Weibliche Körperinszenierungen

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Ungewöhnlich, spannend - und umstritten: Die Ausstellung "Die verletzte Diva" in Innsbruck.

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Ungewöhnlich, spannend - und umstritten: Die Ausstellung "Die verletzte Diva" in Innsbruck.

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Ein älterer, offensichtlich recht geschockter Galeriebesucher ergreift die Flucht; eine beachtliche Anzahl von Interessenten vertieft sich eingehend in die Exponate. Die Tiroler Landesgalerie im Innsbrucker Taxispalais traut sich was: Sie präsentiert im Rahmen einer Gemeinschaftsproduktion mit drei Münchner Institutionen - Lenbachhaus Kunstbau, Kunstverein München, Rotunde Siemens Kulturprogramm - eine kapriziöse Dame, die sich während des 20. Jahrhunderts erfolgreich emanzipiert hat: "Die verletzte Diva" (Konzeption: Silvia Eiblmayr, Leiterin der Taxis-Galerie in Innsbruck). Aus der nicht alltäglichen Sicht der "Hysterie als symptomatische und experimentelle Formel", über die sich, laut Eiblmayr, der radikale Formwandel der Moderne vollzogen hat, werden die Frauen und ihre Körperinszenierungen in der Kunst analysiert und diskutiert.

"Hysterie ist Frauensache" - diese erhellende Erkenntnis (das griechische "hystera" heißt schließlich "Gebärmutter"!) hatte nicht zuletzt seit Sigmund Freud auch in der Kunst Eingang gefunden. Vorwiegend maskuline Vertreter des Expressionismus, Surrealismus, Dadaismus experimentierten lustvoll mit der Hysterie, der "größten Entdeckung des 19. Jahrhunderts". Und die Hysterikerin, als unterbewertete Frau, hatte sogar die zweifelhafte Ehre von den Surrealisten zur Muse all ihrer kreativ-erotischen Exzesse aufgerufen zu werden.

Eine etwas zu ausgeweitete historische Rückblende im Lenbachhaus Kunstbau verfolgt an Hand männlich dominierter Werke (Magritte, Dali, Duchamp...) die Zusammenhänge von Hysterie und zunehmender Technologisierung, die Instrumentalisierung und körperlichen Verformungen des Weiblichen in der modernen Kunst (Francis Bacon, Yves Klein, Man Ray...) bis zu den Selbstinszenierungen von Künstlerinnen (Export, Bourgeois, Oppenheim, Lassnig...).

Im Kunstverein München, Siemens Kulturprogramm und vor allem in der Innsbrucker Taxisgalerie sind ausschließlich aktuelle Arbeiten von Künstlerinnen zu sehen, wie sie in den vergangenen 30 Jahren die Veränderungen der sozialen Lebensformen, verbunden mit der zunehmenden Fragwürdigkeit althergebrachter Rollenklischees prägten.

Und schon nach einem kurzen Blick in die Taxisgalerie bläst auch dem arglosen Besucher ein scharfer Wind um die Nase. Ja, der patriarchalische Machtanspruch im Kunstgeschehen ist in letzter Zeit beträchtlich abgemagert! Aber wer nach dieser Entdeckung nicht die Flucht ergreift, erkennt schließlich, daß sich in Bild, Fotografie, Performance, Objekt- und Videokunst et cetera die Rollenbilder überschneiden und Hysterie auch Männersache geworden ist. Der Mann travestiert sich; Ekstatiker sind einmal Mann, einmal Frau, einmal beides.

Die verletzte Diva verletzt nun ihrerseits das Bild, zu dem sie lange Zeit hysterisiert worden ist. Sie ist Zerstörte und Zerstörerin zugleich. Sich selbst inszenierend und deformierend preßt sie sich an Glasscheiben (Ana Mendieta), treibt sich Nägel durch die Finger (Valie Export), trägt einen witzigen Vollbart (Ana Mendieta, Zoe Leonhard) oder verbannt sich hinter die Tapete (Francesca Woodman). Mary Kelly erfährt die zunehmende Unsichtbarwerdung der einmal hübschen, jetzt alternden Frau; Orlan prangert die Sinnlosigkeit der Schönheitsdiktate an, und Michaela Melian bockt in einer originellen Konstruktion das erste Auto der "Bockigen Berta Benz" auf und so weiter.

Alles in allem eine - für Tirol - wohl recht ungewöhnliche und teils auch umstrittene Ausstellung, perfekt und versiert durchdacht und gestaltet. Von einer Fachfrau aufgeladen mit provokant-witzigen, tragikomischen und tragischen Themen, die auf jeden Fall eine spannende Schau garantieren.

Bis 7. Mai. Im Juni wandert die Ausstellung nach Baden-Baden weiter.

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