Welterbe akut gefährdet

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Kriege, Tourismus oder Öko-Belastungen: Vieles bedroht das Welterbe. Ein Landschaftsökologe, der viele der Stätten bereist hat, gibt einen Überblick.

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Kriege, Tourismus oder Öko-Belastungen: Vieles bedroht das Welterbe. Ein Landschaftsökologe, der viele der Stätten bereist hat, gibt einen Überblick.

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Manas im indischen Bundesstaat Assam an der Grenze zum Königreich Bhutan. Nur mit einem Empfehlungsschreiben der UNESCO und einer Sondererlaubnis durch den hiesigen Nationalpark-Direktor ist es dem Autor dieses Artikels möglich, in das Gebiet zu gelangen. Denn seit 1992 wird das Wildschutzgebiet Manas von der UNESCO auf der "Roten Liste" des gefährdeten Welterbes geführt.

Mit sechs schwerbewaffneten Soldaten als Begleitschutz wird das Schutzgebiet durchstreift. Denn nach wie vor gibt es Unruhen in dem für Touristen gesperrten Naturreservat, ausgelöst durch die Bodo-Terroristen, die einen Teil des Brahmaputra-Tales und der südlichen Assam-Hochländer von der Indischen Union abtrennen wollen.

Ende der achtziger Jahre starben bei den Gefechten zahlreiche Parkwächter, fünf Camps gingen in Flammen auf und sechs von den damals 80 Panzernashörnern fielen Wilderern zum Opfer. Auch dem Gaur, dem scheuen asiatischen Dschungelrind, dem Zwergwildschwein, mittlerweile eine der zwölf am stärksten bedrohten Tierarten der Welt, der ebenfalls gefährdeten Barttrappe sowie dem Nebelparder, Leoparden und Bengaltiger dient das Reservat als Rückzugsgebiet.

Darüber hinaus sind hier 500 Exemplare der vom Aussterben bedrohten Nord-Barasinghas, einer bis zu 280 Kilo schweren Hirschart, heimisch. Berühmt ist das Wildschutzgebiet Manas auch wegen der erst 1953 entdeckten Goldlanguren, die sich auch in den Bäumen des benachbarten bhutanischen Nationalparks tummeln.

Die grenzüberschreitende Verwaltung des natürlichen Erbes ließ sich bis heute nicht verwirklichen, sollte jedoch angesichts der vom Aussterben bedrohten Tierarten möglichst rasch umgesetzt werden. Aufgrund des geringen Budgets ist es dem Nationalpark-Direktor derzeit nicht möglich, das Reservat aus seiner Notsituation herauszuholen. Selbst an Ferngläsern zur Beobachtung von Wilderern und an einer fachgerechten Ausrüstung des Personals mangelt es.

Der Yellowstone-Park Neben dem Manas-Wildschutzgebiet weist die UNESCO weitere 29 Natur- beziehungsweise Kulturdenkmäler von den insgesamt 690 bestehenden Welterbestätten als "besonders gefährdet" aus. Für ihre Erhaltung sind spezielle Maßnahmen notwendig, die die UNESCO unter anderem aus dem Welterbe-Fond finanziert. Dieser Geldtopf wird vor allem durch die Mitgliedsbeiträge der Länder und durch private Spenden dotiert.

Bemerkenswert ist, dass sich auch so manche berühmten Natur- und Kulturdenkmäler auf der sogenannten Roten Liste befinden, von denen man es im ersten Moment nicht erwartet. Der bekannteste Vertreter des gefährdeten Welterbes ist der 8.983 km2 große Nationalpark Yellowstone. Über die weiten Prärien seiner Hochebene ziehen die letzten freilebenden Bisonherden in den USA und in den Wäldern herrscht der bis zu 350 Kilo schwere Grizzlybär. Auch die einst verfolgten und ausgerotteten Wölfe sollen im ersten Nationalpark der Welt, 1872 gegründet, wieder heimisch werden.

Landschaftlich von sprudelnden Geysiren und heißen Quellen geprägt, ist der Yellowstone-Nationalpark durch den zunehmenden Bergbau der Bodenschätze, Öl- und Gasbohrungen sowie den immensen Besucherandrang gefährdet.

Die zweite gefährdete Welterbestätte der USA liegt ganz im Süden des Landes. Der 5.929 km2 große Nationalpark Everglades beherbergt über 700 Tierarten, wovon rund 50 als stark gefährdet eingestuft werden. Insbesondere die Chancen, das Überleben des Florida-Panthers zu sichern, sind minimal. Auch die Everglades selbst, ein Sumpfgebiet, das nur knapp über dem Meerespiegel liegt und der Lebensraum bedrohter Tiere ist, mussten von der UNESCO als besonders gefährdet eingestuft werden. Denn die intensive Landwirtschaft, der Tourismus und die fortschreitende Urbanisierung lassen den Wasserstand dieser Sumpfgraslandschaft dramatisch sinken.

