Wenn ein Wunsch Wirklichkeit wird

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Stefan Pucher inszeniert im Akademietheater lustlos August Strindbergs selten gespieltes Stück "Rausch“ und lässt die Zuschauer ratlos zurück.

August Strindbergs "Rausch“ ist ein merkwürdiges Stück. Er hat es Anfang 1899 in wenigen Wochen geschrieben und darin das eigene krisenhafte Beziehungs-Inferno verarbeitet sowie seine Hinwendung zur Religion, zum Okkulten und Mystischen thematisiert. Er hat das Stück, das ursprünglich "Verbrechen und Verbrechen“ heißen sollte, als "Komödie“ bezeichnet, was das Programmheft zur Aufführung im Wiener Akademietheater, wo es Stefan Pucher jetzt in Szene gesetzt hat, wohlweislich unterschlägt. Denn Pucher versucht erst gar nicht, es als Komödie zu lesen.

Düstere Atmosphäre

Seine spannungsarme Inszenierung, in der er die Darsteller meist nur brav den Text aufsagen lässt, ist von einem getragenen Ernst, er schafft eine düstere Atmosphäre, vor allem in den zu seinem Markenzeichen gewordenen Videoeinspielungen. Selbst bei Strindberg muss man lange nach den komischen Elementen suchen, auch da ist der Text voller dunkler Ahnungen und nur von einer diabolischen Komik. Die Verwicklungen, um die es geht, sind offenbar, wie es im Stück einmal heißt, "nicht das Werk von Menschen“.

Worum geht es? Das rätselhafte Stück spielt in der Pariser Bohème. Puchers Bühnenbildnerin Barbara Ehnes hat dafür einen pastellgrün und crèmeweiß getäfelten zweistöckigen Raum erfunden, der einem Salon im Paris des Fin de Siècle nachempfunden ist. Eine stählerne Wendeltreppe führt auf die zweite Ebene, die wenig bespielt wird und vor allem als Projektionsfläche für die Videos dient. In blassen Farben zeigen die Bilder von Meike Dresenkamp gespensterhafte Figuren mit weißen Gesichtern und rot gefärbten Lippen, die an James Ensors berühmtes Gemälde "Die Intrige“ erinnern und in kalten Schneelandschaften tanzen und auf einem Friedhof umherirren.

Der Dramatiker Maurice, der in der Darstellung von Lucas Gregorowicz etwas Biederes hat, feiert gerade seinen ersten Triumph auf dem Theater und ganz berauscht vom Erfolg und Champagner beschließt er die Nacht mit der lebenssüchtigen Bildhauerin Henriette, der Freundin seines Freundes, zu verbringen. Catrin Striebeck spielt sie als kalte, berechnende Femme fatale, die auf schnellen Genuss aus ist. Obwohl ihn Gewissensbisse plagen - denn er hat nicht nur den grundanständigen Freund Adolphe (duldsam bis zur Gleichgültigkeit Jörg Ratjen) betrogen, sondern auch seine brave Verlobte Jeanne (Dorothee Hartinger), mit der er eine fünfjährige Tochter hat - planen die Berauschten übermütig ihre Flucht aus Paris, träumen selbstsüchtig von einer gemeinsamen Zukunft ohne hindernde Verpflichtungen, das heißt ohne Kind, ohne Bindung und ohne Verantwortung.

Doch der schöne Augenblick währt nur kurz. Der Liebestaumel ist jäh vorbei, als am nächsten Morgen das Kind tot ist. Dem Kindestod folgt der gesellschaftliche Tod, folgt der Liebestod. Als sich schnell das Gerücht verbreitet, Maurice hätte seine Tochter vergiftet oder Henriette hätte was damit zu tun, wird sein Drama abgesetzt, und mächtige Schuldgefühle überkommen ihn, weil sie sich noch in der Nacht wünschten, das Kind wäre nicht.

Alles Täuschung, bloß ein Rausch

Ein geheimnisvoller, ewig grinsender Abbé, dem Ignaz Kirchner mal kauzige, mal mephistophelische Züge eines diabolischen Seelenfängers verleiht, beobachtet und kommentiert amüsiert das Geschehen. Schließlich treiben gegenseitige Verdächtigungen das Paar auseinander. Wo kurz zuvor noch Leidenschaft loderte, züngelt jetzt blanker Hass, alles war eine Täuschung, bloß ein Rausch. Die Kriminalpolizei ermittelt - und es stellt sich heraus, dass das Kind eines natürlichen Todes gestorben ist. Aber da ist es zu spät: Henriette, zu keiner Reue fähig, verlässt Paris für immer. Maurice wird auch von Jeanne verlassen, aber immerhin feiert sein Stück erneut Erfolge.

Wegen seiner Schuldgefühle, in Gedanken gemordet zu haben, als er das Kind aus dem Leben wünschte, wird er religiös. Aus Angst vor Strafe geht er sein Leben von nun an von der Kirche ins Theater in die Kirche. Nur der Tod des Kindes scheint keinen zu kümmern.

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