Wenn die Waldohreule im Gemeindebau brütet

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Wer Kontakt mit der Wildnis sucht, braucht keinen Langstreckenflug zu buchen. Oft reicht es sogar, in der eigenen Stadt mit offenen Augen unterwegs zu sein, um größere Wildtiere zu Gesicht zu bekommen, wie der Zoologe Richard Zink im Gespräch mit der FURCHE erläutert.

Die Furche: Welche Wildtiere kann man heute in Wien zu Gesicht bekommen?

Richard Zink: Von den größeren Arten etwa Fuchs, Dachs und Marder, aber auch Rehe, Kaninchen, Hasen und seit geraumer Zeit auch Wildschweine. Daneben gibt es eine Reihe großer Vogelarten, von der häufigen Wildente bis zu selteneren Spezies wie dem Graureiher, dessen Horste etwa in einer Kolonie im Wasserpark gut einsehbar sind. Eher in der Peripherie des städtischen Raums taucht der seltene Schwarzstorch auf, der im Wienerwald brütet und zum Beispiel am Wienfluss in der Hütteldorfer Gegend immer wieder morgens zu beobachten ist, wenn er dort Fische und Frösche fängt.

Die Furche: Gibt es Tipps, wie Wildtiere in der Stadt am besten zu beobachten sind?

Zink: Es ist ratsam, größere Grünräume aufzusuchen wie zum Beispiel die Donauinsel, die Lobau oder den Wienerwald. Es kommt aber auch vor, dass Besucher des Burgtheaters auf dem Weg durch den Rathauspark Beobachtungen machen oder unweit vom Stephansplatz ein Wanderfalke zu beobachten ist, der gerade eine Taube fängt. Die Aktivität vieler Wildtierarten ist nachts und in der Dämmerung. Wenn es ruhig ist in der Stadt, steigt die Chance, größere Tiere zu Gesicht zu bekommen. Daher ein Tipp: Frühaufsteher haben es leichter.

Die Furche: Stimmt der Eindruck, dass die Zahl der Wildtiere im urbanen Raum größer geworden ist?

Zink: Fraglich bleibt, ob dieser Eindruck eine Art Monitoring-Effekt ist, also durch verstärkte Kontrolle nur der Anschein gehäuften Vorkommens entsteht, oder ob die Zahl der Tiere tatsächlich größer geworden ist. Von einigen Wildtierarten, die ein breites Nahrungsspektrum haben, sind sicher Zunahmen zu verzeichnen. Denn unser Lebensraum ist üppiger an Nährstoffen geworden, und das wirkt sich auf die gesamte Nahrungskette aus: mehr Samen, die von Mäusen aufgenommen werden, die wiederum von Turmfalken, Füchsen oder Mardern abgeschöpft werden. Wildschweine und Rehe können direkt auf die erhöhte pflanzliche Produktion zurückgreifen. Im urbanen Raum kommt der Nahrungsabfall dazu, obwohl Wien eine sehr saubere Stadt ist. Und mehr Nahrung bedeutet im Endeffekt mehr Tiere.

Die Furche: Wie ist die Einstellung der Bevölkerung zu städtischen Wildtieren?

Zink: Generell herrscht großes Interesse. Wenn man beim Frühstück einen Marder oder Dachs durch den Innenhof laufen sieht, ist das ein Erlebnis für die ganze Familie. Vor kurzem hat eine Waldohreule im Innenhof eines Gemeindebaus gebrütet: Das war ein Riesen-Event, da schauten die Leute von rundherum auf Augenhöhe in dieses Nest hinein. Es gibt natürlich einige Wildtierarten, die aus menschlicher Sicht Schäden anrichten können, etwa der Dachs, der sehr grabkräftig ist und schnell einmal ein Blumenbeet umgräbt oder auf der Suche nach Regenwürmern einen schön gepflegten Rasen in ein "Schlachtfeld“ verwandelt.

Die Furche: Wie sollte dann die Konfliktlösung aussehen?

Zink: Das Abfangen und Transferieren häufiger Tiere ist in der Regel nicht zielführend, da diese rasch durch andere Tiere ersetzt werden. In der Regel versucht man sich zu helfen, indem man die Tiere durch Abtrennungen ausgrenzt. Generell bedarf es eines Abwägens der Maßnahmen, die zum Wohl der Menschen, aber nicht gegen die Wildtiere gerichtet sein sollten.

Die Furche: Welche ökologische Bedeutung haben Wildtiere in der Stadt?

Zink: Jedes Lebewesen übernimmt eine Rolle im System, in dem wir leben und dessen Teil wir auch sind. Je strukturierter und vielfältiger dieses System ist, das heißt je größer seine Biodiversität, desto stabiler ist es auch. Wir sehen das manches Mal anhand des Klimawandels und vermehrter Extremsituationen: Je instabiler ein System wird, desto leichter nimmt auch der Mensch Schaden. Insofern ist davon auszugehen, dass es gut ist, wenn wir viele Arten rund um uns erhalten.

Die Furche: Zudem bewirkt die Beziehung zu Wildtieren ja auch eine Art von Naturverbindung …

Zink: Ja, man ist in der Regel nur bereit, das zu schützen, was man kennt. Wenn Stadtkinder mit Wildtieren in Kontakt gekommen sind, und sei es nur durch den Blick aus dem Fenster, dann ist das bereits ein wertvoller Beitrag zum Umweltbewusstsein. Diese Kinder reagieren später hoffentlich sensibilisiert, wenn irgendwo ein Naturschutzgebiet eingerichtet wird oder wenn versucht wird, Schutzmaßnahmen umzusetzen. Dann ist das Samenkorn bereits gesät.

Die Furche: Wie kann man sich die Wildnis nach Hause holen?

Zink: Selbst mitten in der Stadt kann ich im Fall eines Balkons einen Nistkasten platzieren, der nicht nur für Spatzen oder Meisen attraktiv ist, sondern bei entsprechender Höhe auch für Turmfalken. Dann kann man im Frühling beobachten, wie die Turmfalken-Familie ihre Jungen großzieht. Einen Garten kann man relativ leicht zugunsten von Igel & Co gestalten. Oft bedarf es nur minimaler Veränderungen, um etwas Lebensraum zu schaffen, etwa ein kleiner Asthaufen als Versteck. Da lässt sich rasch und ohne finanziellen Aufwand Vieles machen.

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