Wenn ein Mensch keine Grenzen setzt

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Kleine Geste mit großer Wirkung. Andres schiebt Wozzeck ein Messer hin. Wehr’ dich, sagt das Messer, wehr’ dich endlich. Wie weit lässt du es noch treiben mit dir. Der Hauptmann, der Doktor, der Tambourmajor. Wozzeck nimmt das Messer und schneidet Marie, mit der er ein Kind hat, die Kehle durch.

Geschunden und gequält

Gregor Horres inszeniert „Wozzeck“ als Drama eines Menschen, der geschunden und gequält wird, doch es eben auch mit sich machen lässt. Gewiss beißen Wozzeck als letzten in der militärischen Hierarchie die Hunde, aber es geht – nicht zuletzt auch privat, Marie betrügt ihn mit dem Tambourmajor – darum, wie aussichtslos seine Lage tatsächlich ist und wie viel er mit sich machen lässt. Die Frage, was geschieht, wenn ein Mensch keine Grenzen setzt, schiebt sich als spannender Aspekt vor die Unterdrückungsmechanismen.

Was Horres sich zwischen den Figuren theatralisch locker, aber präzise abspielen lässt, sind keine Beziehungen, höchstens Konstellationen, denn die Figuren stoßen sich ab. Jeder bleibt isoliert. Auch Marie im Hinblick auf Wozzeck und selbst, was ihr Kind betrifft. Der schon ziemlich große Junge reagiert nicht im geringsten auf die Umwelt, den Blick versenkt er in seiner portablen Playstation. Den Blick auf den Zustand der Welt führt Horres dann wieder zurück zu Wozzeck, der die Vergnügungen des Gasthausbildes als Albtraum aus Sex und Gewalt erlebt. Ein Bettgestell, das gekippt seine Funktion verliert, visualisiert Maries und Wozzecks gestörte, Maries und des Tambourmajors funktionierende Sexualität.

In seiner angstgeschüttelten Hypersensibilität, die durch die medizinischen Versuche ins Krankhafte gesteigert wird, gerät Wozzeck in einen Strudel, den Ausstatter Jan Bammes im Bühnenbild visualisiert. Eine runde Plattform besteht um die zu öffnende Mitte aus zwei abgeschrägten, unabhängig voneinander drehbaren Ringen. Dort entstehen Spielebenen und Räume, im Oben und Unten soziale Zuordnungen, alles ist auf dieses Zentrum fokussiert. Ein auswegloses Kreisen. Johann Kleinheinz fährt mit einer stimmungsdichten, expressionistischen Lichtgestaltung ins Bühnenbild, die sich bis in den Zuschauerraum erstreckt.

Herbe, eindringliche Klangsprache

Der junge deutsche Dirigent Johannes Debus, ab Herbst Generalmusikdirektor am Opernhaus von Toronto, siedelt Alban Bergs Partitur, diese Urmutter aller später geschriebenen Opern, auf hohem Niveau an. Die Musiker des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck sind völlig vertraut mit dieser herben, eindringlichen Klangsprache und mit der Zuordnung ihrer Instrumente zu den Personen, Motiven und Naturschilderungen. Die klanglichen Nahtstellen gelingen bewundernswert, ebenso alles Leise, Lyrische aufgrund kammermusikalischer Erfahrung.

Joachim Seipp ist ein gleichsam nach innen gestülpter Wozzeck von hoher musikalischer Intelligenz, eine zutiefst erschütterte Existenz, leise und verloren. Susanna von der Burg gibt das kreatürlich empfindende, stimmlich blühende Vollweib, zerrissen in aussichtslosen Verhältnissen. Hinreißend, wie die Sprachmelodie der Wienerin mit Bergs Klanglichkeit verschmilzt.

Herausragend in stimmlicher und darstellerischer Gestaltung der Hauptmann von Dale Albright, präzise geformt der Doktor von Lars Woldt, charaktervoll Anne Pellekoornes Margret und Michael Putschs Tambourmajor, profiliert und klangschön Brenden Gunnells Andres. Dies die Premierenbesetzung; wie immer hat Intendantin Brigitte Fassbaender fast alle Rollen doppelt besetzt. Der literarische Anspruch rechtfertigt die Übertitelung von Büchners Text.

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