Was wir schon immer von Schubert wussten

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Das Schauspielhaus Wien zeigt mit "Der Doppelgänger - nicht zu geschwind, doch kräftig“ den Auftakt zur neuen Serie "Schubert. Eine Winterwanderung in 5 Folgen con da capo“.

Jahr für Jahr macht sich das im Alsergrund, dem neunten Wiener Gemeindebezirk beheimatete Schauspielhaus zu theatralen Nachbarschaftserkundungen auf. Nach Heimito von Doderer und dessen Roman "Die Strudelhofstiege“ (2007/08) und Sigmund Freud (2008/09) steht heuer wieder ein berühmter ehemaliger Bewohner des Bezirks im Zentrum. Diesmal soll Franz Schubert, der in der heutigen Nußdorferstraße 54 (damals Wien-Lichtental) geboren wurde, und dessen 1823 komponierter Liedzyklus "Die schöne Müllerin“ Ausgangspunkt von fünf theatralisch-musikalischen Etappen und eines Pilot-Abends sein.

"Schubertiaden“ als Fluchtorte

Laut Ankündigung soll es aber um mehr als eine bloß musikalisch-biografisch-geografische Erkundung von Schuberts viel zu kurzem Leben gehen. Vielmehr handle es sich um eine "besondere Praxis der Kunstproduktion“. Gemeint sind damit jene bürgerlichen Salonkonzerte, die ab 1821 "Schubertiaden“ genannt wurden und die nicht nur die Herausbildung und Repräsentation des bürgerlichen Geschmacks bedeuteten, sondern im Kontext einer repressiven Staatskontrolle vor allem auch Orte waren, bei denen, jenseits des Zugriffs der Metternich’schen Zensur, Politik verhandelt werden konnte. Die nicht unbescheidene Frage, die sich das Team um die Regisseure Carina Riedl und Rudolf Frey sowie die Dramaturgin Brigitte Auer gestellt hat, lautet, "wie und wo heute, in einer Zeit, in der das Bildungsbürgertum wegbricht, Kunst produziert und rezipiert wird“. Ungeachtet dessen, ob das eine wichtige Frage ist, darf man gespannt sein, wie der Brückenschlag vom Biedermeier in die heutige Zeit mit Schubert als Zentralfigur gelingen wird.

Der vom jungen Dramatiker Thomas Arzt und der Regisseurin Carina Riedl verfasste Pilot mit dem Titel "Der Doppelgänger“, der vergangenen Samstag den Auftakt zur Serie bildete, interessierte sich für diese Frage noch nicht.

Benannt ist das auf der Hauptbühne in der Porzellangasse inszenierte Stück nach einem Gedicht von Heinrich Heine, das Schubert 1828, im Jahr seines frühen Todes, vertont hatte und das erst posthum Eingang in den Liederzyklus "Schwanengesang“ fand. Anders als in Heines Gedicht steht nicht jene bleiche Gestalt, die am ehemaligen Wohnort der entschwundenen Geliebten verharrt und sich ganz ihrem Liebesleid ergibt, im Zentrum. Zwar tritt die schöne Müllerin schon auf (Franziska Weisz) - als Vorschein der durchwegs unglücklichen Liebschaften und vor allem Verliebtheiten Schuberts (?) und als Reminiszenz an den Liederzyklus, in dem ein junger Wanderer seine Angebetete an einen Jäger verliert - aber sonst wird in der gut einstündigen Aufführung in knappen Sätzen vor allem Biografisches ausgebreitet, wobei sich fünf junge, recht unerfahrene Darsteller (Johanna Elisabeth Rehm, Erwin Belakowitsch, Stephan Delany, Hannes Pendl und Sebastian Zeleny) die Rollen aus Schuberts Familie und Freundeskreis wie auch die von Schubert selbst teilen. Wer gerade Schubert ist, wird jeweils durch die randlose Drahtbrille markiert. Höhepunkte des Abends aber bilden die von Erwin Belakowitsch gesungenen Liedteile, die von Stephan Delany am Klavier begleitet werden und eine leise Ahnung von der komponierten Affektenlehre des Schubert-Liedes geben.

"Verschicksalt mit dem Tod“

Sonst ist viel von Schubert-Bildern die Rede: Schubert als einsamer Wanderer, als unglücklich liebender Biedermann, als Melancholiker, "verschicksalt mit dem Tod“, dem man das Glück aus der Biografie gestrichen hat, oder als Rebell gegen väterliche Autorität und gar als Aufrührer gegen Metternich oder als Vorreiter einer homosexuellen Subkultur. Schließlich erfahren wir einiges über seine Herkunft und schwierige Kindheit: Die beengten Lebensverhältnisse im "Haus zum Roten Krebsen“, der frühe Tod der vielen Geschwister (von 16 Kindern wurden nur fünf älter als ein Jahr), die erste Ohrfeige, die Karriere als Sängerknabe, die durch den einsetzenden Stimmbruch ein jähes Ende findet, dürfen ebenso wenig fehlen wie der frühe Wunsch Komponist zu werden aus der unerschütterlichen Überzeugung für nichts anderes als zum Komponieren auf die Welt gekommen zu sein, was ihm vom Vater prompt als Verstocktheit ausgelegt wird.

Vieles von dem ist allzu bekannt, vieles was interessant wäre - etwa die Modernität Schuberts in der Auslegung des Klaviersatzes oder die so zentrale Figur des Wanderers - bleibt ausgespart oder wird bloß flüchtig angedeutet. Als Pilot hat der Abend seine Aufgabe nur bedingt erfüllt. Zwar bekommt man kaum eine Idee davon, was an Schubert heute interessiert, aber letztendlich kann auch das neugierig machen …

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