Wenn die Tür offen steht

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Sind Pokerface-Politiker die Zukunft oder Plaudertaschen. Experten warnen vor beiden.

Es gibt Politiker, die haben besonders Pech: So zum Beispiel der US-Senator Larry Craig, ein überzeugter Konservativer, der keine Gelegenheit ausließ, gegen Homosexuelle zu wettern. Und ausgerechnet Craig ließ sich in einer Flughafen-Toilette zu homosexuellen Handlungen hinreißen. Der Republikaner trat zurück. Der Spott war enorm.

Hierzulande traten in jüngster Vergangenheit vergleichsweise unspektakuläre private Ereignisse an die Öffentlichkeit, dennoch Grund genug für Häme und Angriffe. Jüngster Anlass: Familienministerin Andrea Kdolskys freiwilliges Outing ihrer Trennung und neuen Verliebtheit. Während Kritiker, sogar aus den eigenen Reihen, die Boulevardisierung der Politik beklagten, freuten sich andere über "normale Menschen in hohen Ämtern", die eben auch die gleichen Sorgen wie wir alle hätten. Was meinen nun Politiker und deren Berater sowie Beobachter? Wie viele Outings über Privates vertragen sich mit einem erfolgreichen Politikerleben?

Wenig! So die einstimmige Einschätzung einiger Experten. "Es ist natürlich zunächst die ganz persönliche Entscheidung eines jeden Politikers, wie er damit umgeht", betont der Politologe Peter Filzmaier. "Aber es muss jedem klar sein: Wer die Schlafzimmertür öffnet, kriegt sie nicht mehr zu." Kurzfristig würden natürlich solche Outings die Aufmerksamkeit steigern. Aber irgendwann sei der Kulminationspunkt überschritten, die Medien wollten dann immer mehr.

Filzmaier bezweifelt, ob private Einblicke langfristig sinnvoll oder wirksam sind. Die Balance zwischen Privat und Profession sei natürlich eine Gratwanderung. Gutes Beispiel laut Filzmaier: VP-Umweltminister Josef Pröll, der keine Homestories zulässt. Wenn er aber mit dem Rad durch die Gegend strampelt, würde das mit Inhalten verbunden werden. Der gute Rat an die Familienministerin: "Warum nicht langfristig als gute Ärztin punkten?" Peter Filzmaier hält überdies den mächtigen Einfluss von sogenannten Spindoktoren für einen Mythos. "Im Fall von Frau Kdolsky hätte vielleicht mehr Coaching gut getan."

"Kleine Vorlieben und biografische Details in den Vordergrund rücken - Ja; Familie und Beziehungskisten - Nein", meint auch der Politikberater Thomas Hofer. Gelungenes Beispiel: der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit. "Wowereit schaffte es, aus seinem Outing ein Asset zu machen, es wurde zur politischen Aussage. Aber es gab keine Homestories."

Noch meinen die Experten bei den österreichischen Medien im Vergleich zu ihren Kollegen in den USA oder Großbritannien, eine gewisse "Beißhemmung" zu orten, wie Hofer sagt. Laut Filzmaier ist jedoch der "irreversible Bruch" schon längst geschehen - seit dem Outing von Ex-Bundespräsident Thomas Klestil über seine Trennung.

Tabubruch seit Klestil

"Er gab den Anlaß, der Tabubruch wurde aber von den Medien vollzogen," verweist der Politologe auf Schlagzeilen wie "Klestil, gib die Löffler ab." Hofer sieht als nächsten in der Reihe das Beispiel des ehemaligen SPÖ-Kanzlers Viktor Klima. Seine mediale Inszenierung wurde zum Boomerang.

