Wenn die Sprache schreien könnte ...

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Anglizismen: trendy oder uncool? Dumm, peinlich und rücksichtslos, meint eine, die in Cambridge studieren durfte.

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Anglizismen: trendy oder uncool? Dumm, peinlich und rücksichtslos, meint eine, die in Cambridge studieren durfte.

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Alles, was ich Ihnen in den folgenden Zeilen biete, sind Zitate. Ich habe sie innerhalb von drei Monaten gesammelt. Das erste Zitat stammt aus der Werbebroschüre eines Wiener Fachgeschäfts für Bekleidung: "Der Look, der jetzt Mode macht! Good feeling? Need a change? Top-trends: Sportiv-Sweats. Spice-girl-look: Leoparden-Leggins in Trompetenform, die sportlichen Newcomer! Ein sechsteiliges Rundumoutfit: sportiver Kuschel-look."

Die Ars Electronica, das Linzer September-Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft, läuft unter dem Titel "Infowar". Bitte, was ist das? In dem 40 Seiten starken Programmheft heißt es unter der Rubrik "Events & Performances" (man kann ja nicht "Ereignisse" und "Aufführungen" sagen): "Die präzise Dramaturgie von rasenden, attackierenden Bildern bis hypnotischen Patterns (Muster) kann ambivalent erlebt werden - und ermutigt doch zum Ausharren. Die Live-Performance erforscht extreme Raum-, Zeit- und Masse-Intensitäten. Grelle Blitzfelder rauhen Videoprojektionen in aggressiv-poetischer Weise auf und penetrieren den Betrachter durch insistierendes Pulsieren. Wenn der Mix von Fiktion und Realität derart hochgradig ist, kann TNC Network nicht weit sein. Die Ars Electronica wird Station im mediafiktionalen Setting. INCS Data Jockeys werden während des Festivals mehrmals versuchen, die Informationsbaustelle ,Millennium Park' zu hacken."

In einer Kirchenbroschüre der Erzdiözese Wien lese ich: "EU goes Stephansdom". Auf der Kulturseite der Süddeutschen Zeitung schreibt einer über den russischen Pianisten Arcadi Volodos: "Er beamt sich und sein Publikum zurück in die musikalische Vergangenheit ("to beam": strahlen, mit einem Richtstrahler senden). Das Wiener Literaturhaus kündigt eine Veranstaltung über das Erbe von Thomas Bernhard mit folgenden Worten an: "17.00 Uhr: Thomas Bernhard in Statements" (statement: Verlautbarung, Erklärung, Aussage). Das Wiener Künstlerhaus stellt sein Jahresprogramm 1998 so vor: "Der Gedanke des crossover liegt dabei nicht nur dem Programm zugrunde, sondern ist auch in der Struktur des Hauses verankert (crossover: gemeint sind wohl Grenzüberschreitungen zwischen den einzelnen Künsten). Die Wirtschaftskammer lädt zu einem Pressegespräch mit dem Thema "Neue Qualität im Internet - Die virtuelle Europäische Schule" ein: "Das erste internationale Kickoff-Meeting!" (Kickoff heißt im Sport "Anstoß").

In der österreichischen "Qualitätszeitung" "Die Presse" ist die Rede von einem neuen "Shooting Star" der Kosmetik. Von allen fehlerhaften Übernahmen aus dem Englischen regt mich dieser besonders auf. "shooting star" heißt "Sternschnuppe". Diese hat es an sich, sehr rasch in der Atmosphäre zu verglühen. Was die eifrigen Benützer des englischen Ausdrucks meinen, ist ein "rising star", jemand, der einen kometenhaften Aufstieg erlebt.

Ich liebe das Englische. Ich hatte das Glück, an der englischen Elite-Universität in Cambridge studieren zu dürfen. Man kann mir also nicht vorwerfen, ich würde wie der Fuchs, dem die Trauben zu hoch hängen, gegen das Englische wettern. Doch diese Sprachangeberei, dieses unreflektierte Übernehmen von englischen Ausdrücken ist peinlich und dumm. Außerdem rücksichtslos. Immer mehr Menschen berichten mir, daß sie vieles, was sie lesen oder in den Medien hören, nicht verstehen, weil sie keine Gelegenheit hatten, Englisch zu lernen.

Wo ist der Politiker, der endlich den Mund auftut, wie dies in Frankreich regelmäßig geschieht, und sich für ein klares, verständliches Deutsch einsetzt? Ich weiß, eine vergebliche Hoffnung, kämpfen doch die führenden Politiker Ostösterreichs schon mit dem Deutschen ...

Die Engländer, unfreiwillige Lieferanten dieser abzulehnenden, weil häufig mißverstandenen Findelkinder, denken nicht im Traum daran, sprachlich in deutsche Dienste zu treten. In Großbritannien wogt derzeit ein ganz anderer Sprachenstreit. Das monumentale "Oxford English Dictionary" war bisher maßgebend für gutes Englisch. Doch seine soeben erschienene Neuauflage bringt die Traditionalisten zur Weißglut, denn nun haben die Herausgeber ein Tabu gebrochen. Statt Hüter der alten Werte gegen den modischen und schlampigen Umgang mit der Sprache zu sein, biedert man sich jetzt an. Völlig überflüssigerweise seien 2.000 neue Wörter aufgenommen worden, die sprachbewußte Engländer als läppische Eintagsfliegen abtun, die bald wieder verschwinden würden.

Die Herausgeberin des "New Oxford Dictionary" definiert in ihrer Einleitung die Aufgabe des Wörterbuchs allerdings so: "Ein gutes Lexikon dokumentiert die Sprache, wie sie ist und nicht, wie die Herausgeber (oder irgend jemand anders) sie haben möchten." Dagegen wenden erboste Leute ein, daß das einst tonangebende Lexikon zwar jetzt erlaubt, was die Leute eben in den Mund nehmen, andererseits aber warnend den Finger hebt bezüglich der politischen Korrektheit.

So wird dem Benützer empfohlen, alle Begriffe mit "man" (Mann) zu umgehen. Das Wort sei problematisch, gelte als sexistisch oder bestenfalls als altmodisch. Eine Alternative für "manpower" (Arbeitskräfte) wird freilich nicht geboten. Auch "Zwerg" und "Eskimo" werden als beleidigend abgetan, Ersatz haben die Herausgeber keinen.

Die Autorin ist Mitarbeiterin der ORF-Abteilung Wissenschaft und Bildung.

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