Wenn dieMuse küßt ...

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Die Kunsthalle Wien zeigt in einer umfangreichen Schau, wie Literaten zu ihren Einfällen kommen.

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Die Kunsthalle Wien zeigt in einer umfangreichen Schau, wie Literaten zu ihren Einfällen kommen.

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Genialität, Inspiration, Phantasie - der künstlerische Schaffensprozeß übt eine unwiderstehliche Faszination aus, vor allem auf diejenigen, die sein Endprodukt konsumieren. Woher hat ein Autor seine Ideen? Wie setzt er sie um? Arbeitet er nach einem strengen Konzept oder läßt er seinen Gedanken freien Lauf? Schreibt er in einem Fluß oder ergeht er sich in endlosen Korrekturen und Bearbeitungen? Lebt er wie das sprichwörtliche Genie im Chaos (ein Blick in Friederike Mayröckers Zimmer spricht Bände) oder spiegelt sich die Ordnung des Diskurses auch in seinem Arbeitsplatz wider? Und kann man all diese Fragen überhaupt beantworten? Die Ausstellung "Der literarische Einfall" gewährt dem Betrachter einen Blick hinter die Kulissen, in die Schreibwerkstätten der Autoren. Und man entdeckt: beinharte Arbeit und viele Zufälle.

Anhand etlicher Beispiele von Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts soll das Entstehen von Texten nachvollziehbar gemacht und dadurch auch deren Verständnis erleichtert werden. Organisiert wurde die Ausstellung vom Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, der Kulturabteilung der Stadt Wien und der Vorarlberger Landesbibliothek in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Wien. Den Raum gestaltete das Baukünstlerkollektiv BKK-2: streng reduziert in Hellgrün. Eine länderübergreifende Kooperation hat es möglich gemacht, auch Originale aus Tiroler, Vorarlberger und Schweizer Archiven zu bewundern.

Neben Heimito von Doderers komplexen Konstruktionsplänen zu seinen Romanen finden sich Zeichnungen Fritz von Herzmanovsky-Orlando, handschriftliche Entwürfe von Ernst Jandl, Friedrich Dürrenmatt und Albert Drach - und ein Foto von Michael Köhlmeiers Laptop.

Die Ausstellung ist nicht autorenzentriert sondern in sieben Themenbereiche gegliedert. Zu Beginn steht der Alptraum all jener, die nicht wissen, wo sie anfangen sollen: der erste Satz.

Konzept und Zufall Der zweite Teil, "Bildideen", ist eine Kuriositätensammlung; es findet sich etwa ein "Satyrisches Bild" aus der Theaterzeitung 1846, das Johann Nepomuk Nestroy zu dem mittlerweile in Vergessenheit geratenen Stück "Karrikaturen-Charivari mit Heurathszweck" inspiriert hatte, das bereits bei der Premiere durchfiel und bis heute nicht mehr aufgeführt wurde. Oder eine Graphik, "Die Wasserfälle von Slunj", die Doderer das zentrale Motiv für seinen gleichnamigen Roman lieferte. Allerdings bezeugen Fotos vom Schauplatz, daß die spektakuläre Darstellung einem Lokalaugenschein nicht standgehalten hätte - aber das macht nichts: "Die übertreibende Darstellung auf dem Bild hingegen brachte den Funken zum Überspringen, und der vollendete Roman liefert den Beweis dafür, daß die Poesie auf ihrem Gelände der vergleichsweise kümmerlichen Realität zu entkommen vermag." (Wendelin Schmidt-Dengler) In Kapitel drei treten Ödön von Horvath, Werner Schwab und Fritz von Herzmanovsky-Orlando mit Arbeiten für das Theater auf, ein weiterer Bereich ist guten und schlechten Gedichten gewidmet. Erstere stammen von Ingeborg Bachmann, Ernst Jandl und Reinhard Priessnitz, mit letzteren haben Franz Josef Czernin und Ferdinand Schmatz 1987 den Residenz-Verlag zum Narren gehalten: der Band "Die Reise. In 80 Gedichten um die ganze Welt" enthielt eine Sammlung von konventionell-schlechten Spontangedichten. Nie habe die Zusammenarbeit zwischen Verlag und Autoren so reibungslos funktioniert - doch kurz darauf entlarvten Schmatz und Czernin den Schwindel, mit der Publikation "Die Reise. In 80 flachen Hunden in die ganze tiefe Grube." Der mediale Wirbel ließ nicht auf sich warten. Armer Residenz-Verlag ...

Unter "Konstruktion und Kalkül" finden sich graphische Romanskizzen von Hermann Burger, Heimito von Doderer und dem Schweizer Beat Sterchi, mit Konrad Bayers Zeittrompete, dem Konstruktionsplan zu seinem Text "der vogel singt", und Gerhard Rühms "abhandlung über das weltall" wird die Brücke zur Mathematik und Zahlenmystik geschlagen.

Erich Fried, Theodor Kramer und mit seinem Projekt "Der Europäische Niemand" auch Michael Köhlmeier, stehen für Politik als Schreibanlaß, anhand Friedrich Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" und Franz Grillparzers wenig erfolgreichem Stück "Libussa" werden späte Bearbeitungen früher Konzepte behandelt.

Ausführlich dokumentiert und illustriert wird die Entstehung von Texten auch im Ausstellungskatalog, dem ersten Band der "Profile", dem Magazin des Österreichischen Literaturarchivs, einer aufwendig gestalteten Reihe, die seit heuer im Zsolnay-Verlag erscheint. Zwei weitere Bände sind bereits in Planung, einer wird Otto Basil und der von ihm herausgegebenen Literaturzeitschrift "Der Plan" und ein weiterer der Publizistin und Essayistin Hilde Spiel gewidmet sein.

Das Begleitprogramm zur Ausstellung bietet Lesungen von Friederike Mayröcker, Ernst Jandl, Franz Josef Czernin und Ferdinand Schmatz, außerdem Workshops zum Entstehungsprozeß literarischer Texte.

Bis 20. März Kunsthalle Wien im Museumsquartier, Halle A1 28. März bis 15. Mai Vorarlberger Landesbibliothek, Bregenz\r Der literarische Einfall. Über das Entstehen von Texten.

Herausgegeben von Bernhard Fetz und Klaus Kastberger.

Profile. Magazin des Österreichischen Literaturarchivs 1/1998, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 208 Seiten, öS 197,

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