"Wenn Berufe nicht Berufung sind“

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Psychosomatik-Experte Rüdiger Dahlke im FURCHE-Gespräch über ein Massenphänomen unserer Zeit: Burn-out betrifft immer mehr Menschen, die Schulmediziner sind ratlos.

Der Arzt und Psychotherapeut Rüdiger Dahlke hat mit der FURCHE über die Ursachen und Folgen von Burn-out und Depression gesprochen und erklärt, wie man dagegen vorbeugen kann.

Die Furche: Wie interpretieren Sie ein Burn-out?

Dahlke: Jede Krankheit ist ein Weg. Die Burn-out-Krankheit ist der Weg in die Ruhe. Darin besteht auch eine Chance zur Umkehr. Der Ausweg wäre, eine Tätigkeit zu finden, die Sinn macht, eine Beziehung, die erfüllt, eine spirituelle Dimension, die einen glücklich macht. Das gelingt immer weniger Menschen: Burn-out ist das Krankheitsbild, das am meisten zunimmt. Vor 10 Jahren waren die Zahlen vergleichsweise gering, auch bei der Depression. Wir können uns diese Krankheitsbilder längst nicht mehr leisten, aber produzieren immer mehr davon.

Die Furche: Wie konnte es so weit kommen?

Dahlke: Im globalen Turbokapitalismus konkurriert eine niederösterreichische Firma nicht mehr bloß mit österreichischen Firmen, sondern mit japanischen und taiwanesischen. Egal welche moderne Unternehmensberatung eine Firma unter die Lupe nimmt, das Ergebnis fällt immer gleich aus: Reduzierung der Belegschaft auf Prozentsatz x bei gleichzeitiger Steigerung der Leistung der verbliebenen Mitarbeiter. Unternehmer rationalisieren also, was das Zeug hält beziehungsweise ihre Mitarbeiter aushalten: Sie müssen in kürzerer Zeit mehr leisten. Die Menschen treten kurz gesagt in verstärktem Maß in Konkurrenz zueinander und werden zunehmend gegeneinander ausgespielt.

Die Furche: Wie entstehen nun Burn-out und Depression?

Dahlke: Wenn die verbliebenen Mitarbeiter einer Firma zunehmendem Druck ausgesetzt sind, erleiden viele relativ schnell Burn-outs. Die Arbeitslosen, die "wegrationalisiert“ wurden, werden depressiv. Wenn Menschen immer wieder hören, dass ihre Fähigkeiten nichts wert sind, dass sie nicht mehr gebraucht werden, beleidigt das die Seele direkt. Wenn Profitmaximierung die Maxime bleibt, wird das System immer mehr Herzinfarkte, Burn-outs und Depressionen produzieren.

Die Furche: Mit der steigenden Lebenserwartung werden Menschen immer länger arbeiten müssen. Wie soll das funktionieren?

Dahlke: Wenn Menschen unter mehr Druck länger arbeiten müssen, werden sie das nicht aushalten. Wenn die Herzinfarkte immer früher kommen, das Burn-out schon mit 30 auftaucht, werden die Menschen einfach nicht so lange arbeiten können wie von Politik und Wirtschaft gewünscht. Die Industrie müsste einsichtig werden und den Druck reduzieren. Das müsste im globalen Konkurrenzmodell auf der ganzen Welt gleichzeitig geschehen und wird nicht passieren. Die Menschen können sich nur selbst helfen. Im großen Stil wird das wohl nicht passieren.

Die Furche: Wie geht die Schulmedizin mit Burn-out um?

Dahlke: Mit Burn-out hat die Schulmedizin ein riesiges Problem, weil es immer mehr Fälle gibt, die Schulmediziner aber keine geeignete Therapie anbieten können. Der Rat lautet immer: "Ruhen Sie sich mal aus!“ Er bringt aber bei Burn-out längerfristig nichts, solange sich die Lebensbedingungen nicht ändern. Selbst nach einem richtigen Infarkt werden Schulmediziner versuchen, den betroffenen Menschen wieder fit zu machen für genau jenes System, das sie oder ihn kaputt macht. Die Schulmedizin definiert Burn-out als Ausschlussdiagnose, also wenn sich sonst keine Diagnose findet, und stuft Burn-out als Depression ein. Die Leute bevorzugen aber diese Diagnose, weil dahinter steht, dass man sich kaputt gearbeitet hat. Wer nach einem Burn-out allerdings zurück in den Job kommt, ist als "Weichei“ abgestempelt. Karriere kann dann meist keine mehr gemacht werden.

Die Furche: Wie kann man sich also vor einem Burn-out schützen?

Dahlke: Je mehr die Arbeit einem Berufung ist, man also dem inneren Ruf folgt, umso sicherer ist man vor Burn-out. Ich habe noch nie jemanden, der seiner Berufung folgt, mit Burn-out gesehen. Hört man auf diesen Ruf, nimmt der oftmals verschlungene Individuationsweg seinen Lauf. Wenn jemand kein großes Bedürfnis nach Kreativität und Selbstverwirklichung hat, sondern Sicherheit sucht, kann diese Routine und Langeweile ins Bore-out führen.

