Weihnachten als Gegenwelt

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Und es begab sich, dass in diesen Advent-Tagen ein elitärer Kreis von Professoren und Forschern - Aufgeklärtheit pur - in Wien zusammenkam. Abseits der Öffentlichkeit war der Flüchtlingsstrom samt Massenmigration das Thema. Vor allem aber waren es die möglichen Folgen für unsere nationale Identität, unsere Sicherheit und unsere Werte.

Was mich beim Zuhören sosehr verblüffte, war das Ausmaß der Ängste - selbst unter Intellektuellen - und die gemeinsame Sorge vor dem Verlust "christlicher Werte". Am Horizont drohte - wörtlich - eine Zukunft "ohne Nikolaus und ohne Weihnachten". Prompt spürte ich einmal mehr die alten Fragen: Ist solch christliche "Gefühligkeit" nur noch der Reflex auf eine andrängende fremde Kultur? Sind "Nikolaus" und "Weihnachten" nur Kürzel einer bloß kulturellen Beheimatung - aber ohne tieferen Sitz im Glauben? Und wieviel "Saisonales" schwingt hier mit - in einer Jahreszeit, in der Fragen nach dem Sinn des Daseins und nach Höherem aktueller sind als sonst?

Oder sind wir - bis hinein in unsere Gelehrtenstuben - am Ende doch noch christlicher als vermutet? Überlebt da, aller Säkularisierung und Emanzipierung von Althergebrachtem zum Trotz, unausrottbar ein Rest an wärmender religiöser "Gegenwelt" zu unserer Alltagsrealität? Zu all den Ungerechtigkeiten und Unerlöstheiten unserer Zeit. Zu einer globalisierten Ökonomie ohne menschliches Maß. Zum Allmachtsanspruch von Technik und Technologie. Zum Verlust letzter Geheimnisse.

Wie sonst wäre der Zauber der Weihnachtsgeschichte erklärbar, der bis heute aller Banalisierung und Kommerzialisierung widersteht? Das Kind im Stall. Die Hirten, Weisen und Engel. Armut und Glanz. Und am Ende - beim Evangelisten Lukas - dieses große Wort, das wie kein zweites das heilige Buch der Christenheit prägt: "Fürchtet Euch nicht!"

Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Güte

Und: wie sehr macht es dieser Papst auch jenen leichter, die längst einen Bogen um die Kirchen machen - Kirchen als Institutionen und als konkrete sakrale Räume! Lebt und sagt nicht gerade er so vieles von dem, was in unseren Herzen wohnt und sich im Glanz der Kerzen hervorwagt? Die Sehnsucht nach Geschwisterlichkeit und Barmherzigkeit, nach Gerechtigkeit und Güte. Nach dem Sanften in einer verhärteten Wirklichkeit.

Im oben erwähnten Denkerkreis habe ich mir gedacht: Wie viel an Furcht und Sorge wohnt doch in uns - als unverzichtbare, aber auch lähmende Grundausstattung des Menschen! Wie oft ist Angst rettend, aber auch Erfüllungsgehilfe jener, die Abgrenzung und Streit suchen! Und wie sehr ist heute jene Tugend in Gefahr, die jedes Zusammenleben stärkt, ja heiligt: das Grundvertrauen!

Das Christentum geht - "fürchtet Euch nicht!"- jedenfalls nicht an den menschlichen Schwächen in seinen Kirchen unter. Auch nicht am Islam. Es lebt und stirbt allein durch uns selbst.

Ein gesegnetes Fest!

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