Wege zur Toleranz, arabisch übertitelt

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Gedanklich unscharf, handwerklich strittig - der gefeierte Puppenspieler Nikolaus Habjan inszeniert am Wiener Volkstheater den Aufklärungsklassiker "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing und tut damit niemandem etwas Gutes.

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Gedanklich unscharf, handwerklich strittig - der gefeierte Puppenspieler Nikolaus Habjan inszeniert am Wiener Volkstheater den Aufklärungsklassiker "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing und tut damit niemandem etwas Gutes.

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Skepsis war von Anfang an angebracht. Denn seitdem viele große Konflikte in der Welt zumindest im Namen der Religion geführt werden, sich die Schauplätze bis in die westlichen Städte hinein ausgeweitet haben und die Scharfmacher von der rechten Seite angesichts der Flüchtlingsbewegungen vor der islamischen Überfremdung und Verlust der kulturellen Identität schwafeln, findet sich Lessings "Nathan" aus dem Jahr 1779 auffällig oft auf den Spielplänen der Theater.

Aber dem Stück mit der berühmten Ringparabel und dem darin entwickelten Toleranzgedanken sind weder die realen Beziehungen der monotheistischen Glaubensgemeinschaften, noch aktuelle Gewalterfahrungen, noch gesellschaftliche Verhaltensweisen oder allgemeingültige Gutmenschenhoffnungen so einfach einzuschreiben. Denn zuerst einmal propagiert der darin entwickelte Begriff von Religions-Toleranz und einer Ethik als Grundlage für die Verwirklichung dessen, was die Aufklärer einst mit Emphase die "Bestimmung des Menschen" nannten, eine rein eurozentristische Sicht. Zum anderen verleitet es, die Konflikte im Sinne der Huntington-Thesen vom "Clash of Civilisations" von ökonomischen und machtpolitischen Zusammenhängen zu entkoppeln. Ganz zu schweigen davon, dass es das Christentum oder den Islam so nicht gibt.

Haarsträubende Kulisse

Instinktsicher ist Nikolaus Habjan bei seiner Inszenierung am Wiener Volkstheater in all die Fallen getreten, die dieser vernunftoptimistische Aufklärungsklassiker missverstanden als "Stück der Stunde" bereithält. Das fängt an mit der unsäglichen Idee, es mit arabischen Übertiteln zu zeigen, was nur so zu deuten ist, den Muslimen zu signalisieren herzusehen, dann würden sie schon verstehen wie Aufklärung geht! Wir hier, die aufgeklärte, westliche Gesellschaft erklärt der Welt, was Toleranz ist!

Wenn sich der eiserne Vorhang hebt, vor dem Nathan eben von einer Reise nach Jerusalem (so der von Lessing ausgewählte Spielort, als Hauptstadt der Weltreligionen) zurückgekehrt mit seinem Köfferchen steht, gibt er den Blick frei auf sein abgebranntes Haus. Aus dem staubigen Dunkel erhebt sich aber eine von verkohlten Leichen gesäumte Ruinenlandschaft. Sie will - wie dem Programmheft zu entnehmen ist - Assoziationen zu den geschundenen Städten Syriens wecken. Auch das ist eine falsche Spur: Der Konflikt in Syrien ist kein konfessioneller, sondern einer, der im Kontext des "Arabischen Frühlings" dem Machterhalt eines verbrecherischen Familienclans sowie Machtinteressen verschiedener ausländischer Player dient.

Für Habjan hat diese auch auf andere Weise haarsträubende Kulisse (Denise Heschl, Jakob Brossmann) aber sowieso nur die Funktion melodramatischer Affekthascherei. So schickt er den bemitleidenswerten Nathan (Günter Franzmeier) unter großem Gejammer und untermalt von sentimentalen Klängen die Treppe hoch, die Leichen zuzudecken. Die Szene wird sich am Ende wiederholen: Was bei Lessing in einer emphatischen Steigerung der Aufdeckung der Verwandtschaftsverhältnisse gipfelt - so ist Recha, die christliche Ziehtochter Nathans, die Halbschwester des Tempelherrn und der wiederum Sohn des muslimischen Bruders des Sultans Saladin - endet bei Habjan im Tod aller. Begleitet von Klageliedern aller Weltreligionen deckt Nathan die unerklärlich zu Tode Gekommenen mit weißen Leichentüchern zu.

Der Patriarch eine Puppe

Wo bei Lessing die religiöse Weltfamilie als Kleinfamilie geeint wird und fortan Hort integraler Menschlichkeit sein soll, bleibt bei Habjan nur der Tod. "Was die drei Monotheismen eint, sind eigentlich die Toten, die alle drei Religionen über die verschiedenen Epochen hin fordern", sagt er dazu in einem Interview. Aha, wozu dann aber die zweieinhalb Stunden "dramatisches Gedicht" (so nannte Lessing sein Stück im Untertitel) vorher?

Habjans Inszenierung ist nicht nur gedanklich unscharf, sie ist auch handwerklich strittig. Neben der Figurenzeichnung, die nicht nur durch die Kostüme Fragen aufwirft, sondern auch in der überartikulierten, aufgeregten Sprechweise mit lauter falschen Tönen befremdet, ist vor allem der Einsatz von Habjans Klappmaulpuppen nicht unbedingt schlüssig. Die Verdoppelung des Nathan, um dessen Zerrissenheit und Ringen zu zeigen, mag ja noch irgendwie einleuchten, auch wenn man es Franzmeier durchaus zutrauen würde, das auch ohne Alter Ego zu spielen, so ist vor allem die Besetzung des Patriarchen durch eine Puppe fragwürdig. Zwar wird die Monstranz hier buchstäblich greifbar, aber eher im Sinne des Kasperltheater. Sie ist ästhetisch wenig überzeugend und schwächt die Gefährlichkeit und Kritik von Lessing an der Institution.

Man hat den Eindruck, der Puppeneinsatz sei eher der Publikumserwartung als einer konzeptuellen Notwendigkeit geschuldet. Will Habjan aber als Regisseur ernstgenommen werden, so muss er es auch wagen, auf die Puppen verzichten.

Nathan der Weise

Volkstheater, 15., 16., 26. April

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