Besonders trist sieht die Situation des Welterbes in der Republik Kongo, vormals Zaire, aus. Alle fünf Naturerbestätten befinden sich aufgrund der bewaffneten Konflikte innerhalb des Landes auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes. Im 6.000 km2 großen Nationalpark Kahuzi-Biega, dessen Name von zwei erloschenen Vulkanen stammt, leben die letzten Östlichen Flachlandgorillas. Der Lebensraum der auf maximal 300 Tiere geschätzten Population ist aufgrund der angespannten politischen und wirtschaftlichen Situation bedroht.

Das an den Grenzen zu Uganda und Ruanda liegende 7.900 km2 große Schutzgebiet des Nationalparks Virunga beherbergt die weltweit bedeutendsten Populationen an Flusspferden und Berggorillas. Wegen des Bürgerkrieges in Ruanda strömte 1994 ein Heer von Flüchtlingen in diesen Nationalpark. Weit über 10.000 der ehemals 25.000 Flusspferde wurden von marodierenden Soldaten niedergemetzelt. Einige der auf 650 Exemplare geschätzten Berggorillas wurden erschossen, die restlichen haben sich zutiefst verängstigt in die Regenwälder rund um die Vulkanberge zurückgezogen.

Gefahr durch Kriege Der Nationalpark Garamba war bereits von 1984 bis 1992 auf der Roten Liste, da die dort lebenden weißen Nashörner vom Aussterben bedroht waren. Durch internationale Maßnahmen konnte die Population allerdings gerettet werden. Wegen ihrer neuerlichen Gefährdung durch Wilderer musste der Nationalpark wieder auf die Rote Liste gesetzt werden. Die bewaffneten Konflikte und die Wilderei geben auch dem Okapi-Tierschutzgebiet und dem Nationalpark Salonga schwer zu schaffen.

Ähnlich erging es den Naturparks Air und Tenere in Niger. Auf Wunsch der Regierung wurde 1992 ein internationaler Appell zum Schutz dieser Naturerbestätte erlassen. Nach einem 1995 geschlossenen Friedensabkommen wurde schließlich mit einem Erhaltungsprogramm begonnen.

Allerdings sind es nicht nur kriegerische Auseinandersetzungen, die das "Erbe der Menschheit" bedrohen. In vielen Naturerbestätten beeinträchtigt die Landwirtschaft das Ökosystem. Ein Beispiel dafür ist das bulgarische Biosphärenreservat Srebarna. Zwecks landwirtschaftlicher Nutzung und Bebauung ist dort der Lebensraum seltener Vogelarten infolge von Dammbauten an der Donau bedroht. Ebenso durch Staudammbauten gefährdet ist die Vogelwelt des tunesische Nationalpark Ichkeul. Dort verbringen jedes Jahr rund eine Viertelmillion Zugvögel von fast 200 verschiedenen Vogelarten (unter anderen Pfeif- und Tafelenten, Blässhühner und Graugänse) den europäischen Winter. Aufgrund der anthropogenen Eingriffe versalzt der 85 km2 große Ichkeul-See immer mehr.

Auf Wunsch der pakistanischen Regierung erfolgte die Eintragung der Festung und Shalimar-Gärten in Lahore in die Rote Welterbe-Liste. Denn das vor 375 Jahren erbaute Bewässerungssystem und die Umzäunung der Gärten wurden durch die Verbreiterung einer an die Gärten angrenzenden Straße teilweise zerstört.

Natürliche Einflüsse wie Erdbeben, Vulkanausbrüche und Überschwemmungen können ebenfalls dem Weltkulturerbe zusetzen. Im Jahre 1979 wurde die Festungsstadt Kotor in Montenegro und ihr Umfeld durch ein Erdbeben stark beschädigt. Trotz der Zerstörungen wurde die Bucht und die Region von Kotor im selben Jahr als Welterbe anerkannt und gleichzeitig in die Liste des gefährdeten Erbes aufgenommen. Dies war das erste Mal, dass die UNESCO von der Roten Liste Gebrauch machte, um internationale Maßnahmen zur Rettung einer Welterbestätte einzuleiten.

Zerstört durch Beben Die im 7. Jahrhundert errichtete Hafen- und heutige Ruinenstadt Butrinti in Albanien war ehemals über einen Kanal mit dem Ionischen Meer verbunden. Reste der Befestigungsanlagen sowie Ruinen eines Tempels, eines Theaters, römischer Bäder und frühchristlicher Gotteshäuser erinnern an unterschiedliche Epochen dieser Siedlung.

Mit der Zeit versumpfte das Gelände jedoch zunehmend, sodass die Stadt im späten Mittelalter verlassen wurde und allmählich unter Schlamm und Bewuchs verschwand. Ausgrabungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts förderten die Ruinen von Butrinti zutage. Sie sollten nun vor dem Eindringen von Wasser bewahrt werden. Da dies nur unzureichend gewährleistet ist und zudem die Stätte unter den Plünderungen im Jahr 1997 zu leiden hatte, setzte die UNESCO Butrinti auf die Rote Liste.

