Wenig Schmäh im Kabarett

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Das vielgerühmte heimische Kabarett ist in die Jahre gekommen, die fehlende Nachwuchsförderung macht sich jetzt bemerkbar. Nicht nur mehr Subventionsgelder, vor allem neue Ideen sind gefragt.

"Ich musste mir bei den letzten drei Programmen den Vorwurf gefallen lassen, dass zu viele Tiere vorkommen. Die Leute haben gesagt, ich rede dauernd über Viecher. Das war falsch", leitet Lukas Resetarits sein Programm XXII ein, um sofort von Ameisen, Geparden und Giraffen zu erzählen. Der Altmeister des heimischen Kabaretts kann es sich leisten. Wenn Resetarits auftritt, sind die Säle voll.

Als 1977 ein textunsicherer, kurzatmiger Lukas Resetarits im Wiener Ensembletheater erstmals auf die Bühne trat und mit den bis heute typischen Worten "Es ist bitte Folgendes …" sein Programm "Rechts Mitte Links" eröffnete, veränderte er das Kabarett nachhaltig. Die Kritiker waren begeistert, steckten aber in Definitionsnöten, selbst als "Alleinkabarett" wurde der Abend bezeichnet. Denn das hatte es in Wien noch nicht gegeben, bisher herrschten Conférencen, Lieder und gespielte Szenen vor. Resetarits hatte das alles gestrichen und das Soloprogramm erfunden. Als Requisiten genügen ihm bis heute Tisch und Stuhl.

Wien war seit Anfang des vorigen Jahrhunderts immer eine Hochburg des Kabaretts. Der oft zitierte, nahezu unerklärliche Schmäh scheint für Österreich ein identitätsstiftendes Merkmal zu sein, das Gemeinsamkeit schafft. Bereits 1906 wurde mit dem "Nachtlicht" das erste Kabarett in Wien gegründet, 1912 folgte der "Simplicissimus", in dem Größen wie Fritz Grünbaum und Karl Farkas werkten, und der verkürzt auf "Simpl" bis heute besteht. Das Nachkriegskabarett wurde von der Gruppe um Gerhard Bronner und Helmut Qualtinger geprägt, die ganz ohne "Brettl vor'm Kopf" (die erste gemeinsame Revue 1952) die Schrullen und Begierlichkeiten der 1950er Jahre persiflierten. Wie ein "Wilder mit seiner Maschin" hatte Qualtinger keine Ahnung, wo er hinwollte, war aber dafür schneller dort; und schickte den legendären "G'schupften Ferdl" zur Perfektion in die Tanzschule Dumser nach Neu-Lerchenfeld.

Im Gefolge von Lukas Resetarits machte in den 1980er Jahren eine Generation junger Kabarettisten den Einzelnen zum Mittelpunkt ihrer Programme und löste eine Goldgräberstimmung aus. Ein neugieriges Publikum war auf der Suche nach unverbrauchten Gesichtern. Andreas Vitasek, Josef Hader, Alfred Dorfer oder Roland Düringer überwanden die Grenzen des Bekannten und trugen den eigenen Alltag auf die Bühne. Diese Welle führte zum Entstehen neuer Spielstätten wie der Kulisse, des Kabarett Niedermair oder des Spektakel.

Häuser, die heute ums Überleben kämpfen. Aus eigener Kraft nicht geschafft hat es das Vindobona, das seit 1988 eine der führenden Kabarettbühnen Wiens war. Sämtliche österreichischen Größen traten dort auf. Doch das Vindobona wurde 2006 geschlossen, nachdem bei einem kolportierten Gesamtschuldenstand von drei Millionen Euro eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern nicht mehr bewerkstelligt werden konnte. Der Masseverwalter hat dem Kabarett Simpl den Zuschlag zur Übernahme der Kleinkunstbühne am Wallensteinplatz erteilt. Keine unumstrittene Entscheidung, da Vindobona und Simpl bislang ein gänzlich konträres Programm zeigten. Pläne des Simpl-Hausherrn Michael Niavarani für seine neue Spielstätte liegen noch nicht vor.

Gibt es was Neues?

In der ORF-Sendung "Was gibt es Neues?" liefert Niavarani selbst eine wöchentliche Nabelschau des österreichischen Kabaretts. Ewig gut gelaunt amüsiert sich dabei Moderator Oliver Baier lauthals über die spontanen Antworten seiner Gäste auf doppelbödige bis plumpe Fragen. Dabei fiel der in Würde ergrauten Raterunde noch keine befriedigende Antwort auf die nahe liegenden Fragen zum Ist-Zustand der Kabarettszene ein: Wo sind die Frauen? Und: Wo bleibt der Nachwuchs?

