes zur Befreiung des Menschen von der Tyrannei des unantastbaren Dogmas. Glaube an die Wissenschaft unterscheidet sich vom vor-wissenschaftlichen Glauben. Den Glauben an die Macht der Wissenschaft, das Funktionieren der Welt zu entschlüsseln, darf man nicht so interpretieren, dass Wissenschaft dadurch selbst zum Glaubensersatz wird. Im Gegenteil, Wissenschaft beruht auf der für jede Erkenntnis nötigen Offenheit gegenüber dem Experiment und der Überprüfung von Thesen. Wissenschaft ist so ein inhärent skeptisches Verfahren, da sie keine Autorität als die schlüssige Beweisführung anerkennt. Wie Thomas Henry Huxley einst formulierte: „Wer natürliches Wissen präzisiert, lehnt jedwede Autorität grundsätzlich ab. Skeptizismus ist die vorrangige Pflicht, blinder Glaube eine unverzeihliche Sünde.“ Aus diesem Grund gab sich die angesehenste und älteste britische Vereinigung von Wissenschaftlern, die Royal Society, das Motto „On the Word of No One“ (Keiner Autorität verpflichtet). Dies schließt wohl auch den grünen Gott ein.

Die vorgeschlagene Eheschließung zwischen Pseudo-Religion und Pseudo-Wissenschaft bedeutet, dass man das Schlechteste beider Welten zusammenführt. Sie zersetzt die Religion und gebiert eine Religion der Korruption, in der Thesen sakrosankt werden und die Öffentlichkeit schikanieren und erpressen. Wer immer genuine Überzeugungen hat – ob religiöse oder wissenschaftliche –, hat ein übergreifendes Interesse daran, diese Degradierung religiöser Überzeugung und wissenschaftlicher Wahrheitsfindung infrage zu stellen.

Aus dem Englischen übersetzt von Josef Hueber.

Der vorliegende Text ist in längerer Fassung zuerst im Debattenmagazin „NovoArgumente“ erschienen (Nr. 104, 1–2, 2010, novo-argumente.com).

Der Autor

Frank Furedi ist Professor für Soziologie an der Universität von Kent und Mitbegründer des Manifesto Club (manifestoclub.com). Kürzlich ist sein neues Buch „Wasted: Why Education Isn’t Educating“ erschienen (Continuum 2009, 256 S., e 19,99). Seine Website findet sich unter frankfuredi.com.

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