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Gedichte erkunden die wAhrnehmung und deren sprachliche Gestaltung, sie verknüpfen alle sinne.

ferdinand schmatz

garten

er ist, stetig, ein warten

ab so wie nie und zu vor, aber spät

wird er uns, flutend, sich geben, artig,

nieder das hoch seiner gräser im nu

zu wiegen, dich, kriegst ab licht

streuend im land wie boden wie erde

zu samen sich stäubt ein den fliegen -

sie scheinen im flügel ein saum

sein:

zuckernd was blütig

steigend vom kübel zu blühen,

es sich tut, ja, dort ruht es

- ein ziehen, knospend tief

im rohen zu brechen

die kruste auf vom

innen heraus zu sausen

still wispelndes, frohes

dort stammt es, nichts, von wo her

rammte es oder bockt es, zu schmecken,

was saft ist den flügeln

schon wieder geruch:

glock, glock, glock -

schwebt ein,

im summen zu kleben

dich honig,

du mund, und es riecht

und es gibt feuchtes dar

auf zu heben in schatten geknistert

kommt alles was war sein wird bar

Immer wieder aufs Neue, so scheint es, musste die Dichtung gegen Vorwürfe verteidigt werden. Die Folge waren unterschiedliche Legitimationsversuche, was die Dichtung sei und wofür man sie brauche. Möchte man für diese einen gemeinsamen Nenner finden, unter dem die Besonderheit von Dichtung über Epochen und Kulturen hinweg zu fassen versucht werden kann, dann könnte er so lauten: Dichtung habe mit der Erkundung von Wahrnehmung und deren sprachlicher Gestaltung zu tun.

Gesetzgeber der Welt

Percy Bysshe Shelley etwa hat für die englische Romantik die Dichter als "die nicht-anerkannten Gesetzgeber der Welt" bezeichnet. Dichtung erweitere den menschlichen Geist, indem sie ihn zu einem Behältnis von tausenden von noch nicht aufgegriffenen Gedanken mache.

Für Paul Valéry ist im beginnenden 20. Jahrhundert das Gedicht eine "Art Maschine, die mit Hilfe der Worte den poetischen Zustand hervorbringen soll", der seinerseits eng mit Fragen der Wahrnehmung verknüpft sei, als eine Neigung, die Welt als ein vollständiges System von Beziehungen wahrzunehmen. Alle in der Dichtung modellierten Lebewesen, Gegenstände und Sachverhalte seien das, was sie in der tatsächlichen Welt auch sind, zugleich stehen sie jedoch in einer "undefinierbaren, aber wundervoll richtigen Beziehung zu den Formen und Gesetzen unserer allgemeinen Sensibilität".

1951 greift Gottfried Benn Valérys Gleichsetzung von Dichtung und dem Hervorbringen des poetischen Zustands auf. "Bei der Herstellung des Gedichts beobachtet man nicht nur das Gedicht, sondern auch sich selber." Die Hervorbringung eines Kunstwerks und das Kunstwerk selbst fallen in eins.

Gegenwärtig sind die Vorwürfe, gegen die man die Dichtung verteidigen muss, wohl eher banal. Gedichte seien einfach im Verdrängungskampf um Aufmerksamkeit zwischen den unterschiedlichen Medien hoffnungslos abgeschlagen. Nach den verschiedenen proklamierten Umschwüngen der letzten Jahrzehnte, unter anderem durch die Wende vom Wort hin zu (bewegten) Bildern ("iconic turn"), spiele das Gedicht in den Mischmedien und unter der Dominanz der technischen Bilder eine marginalisierte Rolle, die sich an der geringen Anzahl der Gedichte Lesenden zeige.

Ein verlorener Haufen?

