Adventkalender - © Foto: Pixabay

Adventkalender: Warten auf Weihnachten

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Hundert Jahre Adventkalender: Zur Kulturgeschichte eines Phänomens, das Jung und Alt fasziniert und vom Privatbereich bis in den öffentlichen Raum reicht.

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Hundert Jahre Adventkalender: Zur Kulturgeschichte eines Phänomens, das Jung und Alt fasziniert und vom Privatbereich bis in den öffentlichen Raum reicht.

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Die Nächte der Mittwinterzeit, voller vielgestaltiger Wesen und sie begleitender Bräuche mit allerlei üppig wuchernden Glaubensvorstellungen, wurden durch die Kirche zu entdämonisieren versucht und in eine Zeit der Erwartung der Ankunft des göttlichen Lichtbringers umgedeutet. Diese Sinngebung der vier Adventwochen wurde bereits 826 auf der Kirchenversammlung in Aachen propagiert, doch nach wie vor umgibt uns ein nur schwer entwirrbares Geflecht christlicher und außerchristlicher Vorstellungen, ein In-, Mit- und Nebeneinander inhaltlich nicht selten widersprüchlicher Erscheinungen.

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In keinem anderen Monat des Jahres werden die Tage so spektakulär abgezählt wie im Dezember. Als besondere Zeitmessungshilfe ist der Adventkalender eine relativ junge Erscheinung vorweihnachtlichen Brauchtums. Sein Zauber begann, als 1902 in Hamburg in der Zeitschrift Der deutsche Kinderfreund für eine gedruckte "Weihnachtsuhr für Kinder" geworben wurde. Schon ein Jahr später stellte der Verleger Gerhard Lang für die Kinder der Abonnenten einer Stuttgarter Zeitung einen weiteren Adventkalender her, den er dann 1908 zum allgemeinen Kauf anbot. Pro Tag hatten die Kinder eines von 24 Motiven mit Engeln, Knecht Ruprecht oder Spielzeugdarstellungen auszuschneiden und puzzelartig auf eines von 24 nummerierten Feldern eines vorgedruckten Kartons zu kleben, auf dem sich 24 Verse christlich-pädagogischer Thematik befanden, wie etwa "Drum sei lieb, damit die Engel droben / im Himmel dich beim Christkind loben."

Vielfalt der Formen

Um den Kindern die Wartezeit vor Weihnachten zu verkürzen, hatten zuvor nur mündlich überlieferte Rituale existiert: Etwa 24 Kreidestriche, von denen täglich einer gelöscht werden durfte. Im alemannischen Raum brachten Eltern für ihre Kinder ein erzieherisches Ziel mit ins Spiel: für eine gute Tat, ein kleines Opfer oder das Verrichten eines zusätzlichen Gebetes durften sie Kerben in Holzstäbe einschneiden, die dem Nikolaus vorzeigt oder in die Krippe gelegt wurden. Im katholischen Westösterreich wurde ihnen als Belohnung für ihre Disziplinierung erlaubt, an jedem Tag des Advents einen Strohhalm in die leere Krippe zu legen, damit das Neugeborene weicher liege.

Jene Adventkalender waren der Beginn einer alsbald einsetzenden, unübersehbar reichhaltigen Produktion, über die Jahrzehnte immer luxuriöser, immer aufwändiger, immer formenreicher. Dagegen fand ihre Verbreitung vom städtischen in den ländlichen Lebensbereich nur sehr zögerlich statt und außerhalb des deutschen Sprachraums blieb der Adventkalender bis heute hauptsächlich auf angrenzende Länder und den anglikanischen Raum beschränkt.

Aus der Fülle von Angeboten lassen sich mehrere Haupttypen erkennen, wovon neben den dreidimensionalen Stehkalendern in Form von Laterne, Haus oder Baum sowie der kulissenartigen Krippe der wohl verbreitetste Typus die Hänge- bzw. Wandkalender mit Fensterchen zum Öffnen sind: bei uns 24, eines mehr für den anglikanischen Raum, wo erst am 25. Dezember Santa Claus kommt, vier zusätzlich für die vier Adventsonntage oder 31+6 für jene Weltgegenden, wo man sich bis zum 6. Jänner gedulden muss, bevor die Heiligen Drei Könige als biblische Gabenbringer erscheinen.