Die Furche: Was ist Bore-out?

Dahlke: Es ist der Gegenpol zu Burn-out: eine Situation von Motivationslosigkeit und Stumpfsinn. Wenn beispielsweise Lehrer immer dieselbe Klasse unterrichten und sich langweilen, weil ihre Kreativität durch die Lehrpläne oder den Direktor gebremst wird. Unterforderung kann ebenso zu einem Seeleninfarkt führen. Das entsprechende Krankheitsbild ist dann die Depression. Die-se ist oft die Konsequenz einer vordergründigen Flucht ins Vertraute, Banale, in Zerstreuungen und in die überschaubare Welt familiärer und gesellschaftlicher Zwänge.

Die Furche: Wer ist besonders gefährdet?

Dahlke: Die Statistiken zeigen, dass nach 1956 Geborene ein doppelt so hohes Risiko haben, an einer Depression zu erkranken. Dass wirtschaftliche Depression auch Depressionen im psychiatrischen Sinne fördert, ist inzwischen bekannt. Die häufigsten Auslöser sind die Trennung vom Partner und der Verlust des Arbeitsplatzes. So haben arbeitslose Singles das größte Risiko, an einer Depression zu erkranken.

Die Furche: Was bräuchten depressive Menschen?

Dahlke: Es gibt ja Depressionsformen wie die Rentendepression, das Leere-Nest-Syndrom, das Häuslbauer-Syndrom - wenn die Arbeit, die Kinder weg sind oder das Haus fertig und abgezahlt ist, fehlt plötzlich der Lebenssinn. Depression hängt mit nicht gelebter Trauer zusammen. Es geht um die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit. Depressive Menschen müssten sich freiwillig mit ihrer Sterblichkeit auseinandersetzen, anstatt sich in eine Situation zwingen zu lassen, wo man sich dann doch mit dem Tod beschäftigen muss.

Die Furche: Welche Faktoren außer der Arbeit spielen bei der Sinnstiftung eine Rolle?

Dahlke: Partnerschaften können stabilisierend oder destabilisierend wirken. Wenn jemand in der Partnerschaft Halt hat, geht es nicht so schnell bergab. Wenn man partnerschaftlich auch noch genervt ist, freut man sich nicht einmal mehr auf den Urlaub. Dann entsteht eine Abwärtsspirale. Am besten soll Sinn auf verschiedenen Lebensebenen verwirklicht werden.

Die Furche: Welche Rolle kann der Glaube bei der Prävention spielen?

Dahlke: Wenn ein Mensch religiös motiviert ist, werden solche Probleme kaum auftreten. Der Glaube kann von einer traditionellen Religion kommen oder aus der Spiritualität. Wenn aber die Religion auch wegfällt wie bei den meisten jungen Menschen heute, haben sie nichts mehr, das sie auffängt. Die Kirche stößt durch ihren unehrlichen Umgang mit Schuld immer mehr Menschen ab. Die Esoterik-Szene lebt nur von der Unfähigkeit der etablierten Kirche. Im deutschsprachigen Raum stammen inzwischen 20 Prozent der neu gedruckten Bücher aus dem Bereich Esoterik und Lebenshilfe. Am meisten Halt gibt den Menschen die Spiritualität, weil diese über den Tod hinaus trägt. Die Arbeit und die Partnerschaft enden meist noch vor dem Tod. Frauen überleben ihre Partner ja um durchschnittlich zehn Jahre.

Die Furche: Welche geschlechtsspezifischen Unterschiede erkennen Sie im Umgang mit Burn-out und Depression?

Dahlke: Frauen neigen viel eher dazu, über Psyche zu reden, Lösungen zu suchen und umzudenken. Sie suchen schneller ärztliche Hilfe und erhalten mit größerer Wahrscheinlichkeit die richtige Diagnose, weil sie ihre Symptome ehrlicher beschreiben. Wenn Frauen aus der Karriere rausfallen, können sie oft leichter damit umgehen, weil sie sich nicht nur darüber definieren. Bis Männer sich mal zur Therapie anmelden, muss schon sehr viel passiert sein. Meist steht dann die Frau dahinter. Männer neigen zum Kompensieren, gehen zum Sport.

Die Furche: Warum erleiden immer mehr Menschen, auch junge, einen Herzinfarkt?

Dahlke: Stress und Zeitdruck führen zu Bluthochdruck. Weil wir in einer Hochdruckgesellschaft leben, fällt der (Blut-)Hochdruck gar nicht mehr auf. Verfestigte, ungelebte Erregungszustände ballen sich in der Herzregion: Es wird eng in der Brust, Angst und Gefühlskälte entstehen. Ein Herzproblem zwingt einen zur Auseinandersetzung mit der Frage: Wie oft höre ich auf mein Herz? Wenn wir uns nicht auf psychischer Ebene um unsere Herzensangelegenheiten kümmern, zwingt uns der Körper später dazu. Erst bei körperlichen Problemen reagieren wir und ändern etwas.

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