Weder atonal noch banal

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Opernkomponist zwischen Wagner und Strauss: Wilhelm Kienzl zum 150. Geburtstag.

Selig sind, die Verfolgung leiden - diese Tenorszene mit Kinderchor durfte bis vor gar nicht allzu langer Zeit in keinem Wunschkonzert fehlen und war ähnlich beliebt wie die Altarie O schöne Jugendtage. Beide Nummern sind in der einst viel gespielten Oper Der Evangelimann des aus Oberösterreich stammenden Komponisten Wilhelm Kienzl enthalten - eines der wenigen Werke, das in der Zeit nach den Musikdramen von Richard Wagner (1882 war mit Parsifal das letzte Werk des Bayreuther Meisters zu Uraufführung gekommen) und bevor Richard Strauss mit Opern wie Salome (1905) und Elektra (1909) für Furore sorgte, einen dauerhaften Platz im Repertoire der Bühnen gefunden hat.

Vergleichbar ist der Evangelimann in diesem Sinne mit Hänsel und Gretel (1893) von Engelbert Humperdinck und Tiefland (1903) von Eugen d'Albert. Auch Humperdinck und d'Albert hatten sich von dem "übermächtigen" Richard Wagner zu lösen versucht; Humperdinck hatte Erfolg mit märchenhaft einfachen Stoffen (ganz im Gegensatz zu den "weltumspannenden" Themenkreisen Richard Wagners), d'Albert übernahm Grundtendenzen des zu dieser Zeit aufblühenden italienischen Verismo auf die deutsche Opernbühne (einfache Menschen bevölkerten seine Opern im Gegensatz zum Wagnerschen Götterpersonal) - und Kienzl fand im Volkstümlichen das ihm ideal liegende Metier.

Waizenkirchen-Graz-Wien

Geboren wurde Wilhelm Kienzl am 17. Jänner 1857 in Waizenkirchen, wo heute eine Dauer-Ausstellung im Geburtshaus an den großen Sohn der Gemeinde erinnert. 1861 zog Kienzl mit seiner Familie nach Graz, erhielt dort Violin-und Klavierunterricht (ab 1872 unter anderem bei dem Chopin-Schüler Louis Stanislaus Mortier de Fontaine), übersiedelte 1874 nach Wien, wo er zu den Studenten von Eduard Hanslick gehörte, und setzte danach seine Studien in Prag, Leipzig und für kurze Zeit auch bei Franz Liszt in Weimar fort.

In diesen Jahren begannen seine Besuche der Bayreuther Festspiele; ein Leben lang blieb Kienzl ein Bewunderer der Musik Richard Wagners - und daran hatte auch ein Streit mit dem verehrten Meister in den späten 1870er Jahren um die Bedeutung von des von Kienzl geschätzten, von Wagner abgelehnten Robert Schumann nichts geändert: 1873 war Kienzl Mitgründer des "Grazer Richard Wagner-Vereins", eine Vorform der heutigen Österreichischen Richard Wagner-Gesellschaft.

Nach seiner Promotion bei Eduard Hanslick über die musikalische Deklamation reiste Wilhelm Kienzl ab 1879 als Dirigent und Pianist durch ganz Europa, später ließ er sich erneut in Graz nieder, ab 1917 lebte er in Wien. Hier starb seine erste Frau, die Linzer Sängerin Lilli Hoke - er hatte sie bei den Bayreuther Festspielen kennen gelernt. 1921 heiratete er erneut: die Schriftstellerin Henny Bauer; sie schrieb für ihn die Libretti zu seinen letzten Opern und machte die Kienzl-Wohnung in Wien durch regelmäßige Sonntags-Matineen zu einem gesellschaftlichen und künstlerischen Treffpunkt.

"Renner-Kienzl-Hymne"

Längst galt Kienzl als allgemein geschätzter und verehrter Komponist, was sich auch darin zeigt, dass er von Karl Renner 1929 gebeten wurde, auf ein vom Staatskanzler selbst verfasstes Gedicht eine neue Nationalhymne zu komponieren (allerdings wurde diese "Renner-Kienzl-Hymne" von der Öffentlichkeit nicht akzeptiert und deswegen durch eine andere Hymne ersetzt.)

Nach 1926 schrieb Kienzl nur noch vereinzelt neue Werke und gab die Komposition schließlich ganz auf: "Mich macht die Moderne ganz irre; ich kann und will nicht atonal sein, aber ebenso wenig banal und veraltet", liest man in den 1920er Jahren in Kienzls Tagebuch - und einige Jahre später: "Komponiert habe ich fast nichts, da mich die Richtung, die heute die Musik genommen, tief verstimmt, ja mir Hemmungen bereitet."

Am 3. Oktober 1941 verstarb Kienzl in Wien und wurde auf dem Zentralfriedhof in einem Ehrengrab beigesetzt. Mit seinem Tod begann auch das Interesse an seinen Werken abzuflauen - obwohl selbst ein Neuerer wie Richard Strauss äußerte: "Schade, dass man immer noch nicht begriffen hat, was Wilhelm Kienzl für die deutsche Oper bedeutet."

