Warten auf März 2000

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Ein Gefangener, noch im Schulalter, und ein Fünfzigjähriger, der eine 12jährige Haftstrafe verbüßt, beschreiben den Gefängnisalltag und ihre Millenniumsgedanken.

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Ein Gefangener, noch im Schulalter, und ein Fünfzigjähriger, der eine 12jährige Haftstrafe verbüßt, beschreiben den Gefängnisalltag und ihre Millenniumsgedanken.

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Aufstehen Jungs!" schreit der Abteilungsleiter durch die Tür. Gerade hat man noch einen schönen Traum von der Familie gehabt, doch nun ist man wieder in der bitteren Realität. Es ist sechs Uhr im Jugendgerichtshof in der Wiener Rüdengasse. Nun heißt es schnell aufstehen, waschen, anziehen und Bettenbau. Um 6.30 Uhr geht die Zellentüre auf und die Arbeit beginnt.

Zuerst müssen all die Mistkübel von der ersten Abteilung ausgeleert werden. Danach wird das Frühstück von der Küche abgeholt und jeweils Tee mit drei Scheiben Brot von Zelle zu Zelle ausgeteilt. Zwischen acht und halb zehn Uhr wird die ganze Abteilung geputzt. Als Erstes müssen die Gänge aufgewaschen werden. Danach kommt die Reinigung der Fenster dran und zum Schluß ist der Freizeitraum an der Reihe.

Wenn ich mit dem Putzen fertig bin, gehe ich zurück in meine Zelle. Dort habe ich etwa ein bis zwei Stunden Ruhe, die ich nutze, um Bücher zu lesen. Um elf Uhr geht es wieder hinunter in die Küche, um das Mittag- und Abendessen abzuholen. Das Mittagessen wird pünktlich um zwölf Uhr ausgeteilt. Hinterher wird das Geschirr abgewaschen und zurück in die Küche gebracht. Zwischen 13 und 15 Uhr werden allerlei Arbeiten gemacht: von Zellen putzen bis zu frische Geschirrtücher aus dem Magazin fassen. Die restliche Zeit benutze ich zum Lernen für die Schule.

Sobald das Abendessen um halb fünf Uhr ausgeteilt worden ist, geht es ab in die Zelle, und die Tür wird zugeschlagen. Geöffnet wird sie erst wieder um sechs Uhr früh am nächsten Tag. Bis neun Uhr abends verbringe ich meine Zeit, indem ich für die Schule lerne, Bücher lese oder auch fernsehe. Ich habe sehr viel Glück gehabt, da ich in der "Vier-Mann-Zelle", unter den Häftlingen besser bekannt als die "Präsidenten Suite", untergebracht bin. In dieser Zelle, sind alle vier Hausarbeiter der ersten Abteilung zuhause. Die Zelle ist etwa dreimal so groß wie eine reguläre Zelle und mit einem Fernseher und einer Stereo-Anlage ausgestattet. Ich bin ein Hausarbeiter, aber es gibt auch viele andere Beschäftigungen hier: Zum Beispiel in der Wäscherei, Schlosserei, Tischlerei, ...

So in etwa sieht das typische Leben im Gefängnis aus. Außer an Wochenenden und Feiertagen, denn da ist man, außer dem Spaziergang im Hof, von Früh bis Abend in der Zelle. Während der Woche gibt es die Möglichkeit, zweimal am Tag Sport zu betreiben. Einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag.

Um neun Uhr abends werden die Lichter ausgeschaltet, und man denkt wieder über alles nach, bis man endlich einschläft. Ich denke darüber nach, warum ich das getan habe, was ich getan habe. Ich bereue, was ich getan habe, so sehr. Ich denke auch darüber nach, wie lange ich noch in Haft sein werde und wie lange ich bereits hier bin: heute sind es bereits 67 Tage. Am Schlimmsten ist die Ungewißheit, denn ich werde meine Hauptverhandlung erst im März 2000 haben, und bis dahin weiß ich einfach nicht, wie lange ich im Gefängnis sitzen muß.

Zurück in die Schule?

Ich weiß, daß ich bestraft werden muß, doch ich bete, daß ich eine kurze Gefängnisstrafe bekomme und eine sehr hohe Probezeit. Der Grund dafür ist, daß meine Schule mir versprochen hat, mich wieder aufzunehmen, sobald ich aus dem Gefängnis komme, und ich hoffe, daß der Blödsinn, den ich gemacht habe, nicht meine ganze Zukunft ruinieren wird. Ich gebe die Hoffnung niemals auf. Doch im Moment heißt es: Abwarten bis März 2000.

Der ganze Wirbel, der draußen um den Jahrhundertwechsel gemacht wird, hat für mich im Gefängnis komplett an Bedeutung verloren. Wenn ich fast jeden Tag im Fernsehen oder in der Zeitung sehe, was für eine Show um den Silvester gemacht wird, tut es manchmal sogar weh. Es tut weh, wenn man sieht wieviel Geld und Zeit in Silvester investiert wird, obwohl es doch so viel Wichtigeres auf der ganzen Welt gibt. Es tut auch weh, wenn man weiß, daß, während die meisten Leute Spaß haben werden, ich in meiner Zelle sitze und weiter um ein Wunder bete. Sogar Weihnachten hat hier im Gefängnis seine Bedeutung verloren, weil mir die Zeit hier im Gefängnis gar nicht wirklich bewußt ist. Es scheint, als ob Weihnachten niemals existiert hätte.

Das Jahr 2000 hat für mich aber eine wichtige symbolische Bedeutung, und zwar, daß ich am Beginn des neuen Jahrtausends ganz unten bin und sehr hart arbeiten werde, daß ich wieder nach oben komme. Ich hoffe, daß ich, sobald ich die Schule fertig gemacht habe, studieren und Karriere machen kann. Ich weiß, daß ich die richtige Motivation und genug Willen dazu habe. Mit sehr viel Glück werde ich dann Weihnachten bald wieder mit meiner Familie feiern können. Bis dahin heißt es aber weiterhin warten im Jugendgefängnis in der Wiener Rüdengasse.

Der Autor ist 17 Jahre alt und Gefangener in der Justizanstalt für Jugendliche Wien-Erdberg.

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