Wendepunkt in der Aktfotografie

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Der Fotografin Trude Fleischmann (1895-1990) ist im Wien Museum eine Ausstellung gewidmet: "Der selbstbewusste Blick“. Es ist die erste große Überblicksausstellung über die bedeutendste, aber noch immer relativ unbekannte Fotografin der Wiener Zwischenkriegszeit.

Sie fehlen in keinem Buch über die "wilden“ Zwanzigerjahre: Die damals als skandalös empfundenen Aktfotografien der Tänzerin Claire Bauroff, die mit ihrem künstlerischen Nackttanz in Wien und Berlin Furore machte. Diese Fotos markierten einen Wendepunkt in der Aktfotografie: Zum einen wurde Nacktheit als etwas Natürliches, Selbstverständliches präsentiert und kein künstlerischer Vorwand bemüht, zum anderen wurden die Bilder nicht von einem Mann, sondern von einer Frau aufgenommen. Der Fotografin ist nun im Wien Museum eine Ausstellung gewidmet: "Trude Fleischmann - Der selbstbewusste Blick“. Es ist die erste große Überblicksausstellung über die bedeutendste, aber noch immer relativ unbekannte Fotografin der Wiener Zwischenkriegszeit.

Neue, moderne Bildsprache

Trude Fleischmann (1895-1990) war eine jener selbstbewussten, jungen, vorwiegend jüdischen Fotografinnen, die nach dem Ersten Weltkrieg in Wien eigene Studios eröffneten. Sie stand für eine neue, moderne Bildsprache und verkörperte selbst den Typus der neuen Frau, die nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung - zumindest im kulturellen Milieu - Emanzipation und Unabhängigkeit auslebte. In ihrem nahe den großen Wiener Theatern gelegenen Atelier, das zu einem Treffpunkt von Größen aus Gesellschaft, Kunst und Kultur wurde, porträtierte sie unter anderen Karl Kraus, Alban Berg, Oskar Kokoschka, Adolf Loos, Paula Wessely, Stefan Zweig, Wilhelm Furtwängler oder die Schauspielerdynastie Thimig. Ihre Fotografien sind aufmerksame Körperstudien und zugleich psychologische Momentaufnahmen, geprägt von einer dramatischen Licht- und Schattenverteilung, die als Rembrandt-Beleuchtung bezeichnet wird. Die Qualität und die souveräne Eleganz ihrer Porträts waren auch ausschlaggebend dafür, dass Fleischmann zuerst vom Kunstmarkt und dann erst von den Kunsthistorikern wiederentdeckt wurde.

Umfangreichste Sammlung in Wien

Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 verlor Fleischmann, deren Fotos bis dahin häufig in deutschen Illustrierten publiziert worden waren, einen wichtigen Absatzmarkt. In Österreich musste sie ihre Arbeit der neuen politischen Situation anpassen: Unter dem Dollfuß-Schuschnigg-Regime wandte sie sich der konventionellen Reisereportage und der Heimatfotografie zu. Im März 1938 ging mit dem "Anschluss“ Fleischmanns Wiener Karriere endgültig zu Ende. Mithilfe einer amerikanischen Freundin, die bei ihr in die Lehre gegangen war, gelang ihr die Flucht in die USA. Im Gepäck hatte sie nur wenige Negative und Abzüge, ihre Kamera und ein Studioalbum. Ihr Archiv vernichtete sie selbst, das Atelier wurde im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört. Einer namentlich nicht bekannten Nachbarin, die später selbst Fotografin geworden sein soll, übergab sie rund 200 Negative - doch auch die sind verschollen. Aus diesem Grund sind von Fleischmanns Werk fast ausschließlich Abzüge erhalten. Das Wien Museum, das lange nicht wusste, welchen Schatz es da hütete, verfügt über die umfangreichste Sammlung von Fleischmanns Wiener Aufnahmen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Emigranten gelang es Fleischmann, in den USA beruflich Fuß zu fassen. 1940 eröffnete sie in New York ein Atelier, in dem sie wieder Künstler, Intellektuelle fotografierte. Entsprechend dem in den USA vorherrschenden Stil arbeitete sie immer öfter im Freien; ihre berühmten Porträts von Albert Einstein und Arturo Toscanini nahm sie außerhalb des Ateliers auf. Es entstanden auch Straßenszenen, Reisebilder, gelegentlich Modeaufnahmen. 1969 zog sie sich aus dem Berufsleben zurück und zog ins schweizerische Lugano. 1988 kehrte sie hochbetagt in die USA zurück, wo sie zwei Jahre darauf starb.

In ihre alte Heimat kehrte Fleischmann nur noch als Besucherin zurück. Bis zu ihrem Tod blieb das Verhältnis zu Österreich gespalten. "Irgendwie hatte ich ein gebrochenes Herz, meine Heimatstadt Wien verlassen zu müssen“, erinnerte sie sich: "Jetzt hat sich der Groll gelegt und ich habe Wien wieder wunderschön gefunden.“ In der Ausstellung im Wien Museum freilich prangt ein weniger versöhnliches Zitat in großen Lettern an der Wand: "Ich finde, die Wiener haben sich schlecht benommen, so dass ich Wien eigentlich nicht mehr vermisst habe.“

Trude Fleischmann - Der selbstbewusste Blick

Wien Museum, 1040 Wien, Karlsplatz

bis 29. Mai, Di-So 10-18 Uhr

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