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In Wien erinnern zahlreiche Straßen an das "Dritte Reich". Die Furche begibt sich auf Entdeckungsreise und klärt, warum es die Anschlussgasse noch gibt.

Wien Donaustadt. Vienna International Center. Hier, im Schatten der mächtigen Gebäude der UNO-City, findet sich ganz unscheinbar eines der vielen Mahnmale der Stadt, die an die Zeit von 1938 bis 1945 erinnern. Die Aristides-de-Sousa-Mendes-Promenade, eine kleine Straße, die den Namen des "portugiesischen Schindler" trägt. Aristides de Sousa Mendes war während des "Dritten Reichs" Diplomat in Bordeaux und ermöglichte etwa 30.000 Menschen, darunter 10.000 Juden, per großzügig ausgestellten Durchreisevisa die Flucht durch Franco-Spanien nach Portugal.

Wenige Meter entfernt, ebenso unscheinbar und klein, liegt die Isidro-Fabela-Promenade. Auch er war Diplomat, allerdings aus Mexiko und in Den Haag tätig. Fabela übergab 1938 dem Völkerbund die einzige Protestnote gegen den "Anschluss" Österreichs an Deutschland. Eben diesem Protest verdankt auch der Mexikoplatz gleich am anderen Donauufer seinen Namen.

Etwas weiter flussabwärts, zwischen Praterstadion und Südost-Tangente, wurde erst 2006 die Ichmanngasse zur Simon-Wiesenthal-Gasse umbenannt. Nicht unbedingt, um Ichmann loszuwerden - auch wenn er sehr wohl NSDAP-Mitglied war - sondern eher, um den berühmten Simon Wiesenthal direkt am neuen Campus der Israelitischen Kultusgemeinde zu würdigen.

Umbenannt oder nicht?

Auch auf der anderen Seite der Leopoldstadt, am Donaukanal, wird man schnell fündig. Zwischen Nestroyplatz und Unterer Donaustraße liegt hier die Tempelgasse, die schon seit 1862 nach der hiesigen Synagoge benannt ist. Wie so viele andere Straßennamen mit jüdischem Hintergrund wurde auch sie 1938 von den Nationalsozialisten umbenannt. Von 1938 bis 1945 hieß sie Mohapelgasse, nach Josef Mohapel, dessen Ermordung 1925 den Sozialdemokraten angelastet und zu einer riesigen Demonstration für den Anschluss Österreichs genutzt wurde.

Umbenennungswellen wie diese, so Peter Autengruber, Autor des "Lexikons der Wiener Straßennamen", passieren im Zusammenhang mit den meisten politischen Machtumbrüchen. "So sind 1919 die Habsburger fast komplett aus dem Straßennetz verschwunden, genauso wie 1934 die Sozialdemokraten und 1938 die Austrofaschisten und die Juden. 1945 bis 1949 gab es dann eine erste große Rückbenennungswelle. In der sowjetischen Besatzungszone hat es noch bis 1955 gedauert."

Überraschenderweise war eine Rückbenennung der Judengasse und auch des Judenplatzes im ersten Bezirk nie notwendig. Warum diese beiden Bezeichnungen von einer Umbenennung durch die Nationalsozialisten verschont geblieben sind, weiß heute niemand mehr. Am Ende der Judengasse befindet sich außerdem der Desider-Friedmann-Platz, der bis 1990 ein Teil des Fleischmarkts war. Friedmann war von 1933 bis 1938 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde und wurde 1944 zusammen mit seiner Frau Ella in Auschwitz ermordet. Sie und die 65.000 anderen Ermordeten werden auch vom "Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah" am Judenplatz gewürdigt, das von einer Initiative des bereits erwähnten Simon Wiesenthal ausging und im Jahr 2000 fertiggestellt wurde.

Im Gegensatz zu Judengasse und Judenplatz musste der Rathausplatz sehr wohl eine Namensänderung über sich ergehen lassen. Er trug von 1938 bis 1945 den Namen Adolf Hitlers, genauso wie auch der Inzersdorfer Kirchenplatz, der Kalksburg-Kirchenplatz, der Maurer Hauptplatz und die Ketzergasse im 23. sowie der Josef-Palme-Platz im 14. Bezirk.

Doppelter Schlesinger

Ein weiteres Kuriosum, was Um- und Rückbenennung von Straßen angeht, findet sich etwas weiter stadtauswärts, an der Florianigasse. Der Schlesingerplatz vor dem Amtshaus des achten Bezirks hatte ursprünglich seinen Namen von dem Reichsratsabgeordneten und Rektor der Universität für Bodenkultur, Josef Schlesinger, der überdies zum Beispiel von Karl Kraus heftig für seine antisemitischen Äußerungen kritisiert wurde. Schlesinger starb 1901 und der Platz hieß von 1938 bis 1945 Conrad-Hötzendorf-Platz, nach einem hochrangigen Offizier in der k.u.k. Armee im Ersten Weltkrieg. Nach der Rückbenennung 1945 blieb Schlesingers antisemitische Orientierung lange Zeit unbeachtet, bis sich der Bezirksvorstand 2006 zu einer Umwidmung entschloss. Unter Zustimmung der zuständigen MA 7 behielt der Schlesingerplatz zwar seinen Namen, verweist aber fortan auf die sozialdemokratische Politikerin und Frauenrechtlerin Therese Schlesinger, die 1939 aus Österreich flüchtete. Laut Peter Autengruber ein Glücksfall für die Stadt Wien, denn durch die Namensgleichheit konnten die Kosten für die Adressänderungen, die sonst mitunter sehr hoch ausfallen können, gespart werden.

Josef Schlesingers antisemitische Einstellung ist aber offensichtlich nicht in ganz Wien bekannt. Der Name der Josef-Schlesinger-Gasse im 14. Bezirk sei nämlich bis dato noch nicht hinterfragt worden, heißt es vom Bezirksvorstand. Paradox, denn sie hat sogar einen sehr prominenten Nachbarn. Hier ist seit 1993 auch Franz Jägerstätter verewigt, einer der berühmtesten der insgesamt 71 Widerstandskämpfer, die sich in Wiens Straßennamen finden.

Kurios, dass gerade hier auch einer der wohl am häufigsten missverstandenen Straßennamen der Stadt zu finden ist. Die Anschlussgasse hat nämlich mit dem Thema dieses Dossiers gar nichts zu tun. Ihr eigentlicher Hintergrund ist im Gegenteil recht banal: Sie stellte bei ihrer Benennung 1914 schlicht und einfach den Anschluss zur Nachbarsiedlung dar.

Lexikon der Wiener Straßennamen

6., überarbeitete Auflage

Von Peter Autengruber

Pichler Verlag, Wien 2007,

268 Seiten, brosch., € 19,90

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