Welches Vaterland? Welche Befreiung?

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Vor 200 Jahren standen Habsburger und Wittelsbacher gegen- und miteinander unter der Hegemonie Napoleons. Ein historischer Streifzug rund um den Russlandfeldzug, der zur Sommersonnenwende 1812 begann.

Schönbrunn, Oktober 1809. "Noch sehe ich ihn, die Freitreppe des Schönbrunner Schlosses mehr herablaufen als -gehen, die beiden Kronprinzen von Bayern und Württemberg als Adjutanten hinter sich, und nun mit auf dem Rücken gefalteten Händen eisern dastehen, seine vor-überziehenden Gewalthaufen mit den unbewegten Blicken des Meisters überschauend.“ So erlebte Grillparzer ihn - Napoleon - wahrscheinlich bei jener Parade, an deren Rand der sächsische Pastorensohn Friedrich Staps, "den Dolch im Gewande“, aufgegriffen wurde. Der Siebzehnjährige lehnte das Begnadigungsangebot des Franzosenkaisers ab, der auf dem Höhepunkt seiner Macht den Frieden diktierte. Staps soll mit dem Ruf "Es lebe die Freiheit! Es lebe Deutschland! Tod den Tyrannen!“ gestorben sein. Die beiden Prinzen waren der spätere König Wilhelm von Württemberg und der Bayernkönig Ludwig I.

Napoleon, "ein ganzer Kerl“

München, Karolinenplatz. Auf dem Weg zu Glyptothek und Pinakotheken kommt jeder Besucher der bayrischen Haupststadt am düsteren, 29 Meter hohen Obelisken vorbei und liest überrascht die Inschrift "Den dreyssigtausend Bayern die im russischen Kriege den Tod fanden“ mit dem merkwürdigen Nachsatz "Auch sie starben für des Vaterlandes Befreyung“. Am Gedenktag der Leipziger Völkerschlacht (18. Oktober) 1833 wurde das Denkmal vollendet. Diese bayrischen Soldaten zählten zu den Kerntruppen der Rheinbundstaaten in der Grande Armée, die zur Sommersonnenwende 1812 den Njemen (lit. Neman, dt. ehem. am Unterlauf Memel) gegen Russland überschritt. Im Mai hatte Napoleon die verbündeten deutschen Fürsten zu Dresden gemustert, einschließlich Papa François (Kaiser Franz II.), der mit seiner Tochter Marie Louise zusammen kam. Erzherzog Johann hörte den kaiserlichen Bruder über den Schwiegersohn "zwischen den Zähnen murmeln: Das ist ein ganzer Kerl.“ Napoleons Sonne war im Sinken. Das im russischen Winter furchtbar dezimierte Bayernkorps erreichte auf dem Rückzug noch mit 3800 Mann Wilna (lit. Vilnius); 300 Mann und 20 Chevauxlegers bildeten am Grenzfluss die Arrièregarde.

Karl Philipp Wredes Marsch in die Münchener Feldherrenhalle. Wrede begann seine bayrisch-napoleonische Karriere als Oberkriegskommissär im Kampf gegen das revolutionäre Frankreich seit 1792. So rettete er auch aus der für Österreich so schmählich verlaufenen Schlacht von Hohenlinden (1800), was zu retten war. 1805 kehrten sich die Fronten um: Wrede rückte wieder in das zuvor von den angreifenden Österreichern besetzte München ein und focht an Napoleons Flanke in den Tagen von Austerlitz bei Iglau. 1807 stritten die Bayern gegen Preußen und Russen, 1809 eroberte Wrede Salzburg, rückte zweimal in Innsbruck ein und siegte in der letzten Schlacht am Bergisel. Napoleon verlieh ihm 1810 die Grafenwürde. Noch zu Ende 1812 stellte Wrede ein neues bayrisches Korps im Osten auf, doch betrieb er den Seitenwechsel, der zehn Tage vor der Leipziger Schlacht zu Ried im Innviertel besiegelt wurde. Vergeblich stellte er sich der zurückgehenden französischen Armee bei Hanau in den Weg. Am Jahrestag von Ried (8. Oktober) 1844 enthüllte König Ludwig höchstselbst Wredes Standbild, das seitdem in der Feldherrenhalle an der Seite Tillys über Bayerns Waffenehre wacht.

