Weltendrama im Wohnzimmer

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Mit dezenter ironischer Distanz inszeniert Gisbert Jäkel Richard Wagners "Rheingold", den Auftakt zum neuen Grazer "Ring".

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Mit dezenter ironischer Distanz inszeniert Gisbert Jäkel Richard Wagners "Rheingold", den Auftakt zum neuen Grazer "Ring".

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Rund zwölf Jahre nach Christian Pöppelreiters denkwürdiger Interpretation von Wagners "Ring des Nibelungen" wagt sich Grazer Oper wieder an eine Neuinszenierung der Tetralogie. Diesmal ist es an Gisbert Jäkel, seine Lesart des Werkes als Regisseur und Bühnenbildner in neuen Interpretationsfarben dem Publikum vorzuführen.

Der Auftakt mit der Premiere von "Rheingold" zeigt, daß von Jäkel zwar keine kreative Neuorientierung zu erwarten ist, wohl aber unter Verzicht auf jegliche Mythologisierung - ein Transfer des Monumentalen ins Banal-Alltägliche. Das "Weltendrama" wird sozusagen ins Wohnzimmer geholt - genauer: auf die hölzerne Schräge einer turnsaalgroßen Nobel-Dachbodenwohnung gestellt, die im ersten Bild mit Hilfe von Fisch-Attrappen als Schlafzimmer der Rheintöchter herhalten muß. In diesem Ambiente vergnügen sich die drei lieblich bezopften Maiden im französischen Bett mit dem lüsternen Alberich, den sie bis auf die Unterhose ausziehen, und vergessen dabei, das in einem Kinderwagerl verstaute Rheingold zu bewachen.

Die Götter gerieren sich in Jäkels Inszenierung als ziemlich degenerierte Gesellschaft mit einem stimmlich wie darstellerisch kaum profilierten Wotan (Jacek Strauch), einer giftblonden Freia im Marylin Monroe-Look (Stefanie Kopinits), einem knieweichen Party-Tiger namens Donner, der wie sein Bruder Froh, vom letzten Fasching übriggelieben sein dürfte. Nur Fricka im Reifrock (die prächtig singende Mihoko Fujimura) ist ein Zentrum mütterlicher Würde im Lederfauteuil. Fasolt (der hervorragende Hans Sisa) und Fafner (Konstantin Sfiris) treten als Baulöwen auf und präsentieren zunächst in einer Dia-Schau das Fortschreiten der Bauarbeiten an der Götterburg, Loge (der routinierte Allround-Tenor Juraj Hurny) benützt zur Fortbewegung einen Tretroller.

In Nibelheims Zimmertheater begeben sich keinerlei Zaubereffekte, hier wird die Szene bestimmt von der sehr realistischen Darstellung des Alberich durch den hellstimmigen, mimisch hochengagierten Norweger Björn Waag, dem Manuel von Sendens Mime ein gleichwertiger Partner ist.

Die Aufmärsche des Zwergen-korps sind von grotesker Rhythmik. Erda, die Ur-Wala (luxuriös besetzt mit Cornelia Wulkopf), ist eine dunkelhäutige Schamanin mit großer Ausstrahlung. Nach Donners recht unauffälligem Gewitterzauber schreitet die moralisch abgewrackte Familie ein hübsch anzusehendes Spalier von sieben holden Harfenistinnen ab - ein durchaus akzeptabler Ersatz für die Regenbogenbrücke, um sich endlich zum Buffet der House-warming-Party "auf Bergeshöhen" zu begeben. Alberich der längst "durch die Kluft" verschwunden sein müßte, ist wieder da, kehrt die Behältnisse seines ihm geraubten Schatzes von der Bühne und legt sich fortan auf die Lauer als Beobachter der kommenden Ereignisse.

Man sieht: Gisbert Jäkel erzählt die Schurkengeschichte der machtgierigen Kapitalisten in deutlichen Zusammenhängen und in realistischen Episoden, mit vielen prägnanten, ja amüsanten Einfällen und in dezenter, nur selten etwas gröberer ironischer Distanz, ohne dabei jedoch den Zuschauer auf drastische Weise zu manipulieren.

Maestro Wolfgang Bozic hat das Orchester nach einem anfänglichen Schwächeanfall der Fagotte gut im Griff. Der "Beziehungszauber" (Thomas Mann) der Leitmotive wird klar herauspräpariert, die lyrischen Stellen gelingen kultiviert, die gewaltigen Massierungen des Blechs sind von kraftvoller Bravour: eine musikalisch beachtliche Gesamtleistung, vom Publikum begeistert gewürdigt, während die szenische Interpretation nicht die allgemeine Zustimmung fand.

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