"Musikalisches Schauspiel"

Ein umfangreiches Schaffen hat Wilhelm Kienzl hinterlassen - eine Vielzahl von Liedern und Chören, Klavierwerke, kammermusikalische Kompositionen, sowie Orchesterwerke. Seine Hauptbedeutung liegt aber in seinem Schaffen für das Musiktheater. Er kreierte in gewisser Weise die Gattung des "Musikalischen Schauspiels" und darf in der Entwicklungsreihe der spezifisch österreichischen Volksoper als einer der letzten bedeutenden Repräsentanten dieser Gattung gelten. Für sie ist eine Mischung aus heimatlichen, romantischen und veristischen Elementen charakteristisch.

Kienzl teilte den romantischen Hintergrund und die romantische Prägung seiner Zeitgenossen, ein Revolutionär war er dagegen nie, ist in seinen musikalischen Stimmungsmalereien nie bis in impressionistische Sphären vorgestoßen und hat auch das überdimensionierte Orchester eines Richard Strauss nie verwendet. Seine Haltung als Opernkomponist war eindeutig:

Wenn wir heute auch über die der Musik so eng verbündete Romantik hinaus sind, so gibt es doch noch immer übersinnliche Momente genug, die der Beihilfe der Musik nicht entraten können; und das Leben hat so viel Dämonisches, im Unterbewusstsein sich Abspielendes, in Worten kaum erschöpfend Ausdrückbares an Herzens-und Sinnengeheimnissen, dass es auch heute noch immer Gelegenheit genug gibt, der Musik im Drama zu ihrem Rechte zu verhelfen, so dass es nicht nötig ist, sie nur zum Frondienste der Begleitung und Charakterisierung brutaler äußerer Vorgänge zu erniedrigen. Ihr Reich ist das Übersinnliche, und ihre Aufgabe, es den Sinnen zu vermitteln.

Volksopern-Aufführung

Welche Qualitäten abseits der oben genannten Ohrwürmer in Kienzl-Oper Der Evangelimann steckt, hat die Volksoper Wien bei einer erfolgreichen, mittlerweile auch auf DVD verewigten Produktion dieser Oper im April dieses Jahres bewiesen (im Januar und Februar 2007 wird sie wieder auf dem Spielplan stehen), einer Rarität aus dem zehn Werke umfassenden Opernschaffen Kienzls hat sich dagegen das Linzer Landestheater angenommen: dort steht seit Anfang Dezember die zweiaktige musikalische Komödie Das Testament auf dem Spielplan (mit einer Festaufführung des Werkes am 17. Jänner 2007 wird man in Linz auch des 150. Geburtstags von Wilhelm Kienzl gedenken).

"Das Testament" ...

Das 1916 in Wien uraufgeführte und seit rund 80 Jahren nicht mehr gespielte Stück, zu dem Kienzl selbst das Libretto verfasst hat, erinnert thematisch ein wenig an Puccinis Gianni Schicchi: da wie dort gerät man hinsichtlich eines Testaments in Streit, nur dass bei Kienzl der vermeintlich Tote höchst lebendig ist und durch diese Intrige erkennen muss, dass er bei seinen vielen "Freunden" nur seines Geldes wegen beliebt war. Während im zweifellos kürzbaren ersten Teil dieses Werkes das Volkstümliche etwas überstrapaziert erscheint, zeigt sich Kienzl im zweiten Teil in der Mischung von Komischem und Tragischem, von Spielerischem und menschlich Bewegendem als versierter Meister seines Metiers.

... am Linzer Landestheater

Ingo Ingensand bewährte sich am Pult des nicht immer ganz korrekt musizierenden Bruckner-Orchesters als kompetenter Sachwalter der Musik Kienzls und führte ein Ensemble durch den Abend, das mit viel gesanglicher und szenischer Einsatzfreude bei der Sache war, insbesondere Klaus-Dieter Lerche als der das Testament schreibende Bürgermeister, Cassandra McConnell als dessen Mündel, Hans-Günther Müller als Bader und William Mason als Gaderer. Und für die Wirtshausmusik - man spielt in Andreas Baeslers Inszenierung und in Harald B. Thors Bühnenbild in einer dörflichen Wirtsstube der 1970er Jahre, wie man sie noch immer bei Landpartien finden kann - wurde sogar der Musikverein von Kienzls Geburtsort Waizenkirchen verpflichtet.

"Man bezeichnet mich seit Jahren als ,volkstümlichen Künstler'", hat Wilhelm Kienzl einmal gesagt. "Ich habe das nie als eine Herabsetzung empfunden, sondern stets für einen Ehrentitel gehalten." Die Oper Das Testament ist ein durchaus hörenswertes klingendes Beispiel dafür.

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