"Die ewiggleichen Witze der ewiggleichen Witzbolde sind die neue Pragmatisierung", nannte es Johann Skocek in seiner Datum-Kolumne "Aussenspiegel": "Bei den Beamten oder Lehrern hört sich das langsam auf, jetzt fangen die Scherzeschmiede damit an."

Wenn der Kultur das Geld ausgeht, dann wird immer der Ruf nach öffentlicher Förderung laut. Auch im Kabarett. Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny spricht sich aufgrund der schwierigen Lage für eine "Bestandsaufnahme" der Kabarettszene aus: "Ich möchte einen Überblick haben, wie die wirtschaftliche Lage der Bühnen tatsächlich aussieht." Im Wiener Gemeinderat fordert die Opposition verstärkt politische Unterstützung für das Kabarett. Der Grünen Marie Ringler fehlt es an Nachwuchsförderung und einer Evaluierung, ob das klassische Kabarett noch zeitgemäß sei.

Die Häuser selbst aber brauchen weder Bestandsaufnahme noch Evaluierung, sie brauchen Geld. Doch subventioniertes Kabarett kann sich auch Alfred Dorfer nicht vorstellen: Kritiker könne man nicht mit staatlichem Geld unterstützen. Unterstützung für die Infrastruktur sollte aber die öffentliche Hand übernehmen.

Den Vorwurf, kein Geld für Kabarett auszugeben, will sich die Stadt Wien nicht gefallen lassen. Für den SPÖ-Kultursprecher Ernst Woller sind "die Angriffe nicht nachvollziehbar". 2,2 Millionen Euro habe die Stadt Wien in den vergangenen vier Jahren der Kabarettszene zur Verfügung gestellt und nochmals 700.000 Euro vorwiegend über stadtnahe Betriebe an Sponsorengeldern vermittelt.

Seit 1999 wird etwa der Österreichische Kabarettpreis vergeben, gestiftet von der Wien Energie. 2008 erhielt ihn Klaus Eckel für sein Programm "Not sucht Ausgang". Vor ihm haben Andreas Vitasek, Roland Düringer oder Lukas Resetarits den Preis erhalten - alles Kabarettisten, die längst vor 1999 große Erfolge feierten. Nur einmal durfte mit Andrea Händler im Jahr 2000 eine Frau den Preis entgegennehmen.

Und den im deutschsprachigen Raum renommierten Kleinkunstpreis "Salzburger Stier" erhält 2009 mit Joesi Prokopetz für sein Solo "Bitte nicht schießen" auch kein Jungspund. Die Texte seiner Austropop-Songs "Da Hofa" oder "Es lebe der Zentralfriedhof", mit denen er österreichisches Idiom in die Popmusik brachte, stammen alle aus den 1970er Jahren.

Vermischung der Genres

Die Grenze zwischen Theater und Kabarett war immer fließend, mit Film und Fernsehen haben viele österreichische Humoristen eine weitere Betätigung entdeckt. Die reine Kabarettbühne als Abspielstätte von Soloprogrammen hat im Internet-Zeitalter ihre Grenzen erreicht und wird wenigen Kabarettisten vorbehalten bleiben.

Zu lange wurde auf Repertoire gesetzt, der Nachwuchs nicht gefördert, wurden neue Konzepte sowie Mischformen mit dem Theater negiert. Subventionen und Evaluierungen werden daran nichts ändern. Neue Ideen sind gefragt.

Im Wiener Rabenhof bietet Intendant Thomas Gratzer einen "Crossover des alternativen Mainstreams", kann auf eine Auslastung von 86,5 Prozent und einen Nestroy-Preis für den besten Nachwuchsschauspieler, Sebastian Wendelin, blicken. Nicht immer zur Freude der Konkurrenz, denn der Rabenhof in Wien-Erdberg wird mit jährlich 700.000 Euro gefördert. Öffentlich jammern wollen die Betreiber der Kabarettbühnen nicht, wünschen sich aber, wie Orpheum-Geschäftsführer Christoph Hauk es formuliert, "Gerechtigkeit in der Stadt". Denn der Rabenhof setzt neben Theater, Lesungen und Shows auch stark auf Kabarett.

Wenn das Kabarett zukünftig auf kostenintensive Mischformen setzen muss, um sein Publikum zu erreichen, dann wird es generell schwer zu argumentieren sein, warum Kabarett- im Unterschied zu Mittelbühnen keine generellen Betriebsförderungen erhalten können.

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