"… ach, in Schmach und Schmerz“

Bayern und Österreich - eine Konfliktgeschichte. Die Chronik des Wettkampfes zwischen Bayern und Österreich müsste mit dem Privilegium minus beginnen und mit dem dramatischen Ringen zwischen Ludwig dem Bayern und Friedrich dem Schönen fortsetzen. An der Schwelle zur Neuzeit verlockten die dynastischen Probleme der Wittelsbacher Kaiser Maximilian I. zu militärischer Aktivität (Artilleriebelagerung von Kufstein). Die permanente Rivalität verschuldete letztlich das militärisch-politische Wallenstein-Problem zwischen Kurfürst Maximilian I. und Kaiser Ferdinand II., die um die Palme der Gegenreformation und die Hegemonie im Reich rangen. Um die im Spanischen und Österreichischen Erbfolgekrieg aufbrechende Erbfeindschaft wissen die Bayern mit Sendlinger Mordweihnacht mit dem Schmied von Kochel (1705) sowie den Gräueltaten mariatheresianischer Panduren und Husaren ebenso gut Bescheid wie Tiroler und Österreicher um Andreas Hofer "ach, in Schmach und Schmerz“. Dazwischen liegt der Bayrische Erbfolgekrieg 1778/79, der Joseph II. immerhin das Innviertel einbrachte. 1806, im damals bayrischen Braunau, fand der Buchhändler Palm seinen Tod als Verleger der antinapoleonischen Schrift "Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“.

Tu felix Austria (et Bavaria) nube! Napoleon steht am Beginn der modernen Geschichte Deutschlands, insbesondere Bayerns, das ihm territoriale Abrundung und die Erhebung Maximilians I. Joseph zum König (1. 1. 1806) verdankt. Mustert man die Reihe der Töchter Maximilians, also der (Halb-)Schwestern König Ludwigs I., ergeben sich die merkwürdigsten Zusammenhänge. Amalie Auguste heiratete Napoleons Stief- und Adoptivsohn Eugène Beauharnais, Vizekönig von Italien, 1812 Retter der Trümmer der Großen Armee. Sein antikisierendes Grabdenkmal steht in der Münchener Michaelskirche.

Ein Familienzweig der Herzoge von Leuchtenberg knüpfte gar russische Verbindungen (Linie Romanowski). Karoline Auguste wurde 1816 zur Besiegelung des Münchener Staatsvertrags, der Österreich nach zähem Ringen Salzburg einbrachte, mit Kaiser Franz in dessen vierter Ehe vermählt, nachdem ihre Verbindung mit Wilhelm von Württemberg annulliert worden war. Sophie (ihre Mutter Karoline von Baden gab dem Platz des Obelisken den Namen) wurde 1824 Gemahlin von Franzens jüngerem Sohn Franz Karl und 1830 Mutter des späteren Kaisers Franz Joseph. Des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. Gattin war Elisabeth, somit Schwägerin des nachmaligen deutschen Kaisers Wilhelm I. Und schließlich Ludovika, genannt Vikerl, die Gattin des verhaltensoriginellen Herzogs Max in Bayern, als allbekannte und -beliebte Mutter einer großen Kinderschar mit Sisi. Deren Ehe mit Franz Joseph war ein letzter Ausläufer einer nach dem napoleonischen Furioso so notwendigen politischen und wirtschaftlichen Annäherung zwischen Nachbarn - ging es doch um Tirol und Salzburg, verknüpft durch Kaiserin-Elisabeth-Westbahn und Gisela-Bahn.

Metternich in München

Ludwig I. monumentalisierte diese bayrisch-deutsche Historie nicht nur mit der Bavaria, sondern auch mit Kelheimer Befreiungshalle und Walhalla. Der 1812-Obelisk war aus türkischen Kanonen aus der Schlacht von Navarino (1827) gegossen - Ludwigs Sohn Otto wurde 1832 König von Griechenland. Zum letzten Mal handelten Russland und die Westmächte in der orientalischen Frage durch den bayrischen Kompromiss einmütig. Die Habsburgermonarchie blieb unter Metternichs Führung skeptisch. Die Marmorbüste des Staatskanzlers, der die Ehe der Kaisertochter mit dem korsischen Eroberer gestiftet hatte, dann dessen Isolierung und Sturz bewirkte und zum Lohn den Fürstentitel auf dem Schlachtfeld von Leipzig erhielt, wurde für die Walhalla fertiggestellt. Metternichs Porträt gelangte jedoch nicht dahin, sondern steht im Bayerischen Nationalmuseum, verschämt unter den Erinnerungen an die "napoleonische“ Epoche der Wittelsbacher.

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