Dessen einstiger Pressesprecher und heutiger Bundesgeschäftsführer, Josef Kalina, bleibt bei seinem Vorwurf der "Verlugnerung" in Richtung Familienministerin Kdolsky. "Es ist jeder gut beraten, sehr sorgfältig mit der Privatssphäre umzugehen", mahnt er. Und was meint er zum News-Cover über mögliche Trennungsgerüchte von SP-Sozialminister Erwin Buchinger? "Da wurden von den Medien Grenzen überschritten", beklagt Kalina. Dass Buchinger selbst die Tür zu seinem Privatleben etwas zu weit aufgemacht haben könnte, bestreitet er. "Das sehe ich nicht so." Sein Haarschnitt vor dutzenden Kameras und sein Auftritt als Motorradfan seien zu karitativen Zwecken gewesen, seine Familie habe er immer klar draußen gelassen. Daran würden auch die kleinen Einblicke in Buchingers Familiensonntage (mit Bügeln etc.) nichts ändern. Die Medien sollten ihrer guten Gepflogenheit der Zurückhaltung und dem gesetzlichen Recht auf Privatleben gerecht werden, so der Parteistratege.

Sein Gegenüber Hannes Missethon hat Kalinas Vorwurf der "Verlugnerung" als "scheinheilig und unqualifiziert" zurückgewiesen und listete ähnliche Vorfälle bei der SPÖ auf: Als etwa Kanzler Alfred Gusenbauer über seine Weinvorlieben Auskunft gab oder Verteidigungsminister Norbert Darabos so wie Kdolsky in der Ö3-Sendung "Frühstück bei mir" über seine Brillenauswahl plauderte. "Bei Kdolsky handelt es sich um eine persönliche Entscheidung einer Politikern, die zu respektieren ist," so der VP-Generalsekretär Missethon in der APA.

"Nicht zu empfehlen" lautet jedoch die Einschätzung zu Kdolskys Outing von Feri Thierry. Der Kommunikationsberater, der ÖVP nahe stehend, versteht zwar das Bedürfnis eines Politikers, selbst zu entscheiden, wann etwas publik wird. "Das Problem ist nur, dass man dann die Kontrolle darüber verliert." Der Politiker dürfe natürlich Schwächen zeigen und Fehler machen, aber dennoch rät Thierry zu "mehr Professionalität". "Bevor ein Politiker mit Privatem an die Öffentlichkeit gehen soll, muss viel passieren", meint der Kommunikationsexperte. Wenn also Trennungsgerüchte auftauchen, was soll der betroffene Politiker tun? "Nicht darauf eingehen; wenn es aber stimmt, informell Kontakt zu den Medien aufnehmen." Oder eine kurze Mitteilung und dann "kein weiteres Kommentar", rät etwa Thomas Hofer.

Das Rezept für die Zukunft heißt aber nicht strikte Trennung, sondern das Mittelmaß finden, wie auch der Grüne-Abgeordnete und Parteistratege Dieter Brosz betont. Eine strikte Trennung zwischen Job und Privatem sei ja nicht möglich. "Problematisch ist es, wenn Privates inszeniert wird, um politisch Erfolg zu haben."

Das Woman-Cover mit der schwangeren Grünen Vizechefin Eva Glawischnig Anfang 2006 lässt Brosz nicht als Gegenbeispiel gelten. "Eine Schwangerschaft lässt sich irgendwann nicht mehr verheimlichen, das muss man publik machen. Zudem wollte Glawischnig diese Situation nützen, um das Thema Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf zu thematisieren." Dürfe dann nicht auch Ministerin Kdolsky als Identifizierungsfigur für das Heer von Geschiedenen herhalten? Das sieht Brosz nicht so. Warum müsse sie dann noch über andere private Details Auskunft geben, entgegnet er.

Diverse Popularitätskurven geben jenen Recht, die Politikern nur geringe Dosen von privaten Outings empfehlen. Die als etwas "kühl" geltende VP-Außenministerin Ursula Plassnik ist bei Rankings oben auf, Parteikollegin Andrea Kdolsky sinkt ab. Aber wie man weiß: Es kann bald wieder anders sein.

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