Weichgespülter Protest

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Die Rede von der "verlorenen Generation“ ist in aller Munde. Zu Recht? Jugendforscher Manfred Zentner über die Mär von der unpolitischen Jugend zum Internationalen Jugendtag am 12. August.

"Die Jungen gehen erst auf die Straße, wenn das Klicken im Internet nicht mehr hilft,“ sagt Manfred Zentner, der seit 2001 am Institut für Jugendkulturforschung und Kulturvermittlung in Wien und Hamburg tätig ist. Ein Gespräch über die vielen falschen Vorstellungen der Elterngeneration und die Selbstverwirklichung der Jungen.

Die Furche: Die Generation der heute 20- bis 30-Jährigen wird in den Medien oft als "verloren“ dargestellt - zuletzt in Bernhard Winklers Buch "So nicht!“ (vgl. Kritik unten). Teilen Sie diese Meinung?

Manfred Zentner: Das kommt darauf an. In Zentraleuropa haben wir es mit seiner sehr angepassten Generation zu tun, die bereit, ist, viel zu leisten und wenig aufzubegehren. Da sie gut im Arbeitsmarkt integriert ist, kann man von keiner verlorenen Generation sprechen. In Ländern wie Griechenland, Portugal, Spanien oder Bulgarien hingegen sind die Arbeitslosenraten unter Jugendlichen immens hoch. Dort finden auch Hochgebildete keinen Job. Sie sind insofern verloren, als sie keine Hoffnung mehr haben.

Die Furche: Nicht nur ihre Hoffnung, auch ihr Potenzial geht verloren ...

Zentner: Das Problem ist eher, dass die Jungen das Vertrauen in sich selbst verlieren. Die heutige Generation der Neuakademiker ist von den Erwartungshaltungen der Eltern geprägt. Die haben geglaubt, dass ihre Kinder mit dem Studium einen höheren sozialen Status erreichen. Doch davon müssen wir uns verabschieden.

Die Furche: Das ist eigentlich schon länger bekannt. Trotzdem drängen die Jungen nach wie vor an die Universität. Warum, wenn es die Karrierechancen nicht erhöht?

Zentner: Wegen der Selbstverwirklichung. Menschen aus der Mittelschicht studieren, was sie interessiert. Sie können es sich leisten, erst einmal prekär zu leben. Aufstiegsorientierte Personen kommen meistens aus sozial benachteiligten Schichten, die unbedingt Karriere machen wollen.

Die Furche: Geht den Jungen heute Selbstverwirklichung und -inszenierung über alles?

Zentner: Wir leben in einer Konsumgesellschaft, die wir Erwachsenen geschaffen haben. Wir statten unsere Kinder mit Markenkleidung aus und investieren in ihre Bildung. Jede Form des Konsums ist eine Investition in sich selbst, die zur Schau gestellt wird. Wir kaufen uns bestimmte Dinge, um etwas auszudrücken. Da dürfen wir uns nicht wundern, wenn die jungen Erwachsenen dies heutzutage in den Mittelpunkt stellen. Solange Konsum und Selbstinszenierung möglich sind, ist auch Protest nicht zwingend notwendig. Viele protestieren beispielsweise auch dadurch, indem sie nur bestimmte Markenprodukte kaufen.

Die Furche: Genau das ist es, warum viele die Jungen heute für unpolitisch halten …

Zentner: Wir tun so, als wäre eine ganze Erwachsenen-Generation politisch. Das stimmt nicht. Generell wächst das Interesse an Politik erst bei Personen ab 50. Das haben verschiedene Studien ergeben. Die gesamte Erwachsenengeneration vor 50 ist genauso unpolitisch wie die Jugendlichen. Aber von den Erwachsenen verlangt man nur, wählen zu gehen. Die Jugendlichen sollen auch gefälligst etwas tun.

Die Furche: Sie klingen ziemlich wütend. Haben Sie die Frage nach der unpolitischen Jugend satt?

Zentner: Mir geht es einfach auf die Nerven, dass die Post 68er-Generation den heutigen Jungen stets den Vorwurf macht, unpolitisch zu sein. Sie glauben, das wäre in ihrer Generation anders gewesen. War es aber nicht, denn die drei Prozent, die in den 1960er- und 70er-Jahren demonstriert haben, waren wahrlich nicht repräsentativ für eine ganze Generation. Dieser Protest wurde außerdem damals nicht als politische Partizipation eingestuft, sondern als gesellschaftlicher Aufbruch und ein Zerstören von Werten. Das ist fast vergleichbar mit dem Phänomen, dass Jugendliche etwas im Internet posten. Beides ist oder war für die jeweiligen Erwachsenen nicht verständlich. Außerdem: Gegen wen oder was sollen sie protestieren? Gegen Politiker oder Großkonzerne? Das gesellschaftliche System ist so aufeinander abgestimmt, dass es schwierig ist, einen definitiven Gegner zu finden.

Die Furche: Kann man sagen, dass politische Partizipation heute weitgehend im Internet stattfindet?

Zentner: Nein, aber Leute unter 30 Jahren unterscheiden nicht mehr streng zwischen Realität und Virtualität. Facebook etwa ist ein öffentlicher Raum. Postet dort jemand etwas, erreicht er mehr Personen, als wenn er sich in einen Park stellen und ein Schild hochhalten würde. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Auf Facebook etwas zu liken, ist noch lange kein Indiz für politische Partizipation.

Die Furche: Wann ist der Punkt erreicht, an dem junge Menschen trotzdem auf die Straße gehen?

Zentner: Dann, wenn das Internet nicht mehr hilft. Aber es geht selten um eine echte Revolution oder darum, das System zu verändern - sondern darum, zu zeigen, dass es reicht. Die Arbeit soll dann die Politik machen, die wurde schließlich dafür gewählt.

Die Furche: Das hört sich eigentlich ziemlich konstruktiv an …

Zentner: Der Protest in Europa ist vollkommen weich gespült. Wird beispielsweise ein Park besetzt, berichten die Medien darüber, dass es keine Zwischenfälle gab und die Organisatoren alles im Griff hatten. Denken wir an Hainburg: In den 1990ern haben sich die Jungen an Bäume gekettet und teils absurde Alternativvorschläge gemacht. Heutzutage empören sich die Jungen, aber sie wollen, dass die Probleme jemand anderer löst.

Die Furche: Nämlich "die Politik“ bzw. "die Parteien“ - denen sie auch immer skeptischer gegenüberstehen …

Zentner: Sie haben das Gefühl, in Parteien nicht wirklich mitreden zu dürfen. Außerdem wissen sie, dass sie in der freien Wirtschaft mehr bewirken können als in einer Partei. Wie gesagt, sie sind sehr pragmatisch.

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