Was bleibt? Viel Diskurs, wenig Kunst

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Auch die zweite Hälfte der Wiener Festwochen zeigte: Künstlerische Versprechen konnte Intendant Tomas Zierhofer-Kin nicht einhalten, die Auseinandersetzung mit den Schwerpunktthemen blieb theoretisch. Eine Bilanz der Festwochen 2017 unter neuer Leitung.

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Auch die zweite Hälfte der Wiener Festwochen zeigte: Künstlerische Versprechen konnte Intendant Tomas Zierhofer-Kin nicht einhalten, die Auseinandersetzung mit den Schwerpunktthemen blieb theoretisch. Eine Bilanz der Festwochen 2017 unter neuer Leitung.

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Die Ankündigungspolitik des neuen Festwochen-Intendanten Tomas Zierhofer-Kin war ebenso vielversprechend wie verwirrend. Und so zeigte sich das alteingesessene Festwochen-Publikum bereits im Vorfeld neugierig und skeptisch. Orientierung fiel in diesem diskursorientierten Programm mit dem Schwerpunkt auf postkoloniale und queere Theorien schwer.

Wie lautet das Selbstverständnis der Festwochen, wenn sich diese offensichtlich nicht mehr als Leistungsschau des internationalen Theaters sehen? - Die Frage muss man sich nach sechs chaotisch wirkenden Wochen stellen. Auch die letzte Premiere - Peter Brooks "Battlefield" - tat dem keinerlei Abbruch. "Battlefield" basiert auf der vor gut 30 Jahren uraufgeführten Bearbeitung des altindischen Volksepos' "Mahabharata". Die damals neunstündige Version fand internationale Aufmerksamkeit.

Nun zeigte der renommierte Regisseur (zusammen mit Marie-Hélène Estienne) die destillierte Fassung der komplizierten Familiengeschichte zweier indischer Königsclans: Vier Darsteller verkörpern Königssöhne und Mütter, Tauben und Würmer. - Wer kann schon wissen, was mit uns geschieht, wenn wir sterben?

Erprobung von Raum

König Yudhishthira (Ery Nzaramba) hat am Schlachtfeld den verfeindeten König Karna getötet. Dass es sich bei Karna um seinen Halbbruder handelte, erfährt er erst nach dem Sieg, als ihm seine Mutter Kunti (Carole Karemera) von ihrem Erstgeborenen erzählt. Als junge Frau wurde sie vom Sonnengott Surya geschwängert, übergab das Baby aber nach der Geburt dem Ganges. Wie Moses wurde das Kind vom Fluss davon getragen, doch das Schicksal ließ den Knaben am Leben und machte Karna ebenfalls zum König.

Stark verkürzt erzählt der heute 92-jährige Brook von äußeren und inneren Schlachten, von der Suche nach Vergebung und Weisheit. Das Anliegen dieser stillen und rhythmischen Abschluss-Inszenierung, deren Erzählton der Musiker Toshi Tsuchitori (der schon bei der Uraufführung dabei war) geradezu meditativ und präzise trommelt, ist damals wie heute aktuell. Der Abend selbst aber präsentiert sich als Aufguss der legendären Uraufführung, die Brooks kreative Auseinandersetzung mit "dem leeren Raum" zeigt. Seine Aufsätze zum Theater widmen sich diesem von ihm geprägten Fachbegriff.

Die Erprobung von Raum und Räumen wurde in den letzten beiden Festivalwochen -im wörtlichen wie im übertragenen Sinn - thematisiert: Via Luftschleuse und über die Bühne gelangte das Publikum im Theater an der Wien in den bespielten Raum, um sich die Schöpfungsgeschichte in der Version des australischen "Back to Back"-Theaters anzusehen. "Lady eats Apple" erzählt in poetischen Bildern von der Vertreibung aus dem Paradies und von der unweigerlichen Tragödie des Todes.

Hochakrobatisch präsentiert sich die "Grupo de Rua" mit ihrer Arbeit über Gehen und Reisen, über Grenzen und deren Überschreitungen. Der brasilianische Star-Choreograf Bruno Beltrão verbindet Streetdance-Elemente mit Modern Dance, in der durch Lichteffekte etablierten Arena bestaunt man innovatives Tanztheater.

Im (fast) leeren Bühnenraum des Volkstheaters spielt auch das Musical "Traiskirchen", eine Koproduktion der "Schweigenden Mehrheit" mit den Festwochen. Seit 2015 arbeiten Regisseurin Tina Leisch und Schauspieler/Regisseur Bernhard Dechant mit Geflüchteten an einem Theaterprojekt, das mit "Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene" startete, erhielten dafür den Nestroy-Sonderpreis, entwickelten die Idee weiter und wurden nun als Publikumserfolg der Festwochen gefeiert. Ein Teil der Zustimmung gilt dem mutigen politischen Projekt wie auch den eingängigen Musicalnummern, die u. a. Eva Jantschitsch (Gustav) beisteuerte.

Insgesamt blieben die künstlerischen Versprechungen der Festwochen 2017 ebenso leer wie die Bühnenräume. Auch lichteten sich oft die Zuschauerreihen. Und so bleibt die zukünftige Hoffnung auf mehr Kunst als Diskurs.

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