Wenn der Vater mit der Tochter

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"Eine Familie“: Die Familiengeschichte und das Spiel vom Sterben des alten und reichen Mannes ist Pernille Fischer Christensen eindrücklich gelungen.

Der Titel ist Programm: Die dänische Regisseurin Pernille Fischer Christensen hat, wie sie der FURCHE erzählt, in "Eine Familie“ ihre persönliche Geschichte aufgearbeitet.

Die Furche: Ein Film über Familie legt die Frage nahe: Ist dies eine persönliche Geschichte für Sie?

Pernille Fischer Christensen: Ja, vor allem aber auch, was meine Perspektive hier betrifft. In meinen anderen Filmen ging ich eher als Anthropologin an die Welt von außen heran, habe beobachtet, was sich da tut. Nun wende ich mich aber von innen nach außen. Mein eigener Vater ist 2001 gestorben, und damals habe ich einen Brief geschrieben, an niemanden, ich habe ihn auch nie abgeschickt. Als ich wusste, mein nächster Film sollte persönlicher sein, habe ich den Brief aus meiner Schreibtischlade genommen und begonnen, daraus ein Skript zu schreiben. In diesem Film liegt viel davon, wie meine Familie mit dem Tod meines Vaters umgegangen ist. Der Vater ist hier der große Patriarch dieser Familie. Er erfährt, dass er sterben wird. Ab diesem Zeitpunkt muss jeder in dieser Familie seinen Platz finden, definieren, wer er ist, wo er hingehört, und erkennen, was die Prioritäten sind.

Die Furche: Dieser Findungsprozess entsteht erst durch den Schock des Verlusts …

Christensen: Einen Verlust akzeptieren zu lernen, ist für jeden ein Thema. Niemand will etwas verlieren. Nicht den Job, nicht den Partner, nicht die Eltern, nicht Geld, nicht Sex. Diese Angst formt uns, bis wir direkt damit konfrontiert sind. Dann bekommt man durch diesen Verlust auch die Chance, sich zu erneuern. Auch die Familie im Film bekommt durch den Tod des Vaters diese Chance. Sie kann die Rollen neu verteilen, andere Wege gehen. Natürlich ist das nicht einfach, der Vater hatte immer alles kontrolliert - und die Familienmitglieder waren davon am Ende auch abhängig, sie hat ihnen Richtung gegeben. Ist diese Kontrolle plötzlich weg, herrscht also nicht unmittelbare Freude über die neue Freiheit, sondern erst einmal Unsicherheit.

Die Furche: Hat dieser Film auch eine kathartische Wirkung für Sie?

Christensen: Absolut. Ich bin eine Mutter, eine Schwester, eine Tochter, eine Enkelin. All das spiegelt sich in diesem Film wider. Aber ich habe versucht, mich auf eine einzige Beziehung zu konzentrieren, die zwischen Vater und Tochter. Es ist eine Beziehung voller Liebe und Erwartungen. Die Tochter ist in dieser Familie der wichtigste Mensch für den Vater - und vor allem aber umgekehrt.

Die Furche: Die Tochter soll die Bäckerei übernehmen, geht aber nach New York. Erst mit dem nahen Tod des Vaters entscheidet sie sich für den von ihm vorgegebenen Weg - und trifft infolgedessen auch andere, auf den ersten Blick egoistische Entscheidungen, die das Leben anderer beeinflussen ...

Christensen: Jeder hat Familie, jeder weiß, dass es gute und schwierige Zeiten gibt, und dass man auch irgendwann einmal zur Familie, der Mutter, dem Vater "Nein“ sagen muss, um ein eigenes Leben zu führen. Die Tochter sagt auch "Nein“, allerdings zu dem Leben, das sie sich wohl unbewusst als Gegenentwurf zum Leben ihrer Eltern ausgedacht hatte. Familie ändert sich permanent, weil sich jeder Mensch im Laufe der Zeit verändert, durch die Erfahrungen, die er macht - oder nicht macht. In einer Familie ist man manchmal wie zwangsweise mit diesen Veränderungen konfrontiert und die interessante Frage ist, wie gehen alle damit um? Dass die zentrale Figur der Veränderung hier die Tochter, also eine Frau ist, ist vermutlich meiner Perspektive geschuldet, aber auch eine zeitgemäße Tatsache.

Die Furche: War es schwer, mit einem geringen Budget zu arbeiten?

Christensen: Überhaupt nicht. Mit wenig Budget hat man mehr Rechte am eigenen Film, ohne etwa den Druck in einer Koproduktion. Man kann seinen Figuren gegenüber mehr Solidarität zeigen und muss sich und die Charaktere nicht verstellen oder verbiegen. Offenbar hat diese Art, Liebe darzustellen, viele Menschen erreicht. Wenn man zu fragen beginnt, was ein Mann ist, was eine Frau, was ein Mensch, was es ausmacht, was man ist, rührt man etwas sehr Wichtiges an, worauf die Menschen im Alltag vielleicht wenig Gelegenheit haben, zu reflektieren.

* Das Gespräch führte Alexandra Zawia

Authentizität von Anfang an

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein - für sein täglich produziertes Brot lebt hingegen Rikard Rheinwald im Familiendrama "Eine Familie“: Mehlsorten und Sauerteigkulturen bestimmen den Alltag des Bäckermeisters. Selbst als der Patriarch an Krebs erkrankt, denkt er in erster Linie an die Zukunft seines traditionsreichen Bäckereibetriebs - erst in zweiter an die seiner Familie, die an Rikards Starrsinn zu zerbrechen droht.

Das Thema Familie spielt in vielen Spielfilmen eine Rolle, zumindest im Hintergrund. In Pernille Fischer Christensens elegischen Drama dient dieses Sujet als Ausgangsbasis für eine bedrückende Chronologie über das Sterben: Minutiös zeichnet die Filmemacherin die letzten Tage und Stunden eines Mannes nach, der bis zum Ende seines Leidenswegs an seinen Prinzipien festhält. Handwerklich gelungen in Szene gesetzt mutet Christensen dem Zuseher dabei schwere Kost zu, an der er auch nach dem Abspann noch zu knabbern hat. Dies liegt zum einen an der quälend intensiven Todeskampf-Inszenierung gegen Ende des Films, zum anderen am brutalen Bruch mit der anfänglichen Indiefilm-Typografie, die zunächst die Weichen für eine unterhaltsame Familiengeschichte rund um Generationenkonflikte stellt. Dass es trotz dieser Divergenz zu keiner Entgleisung kommt, ist dem starken Schauspieler-Ensemble zu verdanken, das von Anfang bis Ende durch enorme Authentizität besticht. (Jürgen Belko)

Eine Familie (En familie)

DK 2010. Regie: Pernille Fischer Christensen. Mit Jesper Christensen, Lene Maria Christensen.

Tobis. 102 Min.

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