Ist in diesem Licht die Vergabe des Ernst-Jandl-Preises für Lyrik, des bedeutsamsten österreichischen Preises für Dichtung, als eine nur staatlich institutionalisierte lebenserhaltende Maßnahme für den "Wach-Koma-Patienten Dichtung" zu sehen, ohne Aussicht auf Heilung? Kommt in Neuberg an der Mürz, wo an drei Tagen deutschsprachige Dichter und Dichterinnen aus ihren Werken lesen und heuer der mit 15.000 Euro dotierte Preis an Ferdinand Schmatz verliehen wird, ein "verlorener Haufen" zusammen? Ein verlorener Haufen, von dem Guy Debord einmal meinte, er sei die konsequente Entwicklungsstufe der Avantgarden - während diese als geordnete Formation "vorne weg" agierten, ist ein "verlorener Haufen" keine feste Einrichtung eines Heeres mehr, sondern ein Moment seiner Auflösung.

Sprachliche Gestalt

Gerade die Gedichte von Ferdinand Schmatz erweisen die Möglichkeit und Notwendigkeit des Gedichts heute (und immer). Alle Sinneswahrnehmungen und Verstandesleistungen sind im Gedicht auf die sprachliche Gestalt zurückzubeziehen, sei es als deren Ausdruck, oder aber als eine Art Generator, diese in den Lesenden von Gedichten hervorzurufen.

Das Gedicht will nicht nur das mitteilen, was die in ihm verwendeten Wörter (wie im Wörterbuch) bedeuten, es ist zudem auch eine "Modulation der Existenz", wie dies Maurice Merleau-Ponty für die Phänomenologie beschreibt. Wie die gesprochene Sprache durch Tonfall, Gestik und Physiognomie des Äußernden etwas über die Bedeutungen der Worte Hinausreichendes mitteilt, so bedient die Dichtung sich einer besonderen Sprache, so dass die "existenzielle Modulation, anstatt im gleichen Augenblick, in dem sie sich ausdrückt, auch alsbald zu verfliegen, in der poetischen Ausgestaltung ein Mittel sich zu verewigen findet".

Ferdinand Schmatz schreibt zur Zeit an Gedichten zu einem Zyklus mit dem Arbeitstitel "donau". Was die Ufer der Donau säumt, was einer, der den Strom hinunterfährt, links und rechts wahrnehmen könnte, wird in diesen Gedichten sprachlich gestaltet: Naturgegenstände wie ein Garten, eine Wiese, Blumen, aber auch soziale und kulturelle Bereiche wie "volk", "volksgarten", "die halbe welt".

Wie wir einen Garten und was wir von ihm wahrnehmen, ist mehr als die Aufzählung der in ihm in einem Augenblick betrachtbaren Gegenstände und Vorgänge. Wir konstruieren anhand unserer Wahrnehmung ein Bild des Gartens, das mit aus dem Gedächtnis wachgerufenen Erinnerungen ebenso zusammenhängt wie mit unseren Projektionen aus dem konkret Gesehenen, Gehörten, Geschmeckten, Gerochenen etc. in zukünftige Zusammenhänge, oder, mit dem letzten Vers des Gedichts gesagt: "kommt alles was war sein wird bar".

Naturlandschaft

In dem auf Seite 4 abgedruckten Gedicht wird auf den ersten Blick das geläufige Inventar des Gartens (Gräser, Boden, Erde, Samen, Kübel, Bock, Blüten, Knospen, Kruste, Stamm, Fliegen, Hummeln/Bienen, Honig) in eine erzählende Abfolge gebracht, der übliche Vorgänge und Entwicklungsstufen von Pflanzen und im Garten entsprechen (sich wiegen, streuen, stäuben, fliegen, knospen, riechen etc.). Dadurch schreibt sich das Schmatz'sche Gedicht in die Tradition der dichterischen Darstellung eines literarischen Topos ("locus amoenus") ein. Mit diesem Topos wird geläufig eine fruchtbare oder lebendige Gegend als idealisierte Naturlandschaft dargestellt und als Metapher für die menschliche Existenz mit Werden, Lieben und Vergehen ausgestaltet.

Lautliche Ähnlichkeiten

In Schmatz' "garten" jedoch wird diese Dimension um den Bezug auf die dazu angewandten dichterischen Mittel erweitert. Lautliche Ähnlichkeiten ("garten" - "warten" - "artig"; "dar" - "bar"; "war" - "wa[h]r") ziehen unweigerlich Ähnlichkeiten der Bedeutungen nach sich, solche semantischen Ähnlichkeiten sind der Ursprung einer zusätzlichen, verborgenen Bedeutung in der Dichtung.

