Wege ins Nichts: Aufgepasst!

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Der Betrug ist eine Wachstumsbranche. Das Geschäft mit Heilsversprechen aller Arten blüht. Angst, Gier und Lust bereiten den Boden.

Sie tun es nicht, und Sie auch und Sie auch nicht? Schön. Willkommen in einer statistischen Minderheit. Denn sechzig Prozent der Zeitungsleser lesen ihr tägliches Horoskop in (mindes-tens) einer Tageszeitung. Ist es gut, freut man sich, ist es schlecht, denkt man - so ein Blödsinn. Also können Sie es ruhig zugeben … Es ist allerdings ein Unterschied, ob Sie es als vergnüglichen Teil eines vielfältigen Medienangebots zu sich nehmen, oder ob Sie Ihr Verhalten daran ausrichten. Man kann ja nie wissen …

Alte und neue Nepp-Geschichten

Wer Lotto spielt, hat statistisch kaum eine Chance auf einen Hauptgewinn. Aber irgendwie kennt jeder jemanden, der einen kennt, der schon einmal richtig viel gewonnen hat; und beim letzten Mal waren die gespielten Zahlen ohnehin beinahe die richtigen. Und der Einsatz ist gering. Wer möchte nicht dem Glück eine Chance bieten?

Manche wollen aber nicht auf das Glück warten, sondern helfen ihm nach. Sie greifen in die Taschen anderer. Sie plündern alte Menschen aus und hauen jüngere übers Ohr. Sie üben auf die Kinder Druck aus und bedrohen sie mit sozialer Abseitsposition. Sie schaffen Abhängigkeiten und entwickeln ausgefeilt-subtile Bedrohungs- und Verheißungsszenarien. Sie arbeiten mit allen Tricks. Zum Teil sind es die seit Jahrhunderten bekannten Nepp-Geschichten. Warum sollte man Erfolgsmodelle aufgeben? Die klassische "Heizdecke“ bei der Kaffeefahrt ist immer noch ein Renner. Wenn man Glück hat, funktioniert das Klumpert nicht, dann kann man es getrost entsorgen, um einiges Geld ärmer, aber dafür um eine Erfahrung reicher. Wenn man Pech hat, setzt die Heizdecke das Bett in Brand. Zum andern Teil sind es neu entwickelte Geschichten. Erfindungsreich, sorgfältig durchdacht. Systematisch und mit ausgeklügelter Psychologie werden Menschen unter Druck gesetzt. Und jeder Mensch - jeder! - hat so seine Einfallspforte. Lust, Gier und Angst sind die Namen der allegorischen Reiter, die schon bei Nestroy in die Seele preschen.

Es ist ja nicht so, dass es keiner wüsste. Jeden Tag steht in der Zeitung - oft durchaus in der Nähe zum Horoskop - ein kleiner oder großer Bericht über den Enkeltrick, mit dem Telefonanrufer alte Menschen in Bedrängnis und um Summen bringen, die das Innenleben eines Sparschweins bedeutend übersteigen. Manchmal sind es die Ersparnisse eines Lebens, die da binnen Stunden den Besitzer wechseln. Und es ist wie beim Lottogewinn - kaum tippt man mit einer solchen Geschichte an, kennt jeder jemanden, der jemanden kennt, dem das auch passiert ist; der auch Anrufe bekommen hat. Selbst wenn nur jeder hundertste Versuch zum kriminellen Ziel führt - der systematische Betrug feiert tägliche Feste. Die Telefonkeilerei für Lottospiele, absurde Spam-Mails, in denen Millionärswitwen und Diktatorengünstlinge einem die Hälfte ihres Vermögens anbieten - andienen förmlich! - wer kennte sie nicht?

Doch so absurd die Meldungen auch sein mögen, die Wirkung dieses dummen Zeugs ist da, irgendeiner findet sich immer, der es eh durchschaut hat, aber just in seinem Fall ist das anders. Die Nigeria-Connection lacht und dankt … So wie bei der großen Liebe, die eine blonde Natascha aus irgendwo schwört, die aber darum bittet, doch wenigstens die Reisekosten vorab zu überweisen, dann würde sie sofort in die sehnsüchtig ausgebreiteten Arme fliegen … Doch ach, Natascha kommt nicht, das Geld aus der Wüste kommt nicht, die Zahlungen der Millionärswitwen lassen auch auf sich warten, und plötzlich fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Wie konnte man übersehen, dass internationale Banken normalerweise nicht von Privat-E-Mail-Adressen schreiben und für gewöhnlich nicht 66 Rechtschreibfehler in einem Brief machen. Das Geld ist futsch, wer hartnäckig danach forscht, verheddert sich in einem Gestrüpp, und es bleibt ihm die Enttäuschung. Und für ganz Hartnäckige kann der Traum von den Phantastrilliarden auch schon einmal mit einem Pflas-ter auf der Nase enden.

Die Angst vor Einsamkeit, die Angst vor dem Tod sind starke Motive, sich Unbekannten anzuvertrauen. Wer von der Schulmedizin austherapiert ist, sucht seine Hoffnung woanders und gerät oft in die Fänge von Heilsversprechern, für die der Begriff des Kurpfuschers eine Schmeichelei wäre. Die seriöse Seelenarbeit hochqualifizierter Therapeuten wird von den buntschillernden Angeboten der obskursten Gaukler überdröhnt, so blöd kann ein Sinn gar nicht sein, dass er nicht seine Sucher und Käufer fände. Denn darauf reduziert sich alles - es werden Käufer gesucht, die für eine Handvoll Ramsch ein Vermögen bezahlen; die teilnehmen am Pyramidenspiel der Seminaranbieter und Sekten; die für Hotlines ins Glück mit Kristallkugel-Deuterinnen telefonieren und leider nicht sehen, welche Gebührenzähler mitrennen; die Menschen bereitwillig die Wohnungstür öffnen, wenn sie denn nur irgendeine Art von Glücksverheißung in der Tasche oder auf den Lippen haben.

Ewige Schnäppchenjagd

Aufklärung ist ein Kitt im gesellschaftlichen Fundament, und wir sind einander eine gewisse Achtsamkeit schuldig. Das mag ja altmodisch klingen, doch sei es drum. Die technische Entwicklung, all die vielen tollen neuen und bunten und unentbehrlichen und unverzichtbaren, heute frisch auf den Markt geworfenen und morgen überholten Dinge überfordern Ältere und Jüngere gleichermaßen. Da geht es nicht um das Belächeln ("ich habe versehentlich das Internet gelöscht“), sondern um das aufmerksame Zuhören, wenn von seltsamen Anrufen erzählt wird und von obskuren Gestalten, um das Bestärken in der Aufmerksamkeit, statt des Abwiegelns und genervt Weghörens. Die "Geiz ist geil“-Kampagnen aller Art haben den Konsumalltag zu einer ewigen Schnäppchenjagd gemacht - der ideale Nährboden für Schwindler aller Art, Glückserwartungen zu bedienen, schnellen Gewinn zu versprechen und auch zu machen - allerdings in die eigene Tasche. Und dafür versprechen sie alles - und sei es das Blaue vom Himmel.

Das Blaue vom Himmel!

Vom täglichen Griff in unsere Tasche.

Von Reinhard Deutsch, Styria premium 2013, 288 Seiten, geb., e 24,99

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