Was ist noch original?

Werbung
Werbung
Werbung

Im Ilm-Park gleich hinter dem Schloß von Weimar, nicht weit von Goethes Gartenhaus, steht ein großes Paket, dunkelblau, dick verschnürt. "SALVE" steht in weißen Lettern drauf. Sei gegrüßt: So hat Goethe schon im Haus am Frauenplan seine Gäste empfangen. Die Schrift, dort in den Fußboden eingelassen, wurde zum Logo der Kulturhauptstadt 1999. In dem geheimnisvollen Paket wird Goethes Gartenhaus in allen Details nachgebaut. Zur Schonung des Originals bei Massenansturm? Keineswegs. Beide Häuser werden zu besichtigen sein - und zu vergleichen.

Es ist die Frage nach Authentizität, die sich dabei stellt: Was ist original? Goethes Geburtshaus in Frankfurt, durch Bomben schwer beschädigt, zum Goethe-Jahr 1949 schnell wieder hergerichtet, später erneut restauriert und wie oft zwischen 1749 und 1949 verändert? Goethes Wohnhaus in Weimar, immer wieder vom Zahn der Zeit angenagt, im Innern in manchen Kleinigkeiten verändert? Jetzt wurde die biographische Dauerausstellung umgebaut zum Einblick in sein Zeitalter. Was ist noch genau so wie im Sterbejahr 1832?

Nicht zu reden vom Total-Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Das soll ein Thema der Diskussion werden in der Kulturhauptstadt 99. Man könnte es jetzt schon zum Leitfaden eines Rundgangs durch die immer noch kleine Residenz mit den großen Baukränen und plastikverhüllten Fassaden machen.

Das Deutsche Nationaltheater, zur Zeit Baustelle mit Plakaten, die zum Widerstand gegen die geplante Fusion mit dem Theater der Landeshauptstadt Erfurt rufen: Wird es im kommenden Jahr, wenn beide Teile des "Faust" und vieles andere gespielt werden noch so aussehen wie vor 80 Jahren, als hier die Weimarer Republik samt Verfassung entstand? Im selben Jahr 1919 übrigens, als gegenüber, in der Remise von 1823, das "Staatliche Bauhaus" einzog, das dann 1925 nach Dessau übersiedelte. Seit 1995 ist es ein Bauhaus-Museum.

Ein Abstecher zum Jakobs-Kirchhof, der ältesten Begräbnisstätte Weimars (1168 bis 1818). Hier finden wir den Grabstein von Lucas Cranach d. Ä. - eine Kopie. Das Original steht in der sogenannten Herder-Kirche, wo sein großes Altarbild zu bewundern ist. Prominentestes Grab auf dem Jakobs-Friedhof ist das der Christiane Goethe, geb. Vulpius: eine efeugefaßte Platte mit zwei Rosenbäumchen am Kopfende. Die letzten Rosen hat soeben der Frost getötet. An der Ecke das "Kassengewölbe", wo vielerlei Weimarer Prominenz beigesetzt wurde, darunter Friedrich Schiller.

Aber dort sind ja die Gebeine Schillers nicht geblieben. Sie ruhen neben denen Goethes in der Fürstengruft auf dem "Historischen Friedhof". Die beiden Klassiker, die so unendlich viel für das Ansehen Weimars getan haben, wurden würdig befunden, neben den Sarkophagen von Großherzog Carl August und seiner weitläufigen Verwandtschaft zu ruhen. Die DDR hatte die Akzente verschoben. Die Dichter-Särge, als Vertreter des "Nationalen Kultur-Erbes" bildeten den Mittelpunkt. 1994 hat man wieder umgestellt. Die beiden vornehmen Eichensärge stehen unübersehbar gleich am Eingang, aber der fürstliche Mäzen hat mit seinem Prunk-Sarkophag doch einen zentralen Platz. Original?

Für die Schwiegertochter Carl Augusts, Großfürstin Maria Pawlowna von Rußland, wurde eine russisch-orthodoxe Grabkapelle angebaut, heute zugleich Kirche der thüringischen Orthodoxen. Der Pope aus Rußland hat sich in wenigen Jahren großes Ansehen erworben. Er hat eine schöne Stimme für den Kirchengesang und malt auch Ikonen.

