Warum war Kolumbus kein Chinese?

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Einige Gesellschaften sind reich, mächtig und innovativ, andere leben heute noch als Sammler und Jäger. Ein amerikanischer Wissenschaftler hat sich auf die Suche nach den Wurzeln der ungleichen Verteilung von Armut und Reichtum gemacht.

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Einige Gesellschaften sind reich, mächtig und innovativ, andere leben heute noch als Sammler und Jäger. Ein amerikanischer Wissenschaftler hat sich auf die Suche nach den Wurzeln der ungleichen Verteilung von Armut und Reichtum gemacht.

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Warum haben es die Weißen in solchem Ausmaß zu Macht und Reichtum gebracht, während die anderen Völker ..." Dem amerikanischen Physiologieprofessor Jared Diamond wurde diese Frage 1972 bei einem Strandspaziergang auf Neuguinea von Yali, einem einheimischen Politiker, gestellt. Jared Diamond ließ sich 25 Jahre Zeit für die Antwort. Diese liegt jetzt vor, und zwar in Form eines dicken Wälzers mit dem Titel: "Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften". Darin vereint der Forscher biologisch-geografische Analysen mit Studien zur Sprach- und Schriftgeschichte, Agrarwissenschaft, Technikgeschichte und Soziologie zu einer Geschichte der Menschheit von 12.000 v.Chr. bis heute.

Diamond geht es dabei vor allem um ein Verständnis dessen, was in der Geschichte passierte und nicht darum, einen Gesellschaftstypus als den anderen überlegen zu feiern. Im Gegenteil: er widerlegt bei seinen Betrachtungen jeden rassisch begründeten Größenwahn stichhaltig und überzeugend.

Ausgangspunkt einer Reise durch die Jahrtausende und in alle Kontinente ist die schier unglaubliche Konfrontation von Cajamarca, bei der eine zerlumpte Horde von 168 Spaniern unter dem Analphabeten Pizarro, Atahualpa, den Herrscher des Inkareichs aus der Mitte seines Heeres von 80.000 Soldaten heraus gefangennimmt, mehr noch, dieses Heer, das gerade siegreich aus einem Bürgerkrieg kommt, unter erheblichen Verlusten in die Flucht schlägt.

Unglaublich? Wohl kaum, wenn man weiß, das der erwähnte Bürgerkrieg die Folge einer verheerenden Pockenepidemie war, welcher der vorige Inkakönig zum Opfer gefallen war. Eine Epidemie, ausgelöst von Vertretern jenes Volkes, aus dem sich die siegreiche Lumpenbande rekrutierte.

Unglaublich? Wohl kaum, wenn man sich vergegenwärtigt, daß ein Inkasoldat mit seiner Keule aus Holz, Stein oder Bronze einem der eisern gepanzerten Spanier vielleicht eine schmerzhafte Beule zufügen konnte. Umgekehrt aber fuhren die eisernen Schwerter und Speerspitzen der Spanier durch die leichten Rüstungen der Südamerikaner wie ein Messer in die Butter, und die Indianer, die zum erstenmal Pferde sahen und Kanonendonner hörten, waren vor Schreck erstarrt. Absolute militärisch-technische Überlegenheit, Krankheitserreger, Schrift - und damit bessere Information und Organisation - sowie eine Ideologie, ihre Religion, für die sie bis in den Tod zu gehen bereit waren. Diese Faktoren ermöglichten den Eroberern, die Ureinwohner des amerikanischen Doppelkontinents, ja der ganzen Welt hinwegzufegen.

Das Buch führt uns nun weit zurück an das Ende der letzten Eiszeit, als der Entwicklungsstand der Menschen überall ähnlich war. Hier wird dem erstaunten Leser vorgeführt, daß es einfach geografisch-biologische Vorteile waren, die den Bewohnern Eurasiens zu ihrem uneinholbaren Vorsprung verhalfen. So fand die Bevölkerung des sogenannten "Fruchtbaren Halbmonds" (Türkei, Syrien, Irak, Jordanien) die Wildformen von sechs der acht wichtigsten Kulturpflanzen vor. Ausgestattet mit diesem "Gründungspaket" kam es hier früher als anderswo zur Landwirtschaft und damit zu einem raschen Bevölkerungsanstieg. Durch die beginnende Arbeitsteilung wurden nicht mehr alle Mitglieder einer Gesellschaft zur Nahrungsbeschaffung gebraucht, es entstanden die ersten "Professionisten", wodurch wiederum Technik, Organisation und Verwaltung sowie Religionen (als einigende Ideologien) notwendig wurden und sich etablierten. Den entstehenden Stämmen, Staaten und Reichen hatten die weniger organisierten, benachbarten Nomadengesellschaften wenig entgegenzusetzen.