Ein ähnliches Schicksal erleiden die berühmten Ruinen in Angkor in Kambodscha. Als Symbol für die Macht der Khmer entstand zwischen dem neunten und dem 15. Jahrhundert die riesige Tempelstadt Yashodharapura, das spätere Angkor. 1431 zerstörten die Thai die meisten Monumente dieser königlichen Hauptstadt. Sie wurde alsbald vom Dschungel überwuchert und erst ab 1860 wieder freigelegt. Kriegseinflüsse, Plünderungen, die Verwitterung sowie ein allzu intensiver Tourismus gefährden nun diese großartigen Denkmäler südostasiatischer Kultur.

Überwucherung durch eine schädliche Pflanze führten auch dazu, dass das im Delta des Flusses Senegal gelegene Vogelschutzgebiet Djoudj im Vorjahr auf die Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt wurde. Den gleichen unrühmlichen Status hat seit 1997 auch der Nationalpark Manovo-Gounda St. Floris in der Zentralafrikanischen Republik inne, nachdem Wilddiebe nahezu 80 Prozent des Wildbestandes getötet hatten. Außerdem wird der Nationalpark illegal als Weideland genutzt.

Die Bauten der heutigen Ruinenstadt Chan Chan in Peru, einstige Hauptstadt der Chimu sowie der größten und schönsten präkolumbianischen Städte Amerikas, wurden fast ausschließlich aus luftgetrockneten Lehmziegeln errichtet. Plünderer sowie Wind und starke Regenfälle richten Schäden an. Das Grundwasser und der hohe Salzgehalt von Boden und Luft beschleunigen die Zersetzung der empfindlichen Mauerreste. An der Konservierung der archäologischen Zone von Chan Chan beteiligen sich nun internationale Fachleute. Ebenfalls internationale Spezialisten sind nun an der Rettung der Festung Bahla im Oman im Einsatz. Denn die zuvor angewandten Restaurierungsmethoden gefährdeten die Authentizität der Lehmarchitektur der Festung.

Selbst religiöse Konflikte können das Welterbe zu einem spannungsgeladenen Terrain machen. Jerusalem wurde im Laufe der 4000-jährigen Geschichte drei monotheistischen Weltreligionen zur Heimat. Die Klagemauer, die Grabeskirche und der Felsendom mit seiner weithin sichtbaren goldenen Kuppel versinnbildlichen exemplarisch die heiligen Stätten des Judentums, der Christenheit und des Islams. Auf Antrag Jordaniens zum Weltkulturerbe erklärt, wacht die UNESCO über die Altstadt von Jerusalem mit ihren Stadtmauern. Politische Konflikte waren auch maßgebend dafür, dass das Ruwenzori-Gebirge in Uganda zum gefährdeten Welterbe erklärt wurde. Rebellen besetzen seit 1997 diese Stätte.

Aufwendig saniert Viele anderen Welterbestätten, die nicht auf der Roten Liste stehen, sind in ihrem Fortbestand bedroht. Ein Beispiel dafür sind Venedig und seine Lagune. Die italienische Stadt wurde zwar noch nicht auf die Rote Liste gesetzt, scheint aber immer stärker gefährdet zu sein. So haben Wissenschafter festgestellt, dass sich der Grund unter den Palästen und Baudenkmälern allein in diesem Jahrhundert um 30 Zentimeter gesenkt hat. Die Lagunenstadt versinke, so die Forscher, doppelt so schnell wie bisher angenommen. Die Ursache dafür sei der Anstieg des Meeresspiegels, der Abbau von Methangas vor der Lagune und der Tankerverkehr für die Chemische Industrie.

In Zukunft wird es notwendig sein, vermehrt auf die Rettung des Welterbes zu achten und entsprechende Maßnahmen zu setzen, als weitere Denkmäler in die Liste aufzunehmen. Denn schließlich dient die Welterbe-Konvention nicht als Werbetrommel und Tourismuskurbel prestige-hungriger Städte und Regionen, sondern dem Schutz und der Erhaltung bedrohter Naturlandschaften und Kulturdenkmäler für kommende Generationen.

Der Autor ist Generalsekretär von "Alliance For Nature" Buchtipp: Welterbe im Bild Die von der UNESCO unter besonderen Schutz gestellten, einzigartigen Natur- und Kulturdenkmäler bieten sich geradezu an, in Bildbänden gesammelt dargestellt zu werden. Eine in Zusammenarbeit mit der UNESCO erarbeitete ADAC-Buchreihe, "Naturwunder und Kulturschätze unserer Welt", bietet einen Überblick über das Welterbe. Jede der Stätten wird in anschaulichen Texten und vor allem in sehr schönen Fotos präsentiert. Die 12 Bände (288-352 Seiten, etwa 300 Fotos, öS 364.-) sind nach Ländern gegliedert und beschreiben das Welterbe großer Regionen wie Nordamerika, Westeuropa oder Vorderasien.

Außerdem gibt es eine deutschsprachige Wanderausstellung "Das Welterbe". Sie kann bei "Alliance For Nature" (Tel/Fax 018939298, homepage: www.AllianceForNature.at) ebenso angefordert werden wie die oben erwähnten Welterbe-Bände.

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