Überhaupt wird die Ähnlichkeit oder Verschiedenheit sehr vieler der formalen Elemente in dem Gedicht im Hinblick auf die Ähnlichkeit und/oder Verschiedenheit in der Bedeutung ausgewertet. Wo ein Wort im Bezug auf ein anderes im Gedicht auf dem Weiß der Buchseite steht, wird dabei ebenso wichtig, wie die Beziehung zwischen Wörtern, die dieselbe grammatische Funktion haben, z.B. die Zeitworte im Partizip Präsens ("streuend", "zuckernd", "steigend", knospend"). Mehrdeutigkeiten von Wörtern, z.B. "stammt" für "Baumstamm" und "stammen" im genealogischen Sinn, "summen" für den Schwirrlaut der Bienen und das Ergebnis einer Addition, "knistern" für "leise knackende Geräusche von sich geben" und im Sinne von "knisternder Leidenschaft", werden in diesem Gedicht konsequent dazu benützt, aus dem Bereich der Flora und Fauna in den Bereich menschlicher Existenz und ihr Werden, Fortpflanzen und Vergehen zu übertragen. Eine solche Analyse der Struktur des Gedichts ließe sich auf sehr viele seiner Elemente erweitern, ja, sie würde kaum erschöpfend abschließbar sein.

Die vielen Sinne

Üblicherweise wird aus dieser Überlagerung von formalen und semantischen Teilen im Gedicht der folgende Schluss gezogen: Vielleicht legen Gedichte durch ihre sprachliche Gestalt verborgene Eigenschaften der Dinge und Verhältnisse offen, die jenseits der Erfahrungen, die man beim Lesen dieser Gedichte macht, unbemerkt, unerkannt blieben. Eine solche essenzialistische Auffassung von Dichtung kann vermieden werden, wenn man nicht auf das Wesen der Dichtung die Aufmerksamkeit richtet, sondern auf die psychischen Vorgänge bei der Produktion und Rezeption von Gedichten.

Aus einer solchen Perspektive erweist sich das Gedicht als Wahrnehmungsinstrument und -notat. Dadurch wird es gerade in Zeiten der Omnipräsenz von multimodalem Medienkonsum und der auch in den Künsten bemerkbaren Vorliebe für virtuelle Realitäten unverzichtbar. Die Überlegenheit des Gedichts gegenüber gegenwärtigen Mischmedien, die verschiedene Sinneswahrnehmungen zugleich reizen wollen, wird evident: Das Gedicht ist ein großartiger, hinsichtlich seiner Wirksamkeit unerreichter Anstoß zu multimodalen, synästhetischen Vorstellungen, die alle äußeren wie inneren Sinne verknüpfen.

Mit Hilfe dieser Vorstellungen wirkt - mit Shelley gesagt - "der Geist auf die Gedanken der Vernunft ein, als ob er sie ausmalen möchte mit seinem eigenen Licht, und aus ihnen, als Elementen, andere Gedanken zusammenfügen möchte, wobei jeder von ihnen das Prinzip seiner eigenen Integrität in sich enthält."

Thomas Eder, geb. 1968 in Linz, lebt als Literaturwissenschaftler in Wien, unterrichtet am Institut für Germanistik der Universität Wien, seit 2003 betreut er die Sparte Literatur im kunsthaus muerzzuschlag. Publikationen zuletzt: "Unterschiedenes ist / gut." Reinhard Priessnitz und die Repoetisierung der Avantgarde (2003). Zusammen mit Franz Josef Czernin (Hg.): Zur Metapher (2007). Zusammen mit Juliane Vogel (Hg.): "verschiedene sätze treten auf". Die Wiener Gruppe in Aktion (2008).

Ernst-Jandl-Preis für Lyrik 2009

12.-14. Juni 2009 in Neuberg / Mürz

Es lesen u.a. folgende Autoren: Peter Waterhouse, Urs Allemann, Nico Bleutge, Marion Poschmann, Monika Rinck, Ernest Wichner, Michael Donhauser, Sonja Harter, Steffen Popp, Lutz Seiler, Liesl Ujvary und Jan Wagner.

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