Die zwischen religiösen und weltlichen Sujets schwankenden Darstellungen beginnen bei nostalgisch-idyllischen Weihnachtsmarkt-Szenen und romantischen Winterlandschaften und reichen über viel bevölkerte Backstuben pausbackiger Engelchen und allerlei Szenen mit dem Christkind, das etwa 24 Sprossen herabsteigt, ehe es sich in der Krippe wiederfindet, bis zur Teddybär-Familie, die in den letzten Jahren Comics und Kunstfiguren à la Muppets und Pokemons verdrängt hat. Nicht zu vergessen kostspielige Rubbelkalender, die in Art eines Loses weltliches Glück verheißen. Hierher gehören auch die kostenlosen Werbekalender, mit denen Firmen ihre Kunden zu beeinflussen suchen. Markante Veränderungen fließen in die Darstellung ein, wenn in den sechziger Jahren, ganz im Zeichen der Erforschung des Weltraumes, der Weihnachtsmann zu moderneren Fortbewegungsmitteln wechselte und statt auf seinem Schlitten in Hubschrauber oder Rakete anreiste.

Die christliche Sinngebung der vier Adventwochen wurde bereits 826 propagiert, doch nach wie vor umgibt uns ein nur schwer entwirrbares Geflecht christlicher und außerchristlicher Vorstellungen, ein In-, Mit- und Nebeneinander inhaltlich nicht selten widersprüchlicher Erscheinungen.

Soll der Adventkalender zu kindlicher Beschäftigung anregen, so mutiert er beispielsweise zum Ausschneidebogen, eine Tradition, in der ja bereits Langs "Weihnachts-Kalender" 1903 stand: aus 24 Schnittfiguren lässt sich etwa eine komplette Krippe zusammensetzen. Wenn man im vorweihnachtlichen Familien- und Freundeskreis zusammenkommt und sich dann die Lust am Zählen mit eigener Kreativität paart, befindet man sich direkt in der Bastelstube mit der größten Formenvielfalt.

Die Variationsbreite der Adventkalenderformen hat natürlich nicht beim kindlichen Rezipienten Halt gemacht: In den letzten Jahren gesellen sich elektronische Adventkalender hinzu, die zum Abspielen mit dem EDV-Gerät geeignet sind und jeden Tag beim Hochfahren des Computers einen etwas erfreulicheren Arbeitsanfang markieren. Dass beim virtuellen Öffnen eines Fensters diese Kalender bereits selbst sprechen und singen können, ist modernster Trend.

Christliche Inhalte?

Nicht allein das Hauptbild, auch die kleinen Bildchen in den Fenstern tendieren zu immer weltlicheren Motiven. Religiöse Darstellungen finden sich meist nur noch am 4. Dezember mit einem Barbarazweig, gefolgt vom Krampus am 5. und Nikolaus am 6.; letzterer genoss besonderes Ansehen, denn er ist der Schutzpatron der Kinder und war bis Ende des 18. Jahrhunderts der eigentliche Gabenbringer. Das letzte Fenster ist zumeist größer als die anderen und weist traditionellerweise die Darstellung einer Krippe, eines Christbaumes, eines Rauschgoldengels, eines Adventkranzes mit vier brennenden Kerzen auf.

Die Wiedergabe authentischer Hausfassaden mit 24 Fenstern - etwa in Wien das Hundertwasser-Haus oder das ehemalige Niederösterreichische Landesmuseum - legten die Herstellung von räumlichen Stehkalendern in Form von Häusern nahe, gefolgt von zusammengesteckten Weihnachtsbäumen, auseinander gefalteten Laternen etc. Leseobjekte schulen in der einfachsten Form als 24 Bilderbuch-Geschichten den Geist oder sind als Vorlesetext Ersatz für die abendliche Traummännchen-Geschichte.

Adventkalender haben manchmal nicht nur ein Leben, denn jedes Jahr verbergen sich andere Überraschungen in verzierten Zündholzschächtelchen oder kleinen Stofftaschen, die von den Kindern gebastelt und auf Bändern zum Befüllen aufgehängt werden. Auf den Inhalt kommt es an, doch kann diese Form des Bittens und Schenkens ihre Wurzeln in jahrtausendealten Heische-Sitten nicht leugnen. Und gerade diese Gedanken lassen sich in den zahlreichen Billett-Kalendern erkennen, die dem Spendenaufruf von karitativen Organisationen, wie etwa UNICEF, SOS Kinderdorf, "Rettet das Kind" oder "Rote Nasen", beigelegten werden.