Da Eurasiens Hauptausrichtung von Westen nach Osten - ohne große Barrieren wie Gebirge oder Wüsten - verläuft, breitete sich die Landwirtschaft entlang von Zonen wenig unterschiedlichen Klimas rasch aus. Anders als in Europa verläuft die Hauptachse des amerikanischen Doppelkontinents von Nord nach Süd, und ist durch verschiedene Klimazonen, Wüsten und dem Isthmus von Panama unterbrochen. Das führte dazu, daß wichtige Erfindungen und Kulturpflanzen, die in Europa rasch durch Diffusion allgemein bekannt wurden, lange Zeit zu ihrer Verbreitung brauchten, mehrmals entdeckt werden mußten oder sich gar nicht durchsetzen konnten. (So war etwa in Amerika das Rad in einem eng begrenzten Raum als Spielzeug bekannt, gelangte aber nie zu Gesellschaften, die seine technische Bedeutung erkannten.)

Eine wichtige Rolle spielen bei Jared Diamond die Haustiere. 13 der 14 wichtigsten Nutztierarten sind in Eurasien beheimatet, während in Afrika kein einziges Großsäugetier, und in Amerika - lediglich das Lama domestiziert werden konnte, und auch das nur im Süden. Während man also in anderen Erdteilen immer noch einen Großteil der Zeit und Energie in das nackte Überleben investieren mußte, war die Ernährung der Eurasier vergleichsweise gesichert. Man hatte Muße, sich auch hin und wieder mit anderen Dingen als nur mit dem Essen - vor allem seiner Beschaffung - zu beschäftigen. Die Eurasier zähmten Pferde und lernten reiten. Die Erfindung und Nutzung des Rades - besonders in Verbindung mit Zugtieren - brachte Erleichterung im Transport von Menschen und Gütern und so schließlich auch militärische Vorteile. Die Viehwirtschaft brachte indirekt noch einen entscheidenden Vorteil: Die meisten Infektionskrankheiten kamen von den Haustieren auf den Menschen. Die Bauern entwickelten allmählich Antikörper dagegen, und es entwickelte sich über Generationen ein starkes Immunsystem. Nomadische Jäger- und Sammlergesellschaften hingegen blieben wesentlich anfälliger für Krankheiten.

Aber in jeder auch noch so erfolgreichen Zivilisation gibt es Irritationen. So sind manchmal Erfindungen nicht mit dem kulturellen oder moralischen Konsens einer Gesellschaft vereinbar - und werden wieder abgeschafft. Zum Beispiel die Feuerwaffen in Japan im 17. Jahrhundert. Traditioneller Kampf hatte ästhetisch zu sein; ein "Bauerntölpel", der mit schlicht angelegtem Gewehr einen sich kunstvoll in Szene setzenden Samurai auslöschte, wäre eine Ungeheuerlichkeit gewesen. Andere Erfindungen wurden zwar beibehalten, aber niemals optimiert. So etwa die uns bekannte Schreibmaschinentastatur. Anfangs wurden die Buchstaben bewußt schlecht angeordnet, um zu schnelles Tippen zu verhindern, weil dieses die frühen Schreibmaschinen außer Gefecht gesetzt hätte. Eine bessere Anordnung hätte später - bei besseren Maschinen oder Computern - die Schreibgeschwindigkeit verdoppeln können. Allein die Lobby der Schreibmaschinenhersteller, Typisten und deren Ausbildner wußte dies bis heute zu verhindern.

Geschichte geht verschlungene Wege, und Jared Diamond schafft es immer wieder, Details und größere Zusammenhänge zu verknüpfen.

Etwa: Warum war Kolumbus kein Chinese? Abgesehen davon, daß er es von China aus etwas weiter nach Amerika gehabt hätte, war im damaligen Kaiserreich soeben die Hochseeschiffahrt per Dekret abgeschafft worden. Europa war damals im Gegensatz zu China ein Flickenteppich aus unzähligen Staaten mit ebensovielen Machthabern. Das erhöhte natürlich die Wahrscheinlichkeit, daß er einen der Souveräne von seinem kostspieligen Vorhaben überzeugen konnte, beträchtlich. Die Existenz so vieler Staaten brachte es außerdem mit sich, daß sich Neuerungen schneller durchsetzen konnten. Wenn ein Staat mit einer Innovation vorpreschte, mußten die anderen mitziehen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Am Ende der Rundreise durch die Jahrtausende und Kontinente kommt der Autor zu folgendem Schluß: "Die auffälligen Unterschiede zwischen der Geschichte der Völker der verschiedenen Kontinente, in großen Zeiträumen betrachtet, beruhen nicht auf angeborenen Unterschieden zwischen den Völkern, sondern auf der Unterschiedlichkeit Ihrer Umwelt. Hätte man die Bevölkerungen Australiens und Eurasiens im ausgehenden Eiszeitalter miteinander vertauscht, so würden die ursprünglichen australischen Aborigines nach meiner Vermutung heute den größten Teil Nord- und Südamerikas und Australiens sowie Eurasien in ihrem Besitz halten, während die ursprünglichen Eurasier ihr Dasein als unterdrückte Minderheit in Australien fristen würden.

Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften.

Von Jared Diamond, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1998, 550 Seiten, geb. öS 423.

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