"Wehe, mein Vaterland, dir“

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Heinrich von Kleist im Spiegel seiner Zeit - von Koalitionskriegen und Völkerschlachten im Gefolge der Französischen Revolution: Zum 200. Todestag des Dichters am 21. November.

"Zwei gewalt’ge Nationen ringen / Um der Welt alleinigen Besitz, / Aller Länder Freiheit zu verschlingen / Schwingen sie den Dreizack und den Blitz.“ Schillers Verse "Bei Antritt des neuen Jahrhunderts“ öffnen den Blick auf Englands und Frankreichs Ringen um die Weltherrschaft. Zwischen dem "Britannia, rule the Waves!“, dem Dreizack des die Meere beherrschenden Empire, und dem Grand Empire Napoleons (der Blitz seiner Artillerie) wogten Koalitionskriege und Völkerschlachten.

In diesem Kampf schien die Stellung des jungen Kleist vorgezeichnet zu sein. Er entstammte altem pommerschem Adel, der eine Reihe hoher Militärs stellte. 1792, als Frankreich Franz als dem König von Böhmen und Ungarn den Krieg erklärte, trat der als 16-jährig ausgegebene 15-Jährige in das Potsdamer Garderegiment Nr. 15, 3. Bataillon ein. "Die Franzosen, oder vielmehr das Franzosengesindel, wird jetzt allseits geklopft“, schrieb er, als sein Regiment zur Belagerung von Mainz am 22. März 1793 abrückte. Über die Kriegsteilnahme des jungen Kleist wissen wir wenig - in einem Jugendgedicht sehnte er sich nach einem "höheren Frieden“. 1795 wurde er zum Portepéefähnrich befördert. Im selben Jahr trat Preußen aus der antifranzösischen Allianz aus (Friede von Basel); das Interesse an der endgültigen Zerteilung von Polen überwog. Im Rückblick schien dem jungen Offizier der Exerzierdrill der wie "Sklaven“ traktierten Soldaten als "ein lebendiges Monument der Tyrannei“. In dieser Stimmung schied Kleist nach sieben "verlorenen Jahren“ aus dem Dienst, um "Bildung“ im Studium der Philosophie und Physik nachzuholen.

"Prächtiger Bettel von Adel und Stand“

Er verzichtete damals auf die Führung des "von“ und verachtete den "prächtigen Bettel von Adel und Stand und Ehre und Reichtum“. Am 14. Juli 1801 nimmt Kleist an der Feier des zwölften Jahrestages der Erstürmung der Bastille teil, fand aber in Paris keine würdige Erinnerung an Freiheit und Frieden. In der Tat zerbrach die europäische Friedenshoffnung alsbald: Großbritannien verzögerte die Herausgabe von Malta; der auf Lebenszeit plebiszitär berufene Erste Konsul Bonaparte revanchierte sich 1803 mit der Besetzung des Kurfürstentums Hannover und dem Plan einer Invasion vom Lager von Boulogne aus.

Dort finden wir Kleist, todessehnsüchtig: "Ich werde französische Kriegsdienste nehmen, das Heer wird bald nach England hinüberrudern, unser aller Verderben lauert über dem Meere, ich frohlocke bei der Aussicht auf das unendlich prächtige Grab“ (an die Schwester Ulrike, 26. 10. 1803). Ob man "einen rasenden Streich […] aus Lebensüberdruß“ als Attentatsplan deuten darf, steht dahin. Der Erste Konsul nützte jedenfalls die Verschwörung Pichegrus und Cadoudals propagandistisch zur Errichtung seines Kaisertums der Franzosen. Glich Napoleon nicht dem "Schlaukopf“ Robert Guiscard, dem Helden von Kleists Historiendrama, von dem nur ein Fragment blieb?

Die "Weltseele zu Pferde“

Im diplomatischen Doppelspiel vor und im Dritten Koalitionskrieg Österreichs und Russlands gegen Frankreich (1805) wurde Preußen von Napoleon durch die Annahme von Hannover im Vertrag von Schönbrunn düpiert. Die Niederlage des auf seine veraltete Armee gestützten preußischen Staates nahte 1806 mit Napoleons Rheinbundgründung und der vernichtenden Niederlage von Jena und Auerstädt.

Hegel erblickte bei dieser Gelegenheit die "Weltseele zu Pferde“. Kleist, der in Königsberg versucht hatte, im Verwaltungs- und Justizdienst Fuß zu fassen, geriet ein weiteres Mal zwischen die Fronten. Im Jänner 1807 wurde er im französisch besetzten Berlin als vermeintlicher Spion aufgegriffen und in Fort Joux bei Besançon interniert. Toussaint-Louverture, der in Haiti eine Republik der befreiten Sklaven geschaffen hatte (der erste Freistaat Südamerikas!), wurde in diesem Festungsgefängnis zu Tode gebracht. Hier mag Kleist wohl den Plan für seine Erzählung "Die Verlobung von St. Domingo“ gefasst haben.

