Was das Leben zu einem solchen macht

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Die Salzburger Festspiele eröffnen den Schauspielreigen mit Heinrich von Kleists "Penthesilea" - von Johan Simons eingedampft - und "Hunger", einer Frank-Castorf-Inszenierung basierend auf Romanen von Knut Hamsun. Großes Theater? Nicht weit davon entfernt!

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Die Salzburger Festspiele eröffnen den Schauspielreigen mit Heinrich von Kleists "Penthesilea" - von Johan Simons eingedampft - und "Hunger", einer Frank-Castorf-Inszenierung basierend auf Romanen von Knut Hamsun. Großes Theater? Nicht weit davon entfernt!

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Den einen plagt eine Obsession, den anderen eine Aversion. Bei Kleist herrscht der Absolutheitsanspruch vor, bei Hamsun eine Relativitätskonstante. Werke beider Autoren sind bei den Salzburger Festspielen zu sehen.

Die Liebe steht über allem bei Kleist, wie ihn Johan Simons sieht, und dafür gibt es starke Argumente, die aus dem Leben und dem Werk abzulesen sind. Sie, die Liebe, ist derart groß, dass Simons dafür nur die einschüchterndsten Szenarien in Anwendung bringt. Krieg als Hintergrundstoben ist ihm noch zu wenig, der Trojanische Krieg muss es sein mit dem gewaltigen Aufgebot an mythologischen Figuren. Die allein stehen dafür ein, dass es um etwas Besonderes geht, das den Horizont des Durchschnittsbürgers bei weitem übersteigt. - Krieg, Liebe, Tod, das sind die Ingredienzien des Stückes "Penthesilea", das Kleist derart angefüllt hat mit sprachlichem Überschwang, dass man der Größe der Ereignisse in jedem Augenblick gewahr wird. Penthesilea, die Amazonenkönigin, und Achill, der Griechenkönig, sie sind ein Liebespaar, das in Zeiten des Krieges keines sein darf und das einander in einem zehrenden Spiel von Anziehung und Abstoßung zugrunde richtet. Die Liebe ein Kampfplatz, bei Kleist ins Rhetorische gewendet.

Wie bringt man ein Stück, dem der Ruf vorauseilt, unspielbar zu sein, festspielwürdig auf die Bühne? In Simons Inszenierung bleiben von neun Hauptfiguren gerade noch zwei übrig, die beiden Liebeshelden, die einander umkreisen, einander verletzen und doch Fürsorge füreinander erkennen lassen. Vasco Boenisch, der die aktuelle Fassung errichtet hat, strafft die Textmenge nicht nur beträchtlich (was sinnvoll ist), er macht ein karges Zweipersonenstück daraus. So entsteht High-Noon-Stimmung vor den Toren Trojas. Kleist selbst geht auf größtmögliche Distanz. Geschehen wird auf der Bühne nicht gezeigt, es wird von Beobachtern kommentiert. Etwas ereignet sich, was dem Publikum zugetragen wird. So wird die Spracheuphorie auf einen nüchternen Boden gestellt -nicht die unmittelbare Anschauung macht Zuseher zu Zeugen, alles Wissen kommt aus zweiter Hand.

Die Simons-Methode stellt zwei Menschen in einen Raum vor schwarzem Hintergrund, der aufgebrochen wird durch einen grellen Lichtspalt in Bodenhöhe. Die Liebe ist das eigentliche Drama, das abläuft, und so heftig, wie hier mit Gefühlen geprasst wird, ist der Tod stets einzurechnen. Das ist nun einmal so, wenn man mit dem Mittelmaß nichts anzufangen vermag. Die Aufmerksamkeit gehört den Darstellern Jens Harzer und Sandra Hüller, die mit grandioser Perfektion sich der Kleist-Sprache bemächtigt haben. Hüller artikuliert sich für eine martialische Amazonenkönigin bisweilen etwas gar gedämpft, das macht sie dann durch rasenden Bewegungsaufwand wett. Im Vergleich zu ihr wirkt Harzer als Achill nahezu vernünftig, so ruhig und in sich gefestigt füllt er den Bühnenraum. Der Verletzliche ist er, der sich ungeschützt einmal gar nackt zeigt. Das ist schon deshalb ungewöhnlich, weil es den beiden darauf ankommt, den anderen zu unterwerfen, Stärke zu beweisen, wie es den Spielregeln des Krieges entspricht. Unvermittelt steigt Achill aus und zeigt Schwäche. Auch das kann nicht gut gehen in Zeiten des Liebeskrieges. Gefühle sind in dieser Inszenierung die heimlichen Herrscher.

Hungerkünstler

Gefühle werden bei Hamsun, wie ihn uns Frank Castorf nahe bringt, ins Unbewusste abgedrängt. Immerhin befinden wir uns mit "Hunger" und "Mysterien", den beiden Romanen, die Castorf für sein furioses Theaterspektakel nützt, in den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts, als kein soziales Netz Gescheiterte auffing. Hamsun nimmt sich zurück, klagt nicht an, regt sich nicht auf, stellt fest, was der Fall ist, das ist heftig genug. Castorf hilft nach, bei ihm sind die Darsteller gefordert, die Misere ins Drastische zu überführen. Die Aversion gegen die Welt, wie sie ist, äußert sich in einem tief sitzenden Ekel. Castorf verspürt den Auftrag, das Theater als Bühne einzusetzen, unwürdige Lebensverhältnisse zur Schau zu stellen. Der junge Mann, der sich kaum jemals heil über den Tag rettet, ist ein Hungerkünstler im eigentlichen Wortsinn. Vom Schreiben kann er nicht leben. Später, der Roman "Mysterien" zeigt das sehr klar, hat er es zu etwas gebracht, mit dem physischen Hunger ist es vorbei, jetzt setzt ihm ein existenzieller Hunger nach dem Bedeutenden zu, was ein Leben erst richtig zu einem solchen macht.

Einzelne Szenen stechen heraus, die von so imponierenden Darstellern wie Lars Rudolph, Sophie Rois oder Josef Ostendorf getragen werden. Das große Ganze kann einem schon einmal abhanden kommen, was bei einem sechsstündigen Parforceritt durch die norwegische Gesellschaft nicht erstaunt. Das Ganze ist kurzweilig aufbereitet, eine Drehbühne (Bühnenbild: Aleksandar Denic´) sorgt für ständige Ortswechsel mit zeitgenössischen Einsprengseln: ein McDonalds-Laden steht für die Ersatzbefriedigung eines Hungers. Sehr gewollt ist die Ausstaffierung mit Nazisymbolen, weil Castorf unbedingt an Hamsuns Höllensturz erinnern muss, als er sich im Alter auf unangenehme Weise den Nazis anbiederte. Das Frühwerk allerdings hat damit nichts zu tun. Ein großer Theaterabend? Wir sind nicht weit davon entfernt!

Hunger Perner-Insel, Hallein, 11., 13.15., 17., 20. August

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