Der Versuch einer Erneuerung der christlichen Inhalte konnte nicht ausbleiben. Dem allerorten erkennbaren Kitsch versuchte - allerdings vergebens - bereits in den dreißiger Jahren der Klosterneuburger Pius Parsch entgegenzuwirken und propagierte zur spirituellen Vorbereitung auf Weihnachten als zentrales Thema seiner Adventkalenderbilder die Heilserwartung im Heiligen Land. Der Linzer Veritas-Verlag produzierte ebenso wie Ars sacra in München oder Wulfenia in Feldkirchen Kalender, bei denen der Andachtscharakter überwog; die Darstellungen in den zu öffnenden Fensterchen weisen vielfach auf gute Taten und auf Bibeltexte hin. Anregungen zu einer erneuerten Verinnerlichung sind die auf der Rückseite abgedruckten "Hinweise zum Gebrauch des Adventkalenders" mit Ratschlägen zur Gestaltung einer Adventandacht im familiären Kreis.

Ähnlichen Intentionen verpflichtet sind die bereits zahlreichen Adventkalender von Pfarren, Orden, Klöstern, die im Internet weniger anhand besinnlicher, vielmehr gegenwartsbezogener, durchaus kritischer Texte die (Heils-)Botschaft des weihnachtlichen Geschehens der heutigen Jugend näher bringen sollen. Alle Erwartungen übertroffen hat das Interesse, als die Prämonstratenser Chorherrn aus Stift Wilten 2001 als erste in Österreich täglich einen Adventkalender per SMS versandten. Besonders dem Gedanken der Völkerverständigung, der Entwicklungszusammenarbeit und der Armut allerorten widmet beispielsweise CARE Österreich ihre Internet-Adventkalender, wogegen die Katholische Sozialakademie an jedem Tag im Advent ein Kapitel des Sozialberichtes der Kirchen vorstellt und damit zum Nachdenken und Diskutieren anregen will.

"Gelebter Adventkalender"

Das einst besonders dem familiären Bereich vorbehaltene Weihnachtsgeschehen tendiert angesichts des zu beobachtenden Trends zu immer zahlreicheren Festen verstärkt in die Öffentlichkeit. Nicht nur Medienanstalten binden ihre Zuhörer und Zuseher zunehmend ein, indem sie sich wie etwa die vom ORF getragene Aktion "Licht ins Dunkel" des vorweihnachtlichen Zählrhythmus bedienen und damit in einer von Emotionen besonders geprägten Zeit die Spendenfreudigkeit anzusprechen versuchen. Die Fassade des Wiener Rathauses stellt der Welt größten "Adventkalender für alle" dar. Wie auch bei der Front der neuen Zentrale der Burgenländischen Elektrizitätsversorgung in Eisenstadt sponsern Wirtschaftsunternehmen die mit modernen Kunstwerken geschmückten einzelnen Fenster und lassen den Erlös von Versteigerungen karitativen Zielen zugute kommen.

Mancherorts bilden traditionsverbundene Ortsgemeinschaften einen "gelebten Adventkalender". So wird etwa im Südburgenland und in einigen Ortschaften im nördlichen Waldviertel an jedem Tag im Advent ein Fenster mit Tannenreis, transparentem Bilderschmuck und reflektierender Beleuchtung von den Hausbewohnern geziert, bis am Christtag entlang der Hauptstraße 25 Häuser in festlichem Glanz erstrahlen. Als Besonderheit erweist sich St. Gallen im Naturpark Eisenwurzen, wo seit 1999 der ganze historische Hauptplatz in einen leuchtenden Adventkalender verwandelt wird und der Reinerlös verschiedenster traditioneller Vorweihnachtsbräuche karitativen Zwecken zugute kommt. Die Gefahr zum Gigantomanismus liegt nahe, wenn im Stadtzentrum von Haag im Mostviertel ein eigenes Advent-Kalender-Dorf errichtet und von Tag zu Tag ein weiteres Tor oder Fenster illuminiert wird.

Der Autor ist Mitarbeiter der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und sucht für eine Ausstellung mit Begleitbuch alte Adventkalender.

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