Das im Titel angesprochene Epigramm ist überschrieben "Die tiefste Erniedrigung“: "Wehe, mein Vaterland, dir! Das Lied dir zum Ruhme zu singen, / Ist, getreu dir im Schoß, mir, deinem Dichter verwehrt.“ Er spielt an auf das Todesurteil über den Nürnberger Buchhändler Palm, das 1806 in Braunau vollstreckt wurde - Palm hatte den Verfasser der antinapoleonischen Streitschrift "Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“ nicht preisgegeben.

Kleist versuchte, gleichzeitig als Publizist und Journalist, Erzähler und Romantiker Fuß zu fassen, mit stetem Misserfolg. Wahrung und Herstellung der gestörten Rechtsordnung sind Thema von "Zerbrochenem Krug“ und "Michael Kohlhaas“. Merkwürdigerweise plante er 1807 den Code Civil Napoleons in Verlag zu nehmen. Radikal modern ist der Widerspruch zwischen göttlicher Erotik im "Amphitryon“ und der tragischen "Gefühlsverwirrung“ der "Penthesilea“. Nur dem scheinbar naiv-romantischen "Käthchen von Heilbronn“ war am Theater an der Wien ein Achtungserfolg beschieden (1810). Vorangegangen war die letzte politische Aktion. Im Vorfeld der Erhebung Österreichs gegen Napoleon entwarf Kleist die "Hermannsschlacht“ für das Wiener Hofburgtheater und Hassgesänge gegen Napoleon ("Germania an ihre Kinder“ mit der schrecklichen Aufforderung zum Totschlag des Tyrannen). Seine Appelle an Kaiser Franz als "der alte Kaiser der Deutschen“ ("Katechismus der Deutschen“) waren allerdings an der falschen Adresse, vollends, wenn er "Über die Rettung von Österreich“ im ersten Satz dem Staat "demokratisches Ansehn“ zumutet und Franz in einem quasi zur Besiegelung vorgelegten Dokument die Wiederherstellung des "deutschen Reiches“, gar einen "allgemeinen Reichstag“ und eine "Verfassung“ unterschieben möchte. "Gott, Vaterland, Kaiser, Freiheit, Liebe und Treue, Schönheit, Wissenschaft und Kunst“ blieben unvereinbar. Als Kleist auf dem Schlachtfeld von Aspern umherirrte, geriet er in Polizeigewahrsam. Der Plan einer Zeitschrift "Germania“ in Prag scheiterte.

"Ein Traum, was sonst?“

Die dramatische Bilanz über Preußens Tradition zog "Prinz Friedrich von Homburg“ (erst 1821 gedruckt). Dieser erfahrene Kriegsmann war bei der Schlacht von Fehrbellin (1675) 42-jährig und stand vorher in schwedischen Diensten, ehe er eine Nichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. heiratete. Dass der große Kurfürst nicht die Früchte dieses Krieges ernten konnte und von 1679 bis 1685 im Bündnis mit Frankreich stand, steht auf einem anderen Blatt. So schwankt die Gestalt des wackeren Landgrafen von Hessen, dessen martialische Beinprothese noch im Homburger Schloss gezeigt wird, bei Kleist zwischen Traumtänzer und Maria-Theresien-Ordensritter. Das Schlusswort "In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ bleibt "Ein Traum, was sonst?“ - Vielleicht eine Erinnerung an den genialischen Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, der in einem Vorhutgefecht bei Saalfeld fiel (10.10.1806).

Kleists Lebensmut war aufgebraucht, im Freitod am 21. November 1811 mit der gleichaltrigen, verheirateten Freundin Henriette Vogel. "Komm, laß uns etwas Gutes tun und dabei sterben! Einen der Millionen Tode, die wir schon gestorben sind und noch sterben werden. Es ist, als ob wir aus einem Zimmer in das andere gehen.“ (an Freund Rühle, 31.8.1806). 1898 schrieb Rilke "An Heinrich von Kleists Waldeinsamem Waldgrab in Wannsee“: "Wir sind keiner klarer oder blinder, / wir sind alle Suchende, du weißt, - / und so wurdest du vielleicht der Finder, / ungeduldiger und dunkler Kleist.“

* Der Autor ist em. Univ.-Prof. für Österreichische Geschichte und arbeitet am Institut für Österreichische Geschichtsforschung über Literatur- und Bildungsgeschichte

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