Wenn das kritische Bewusstsein abgeht

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Historisch bewusstlos: "Vor dem Fest“ von Saˇsa Staniˇsi´c erscheint in einer Liebenswürdigkeit, die auf Verdrängung schließen lässt.

Das also kommt heraus, wenn man einen historischen Roman als Dorfgeschichte schreibt: ein hybrides literarisches Wesen, das die große Geschichte im Milieu der Betulichkeit und der konservativen Kleinkrämerei verankert. Die Figuren sind verschroben, gemütlich und beschränkt, liebenswert allesamt, selbst in ihrer angedeuteten Abgründigkeit.

Aber von dieser will Saˇsa Staniˇsi´c in seinem vor Gutmütigkeit platzenden Roman nicht allzu viel wissen. Er verzettelt sich lieber in Anekdoten, bevor er sich mit dem wüsten Charakter der menschlichen Seele abgibt. Das hat etwas vom heiteren Charme der Kinder von Bullerbü, die auch ziemliche Racker sein dürfen, aber nie über die Stränge schlagen. Liegt es am Genre der breit ausgewalzten Dorfgeschichte, dass einen hier der Mief des 19. Jahrhunderts anweht? Vielleicht war Roderich Feldes der letzte ernsthafte Schriftsteller, der der Dorfmentalität hart zusetzte. Bei Staniˇsi´c treffen wir unverwandt auf eine Liebenswürdigkeit, die auf Verdrängung schließen lässt. So schreibt einer, der gefallen will, aber nicht aufregen möchte.

Allzu harmlos

Mit Staniˇsi´c wandern wir durch die Mark Brandenburg und machen Halt im Nest Fürstenfelde. Weil das früheres DDR-Gebiet ist, könnten hier menschliche Dramen unter der Oberfläche verborgen liegen. Könnten, Konjunktiv! Ist nicht der Fall. Selbst die zwei Neonazis sind weniger zum Fürchten als zum Erbarmen. Eigentlich sind es nur eineinhalb, lässt uns der Erzähler wissen, Rico ist ein echter und Luise macht nur Rico zuliebe mit. Und was treiben die beiden, wenn die wirklich schlimmen Neonazis von außen kommen? "Rico und Luise, die hatten es verpennt.“ Inzwischen lassen es die Randalierer rund gehen, und das sieht dann so aus: "Rumänen raus stand danach groß und schräg auf einem der Container, aber irgendwie leise, weil weiß gesprayt auf gelb und weil das Ausrufezeichen fehlte“.

Der Roman erweist sich auf derart abenteuerliche Weise harmlos, dass er einem bei aller Geheimnislosigkeit doch noch ein Geheimnis mit auf den Weg gibt: Worin besteht die innere Notwendigkeit, ihn überhaupt zu schreiben? Besteht das Motiv tatsächlich darin, die Leser für ein paar Stunden zu unterhalten? Darauf weist die Neigung des Autors hin, kleine Erzählhäppchen so auszulegen, dass man sie leicht verschlingt und sie einem nicht weiter aufstoßen. Das ist seltsam, zumal ein zeitgeschichtlich brisanter Boden eingezogen ist, auf dem Staniˇsi´c nur ein bisschen herumturnt. Die Leute, die früher DDR-Bürger waren und sich heute eine Identität als Bundesrepublikaner angeeignet haben, müssten ja eine Spannung in sich austragen wie Herr Schramm, "ehemaliger Oberstleutnant der NVA, dann Förster, jetzt Rentner“. Immerhin ist er nah dran sich zu erschießen, doch dann hält ihn eine junge Frau davon ab (Genre: Rührstück).

Eingeschränkte Entwicklungsmöglichkeit

Was aber diese Spannung ausmacht, was in einem vorgeht, der mit den neuen Verhältnissen nicht zurechtkommt, wir wissen es nicht. Das betrifft das Handeln all der anderen Figuren auch. Staniˇsi´c denkt nicht historisch, er liefert Denkwürdigkeiten. Und das ist die Schwundstufe kritischen Bewusstseins. Man darf gar nicht dran denken, was Wolfgang Hilbig oder Kurt Drawert an erstklassiger Literatur geliefert haben, um mit der DDR scharf abzurechnen. Naja, aber Staniˇsi´c holt doch viel weiter aus, könnte man einwenden. Er lässt uns teilhaben daran, wie sich die Fürstenfelder im Lauf der Jahrhunderte geschlagen haben. Hier wird tief in die Geschichtskiste gegriffen, um dem Text historische Fülle angedeihen zu lassen. Und dann werden nur kleine Episoden aus der Chronik des Dorfes hervorgekramt, und die sind aller Wahrscheinlichkeit nach gelogen.

Das darf nicht verwundern, denn der Frau Schwermuth, der Leiterin des Hauses der Heimat und Verwalterin der Geschichte des Ortes, ist nicht über den Weg zu trauen. Sie hortet im bunkerartig verschlossenen Keller all jene Informationen, die sie mit sonst niemandem teilen mag und schraubt sich so zur Meinungsführerin in Sachen Geschichte auf. Ihr Archiv, ein Bluff.

Vielleicht ist einfach die Idee nicht so gut, den Roman am Tag und der Nacht vor dem Fest spielen zu lassen. Das schränkt Entwicklungsmöglichkeiten von Figuren drastisch ein. Wenn wir sie kennenlernen, sind sie fertig ausgebackene Charaktere. Ihre Vorgeschichte, ohne die wir sie unmöglich verstehen können, kommt allenfalls in marginalen Rückblenden ins Buch, viel zu wenig, um sich ein Bild zu machen. Und dann erweisen sich die meisten auch noch als derart beschränkte Typen, dass sie ohnehin nicht viel verraten über das, was den Charakter einer Zeit ausmacht.

Das deutsche Feuilleton weist eine Vorliebe für Autoren auf, die als Kinder oder Jugendliche nach Deutschland gekommen sind, sich verspätet die deutsche Sprache angeeignet haben und auf Deutsch schreiben. Staniˇsi´c, Jahrgang 1978, mit vierzehn aus Viˇsegrad nach Deutschland gekommen, profitiert davon. Er hat den Sprung auf die Shortlist des Leipziger Buchpreises geschafft.

Vor dem Fest

Von Saˇsa Staniˇsi´c, Luchterhand 2014.

316 S., geb., e 20,60

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