Weniger Auto, mehr Komfort

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Die Bewohner der autofreien Siedlung in Wien-Floridsdorf verzichten auf ein eigenes Auto und genießen die Vorteile der hohen Qualität der Grünanlagen und verschiedener Gemeinschaftseinrichtungen.

In der so genannten "autofreien Mustersiedlung" in Wien-Floridsdorf haben sich 240 Haushalte verpflichtet, ein Auto weder selbst zu besitzen noch ständig zu benützen. Welche Ideen stehen dahinter? Erstens das Motiv einer flexibleren und umweltgerechteren Form der individuellen Mobilität. Zweitens das Anliegen, eher in Lebensqualität als in Auto-Infrastruktur zu investieren.

Am Anfang war es eine "grüne" Idee. Die Wiener Grünen beantragten bereits 1992 im Gemeinderat, in den Stadterweiterungsgebieten "autofreie Siedlungen" zu konzipieren. Die wirkliche Konkretisierung begann 1996 mit der Abwicklung des Bauträgerwettbewerbs. Neben ökologischen, architektonischen und finanziellen Kriterien bewertete die Jury bei diesem Projekt auch die Konzeption des Mitbestimmungsprozesses. Ende 1999 zogen die ersten Mieter in ihre Wohnungen ein.

Nur 25 Auto-Abstellplätze

In der "autofreien Mustersiedlung" wurden für rund 250 Wohnungen ursprünglich etwa 25 Stellplätze für Car-Sharing-Autos vorgesehen (üblicherweise ist das Verhältnis 1:1). Im Laufe des Mitbestimmungsprozesses wurde ein Teil dieser Plätze in Fahrradabstellplätze umgewidmet. Die verbliebenen Plätze decken bisher den konkreten Bedarf an Car-Sharing-Autos bei weitem ab.

Ein zweistelliger Millionenbetrag - noch in Schilling gerechnet - musste nicht in Garagen verbaut, sondern konnte in die Qualität der Grünanlagen und die Gemeinschaftsinfrastruktur investiert werden: eine Sauna mit Blick über Wien, ein gut eingerichteter Fitnessraum, ein großer Veranstaltungsraum, ein gemütliches gemeinsames "Wohnzimmer" am Dach - gleich neben Grillmöglichkeiten im Freien für den Sommer, Kinderspielmöglichkeiten in einem Kinderhaus am Dach, im Kleinkinderspielraum und im Spielhof, von den interessierten Haushalten abwechselnd betreute Hochbeete auf den Dächern zum Anpflanzen von Gemüse, ein gut ausgestatteter Waschsalon sowie die wegsparende hauseigene Fahrrad- und Holzwerkstatt.

Das Rückgrat der Fortbewegung für den Großteil der dort Wohnenden ist der Öffentliche Verkehr, der durch Radfahren und Fußwege ergänzt wird. Und wird ein Auto benötigt, sind die Car-Sharing-Autos in unterschiedlicher Größe flexibler als ein eigener Pkw. Ohne die Fixkosten des Autos als Klotz am Bein können die Verkehrsmittel nach Lust und Laune und aktueller Geldbörse kombiniert werden.

Kein wirklicher Verzicht

Für Außenstehende stehen oft der Verzicht der Bewohner im Vordergrund und die ökologischen Motive, die diese bewegen. Tatsächlich ist es für die hier Wohnenden aber sowohl ökologisch wie auch wirtschaftlich sinnvoll - und für viele auch sozial vorteilhaft, wie an der Aussage einer alleinerziehenden Mutter verständlich wird: "Ein eigenes Auto kann ich mir sowieso nicht leisten, und durch das Auto-Teilen komme ich jedenfalls dann zu einem Auto, wenn ich es wirklich brauche. Auch hätten Sauna und Fitnessklub in meinem Alltag außerhalb dieser Siedlung wohl kaum einen Platz."

Wer von den hier Wohnenden kennt die oft gestellten Fragen nicht: "Gibt es da wirklich keinen, der ein Auto hat?" Die Antwort ist: Ja, es gibt Ausnahmen, es gibt sogar Haushalte, die ein Auto (fast) ständig benützen. Dazu zählen "Härtefälle", die unter die gemeinschaftlich beschlossenen Ausnahmeregelungen fallen und mit dem gewählten Bewohnerbeirat abgesprochen sind. Zum anderen gibt es "Trittbrett-Fahrer", die den Vorteil qualitätsvoller Gemeinschaftseinrichtungen zu günstigen Kosten mit der ständigen Nutzung eines Autos kombinieren möchten. Insgesamt liegt der Anteil all dieser Haushalte bei etwa einem Zehntel.

Eines sollte nicht übersehen werden: Etwa jeder zweite Wiener Haushalt kommt ohne Auto aus bzw. muss ohne eines auskommen. Vor allem die sozial Schwachen sind betroffen. Die "autofreie Mustersiedlung" macht also einen Lebensstil sichtbar, der im städtischen Bereich weit verbreitet ist, dessen Bedürfnisse aber in den Planungen und Entscheidungen oft zu wenig berücksichtigt werden.

Aus der Perspektive als Mitbewohner lässt sich jedenfalls zusammenfassend sagen: Die "autofreie Mustersiedlung" ist nicht nur ein gelungenes Umwelt-, sondern auch ein gelungenes Wohnprojekt, in dem es ein vielfältiges Gemeinschaftsleben gibt.

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