Die 60.000 Einwohner-Stadt mit ihrem großen Kultur-Erbe, wo an jedem dritten Haus eine Gedenktafel hängt, kann trotz Milliarden-Hilfe von Land und Bund nicht alles auf einmal schaffen. So wird auch Eckermann noch eine Weile warten müssen, bis sein Wohnhaus (vielleicht durch Einzug eines Gasthauses) wieder ansehnlich wird. Aber original?

Weimar war wohl immer etwas zu klein für seine große Erblast. Schon zur "silbernen Zeit", als Franz Liszt Hofkapellmeister war und Wagners "Lohengrin" uraufführte. Später hat er in seinem Haus (das ziemlich original wirkt) nur noch Sommerwochen verbracht. Der Kleinstadt-Klüngel hatte ihn vergrault, als zur Uraufführung von Peter Cornelius' "Barbier von Bagdad" ein Skandal provoziert wurde. Und auch das Bauhaus mußte weichen, weil den Bürgern das lockere Künstlervölkchen mißfiel.

Nun aber soll alles anders werden. Die "Kulturstadt GmbH" legt sich ins Zeug, entwickelt unzählige Ideen, muß vor allem die 32 Veranstalter in Weimar und den benachbarten Städten koordinieren. Die "Stiftung Weimarer Klassik" ist die größte und potenteste. Ihr gehören nicht nur viele Liegenschaften, Museen, Gedenkstätten, Parks. Sie ist auch für die Forschung zuständig und lockt zu wissenschaftlichen Veranstaltungen Gelehrte aus aller Welt an.

Als Schauplätze von Konzerten und Theatergastspielen hat man längst die ehemalige Viehauktionshalle, die "Hetzer-Halle" (wo nach 1945 die Sowjet-Armee Wehrsport betrieb) oder die Halle Roter Oktober in die Pflicht genommen. "Roter Oktober" ist natürlich ein Name aus DDR-Zeiten, der dreischiffige Industriekathedralenbau stammt aber aus Frankreich, wo 1941 zwei Fabriken demontiert und in Weimar zusammengefügt wurden. Das Mittelschiff dient Veranstaltungen, die Seitenschiffe werden Ausstellungen aufnehmen. Natürlich gibt es auch elegante Konzertsäle, etwa in den Schlössern. Oder in einem Zubau zum Komplex des Schlosses Belvedere mit seinem weitläufigen Park. In den ehemaligen Kavaliershäusern sind die "Musik-Universität" und das "Musik-Gymnasium" untergekommen. Der Neubau bietet einen vielseitig nutzbaren Konzertsaal.

Zusammen mit der "Bauhaus-Universität" (Schwerpunkt Architektur und Design) hat Weimar nur zwei Hohe Schulen. Die Bauhaus-Universität wurde schon zur Hilfe gebeten, als es galt, in der Flut der zu erwartenden Souvenirs dem unvermeidlichen Kitsch geschmackvolle Neuheiten entgegenzusetzen. Wie man's macht, zeigt der Laden der Stiftung, wo es zwar hauptsächlich Bücher gibt, aber auch zum Beispiel eine Fußmatte mit dem "SALVE"-Logo. Was allein Goethe für die Verlags-Reproduktionen hergibt, ist immer wieder erstaunlich. Dabei sind die anderen Wahl-Weimarer, von Wieland, Herder bis Keyserling und Gropius noch gar nicht berücksichtigt. In Weimar findet man aber auch Denkmäler von Shakespeare, Puschkin, Petöfi ...

Was aber ist mit dem Gingko? Der aus Asien zugewanderte Baum, dessen Blättern Goethe ein berühmtes Gedicht gewidmet hat, existiert noch in einem Exemplar aus seinen Tagen. Man hat immer wieder nachgepflanzt. Insgesamt 100 mag es heute geben, davon 20 größere. Aber die Früchte sind in diesen Breiten nicht keimfähig.

Man muß die kleinen Pflänzchen etwa aus Italien oder von der Krim holen. Aussterben dürfen sie nicht. Zu oft kommen die geteilten Blätter hier vor: Reisebüro "Gingko-Tours", Asien-Restaurant, die Gold- und Silber-Nachbildungen in den Juwelier-Läden und vor allem die vielen Süßigkeiten. Doch der Gingko macht dem obersten Gärtner der Stadt viel weniger Sorgen als die vielen Touristen. Und die Zerstörung durch Vandalen, die in Weimar ebenso fleißig sind wie die Sprayer, die sich über jedes frisch restaurierte Haus freuen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.