Wenn es in Bethlehem Frieden gäbe …

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Er ist Christ, Palästinenser und praktiziert Gandhis Widerstandsmethode: Gewaltfreiheit, so Sami Awad, ist die einzige Option für die Palästinenser.

Gewaltfreiheit ist die einzige Option, die Palästinenser heute haben, sagt Sami Awad, ein Mittvierziger mit blondem Dreitagebart. Dass er, verkleidet als Weihnachtsmann, israelischen Soldaten bei gewaltfreien Demonstrationen Süßigkeiten anbot, jedoch verprügelt wurde, quittiert er mit einem Lächeln. Es geht immer darum, Unrecht sichtbar zu machen - aber nicht darum, Personen anzugreifen. Das ist seit Gandhi einer der Grundsätze gewaltfreien Widerstands. Sami Awad war zwölf, als sein Onkel Mubarak von einer Indienreise mit vier großen Bücherkisten mit Gandhis Schriften zurückkam. In der Kiste fand sich auch ein Gandhi-Comic, der den Buben für Gewaltfreiheit begeisterte. Mubarak Awad, den man den "Gandhi von Palästina“ nannte, wurde 1988 von israelischen Sicherheitskräften zu Beginn der 1. Intifada verhaftet und deportiert - wegen seiner gewaltfreien Kampagnen gegen Übergriffe israelischer Siedler. Er lebt heute in den USA. Sami Awad führt die Arbeit seines Onkels im 1998 gegründeten Holy Land Trust ( www.holylandtrust.org) weiter.

Seit dem Vertrag von Oslo 1993 hat sich die Situation der Palästinenser eher verschärft, sagt Sami Awad. Der Bau von illegalen Siedlungen im besetzten Westjordanland trägt zur Eskalation des Konflikts bei. Auch die rechtliche Behandlung der Palästinenser ist ein Problem - erst jüngst berichtete die israelische Zeitung Ha’aretz, dass fast 100 Prozent der Militärgerichts-Verfahren gegen Palästinenser in den von Israel besetzten Teilen des Westjordanlands mit einer Verurteilung enden. Die israelische Gesellschaft wiederum steht noch immer unter dem Eindruck der Selbstmord-Attentate durch Palästinenser, auch wenn diese nicht mehr stattfinden; Raketenangriffe aus dem Gaza-Streifen auf den Süden Israels führen zu Vergeltungsschlägen Israels usw.

Traumatisierte Gesellschaften

Die israelische genauso wie die palästinensische Gesellschaft ist traumatisiert durch Gewalterfahrungen, und das wechselseitige Misstrauen ist tiefer denn je.

Doch durch Gewalt, durch Rache und Vergeltung hat noch nie ein Land Freiheit, Frieden und Demokratie erlangt, vermerkt Sami Awad. Das hat, so Awad, mittlerweile sogar die Führung der Hamas begriffen - allerdings nur in der Theorie. Wer wirklich für den Frieden arbeiten will, darf nicht "die anderen“ beschuldigen oder in eine Opferhaltung verfallen, sondern muss selbst aktiv werden.

Deswegen engagiert sich der Holy Land Trust in unzähligen Kursen für Gewaltfreiheit, an denen sogar Mitglieder von Hamas und Fatah teilgenommen haben. Zwar gelten beide als terroristische Gruppen, doch innerhalb von Hamas und Fatah gibt es Fraktionen, die gewaltfreie Aktionen nicht ablehnen, wohl eher aus pragmatischen Gründen als aus Überzeugung, sagt Awad. Denn Gewalttaten der Palästinenser verstärken das Gefühl von Unsicherheit und Isolation in Israel und führen zu neuen Repressionen. So ist Gewaltfreiheit das einzige Mittel, das zu Heilung und Verwandlung der Situation führen kann.

Ein Symbol der Gewalt ist die Mauer mit Stacheldraht, die in vielen Teilen des Landes israelische von palästinensischen Wohngebieten trennt. Auch zwischen Bethlehem und Jerusalem verläuft diese Mauer, und um die paar Kilometer von Bethlehem nach Jerusalem zu durchqueren, muss man zu Fuß durch den israelischen Checkpoint gehen, durch enge, lange Gittergänge, die das Gefühl vermitteln, in ein Gefängnis oder Schlachthaus zu gehen. Dazu kommen massive Kontrollen, selbst dann, wenn man einen EU-Pass besitzt. Palästinenser brauchen nicht nur Ausweise, sondern auch ein Permit, und ihnen wird elektronisch ein Handabdruck abgenommen. Touristen merken von all dem wenig, denn ihre Busse werden am Übergang durchgewinkt.

Die Mauer durchbrechen

Auch ein christlicher Palästinenser wie Sami Awad darf nicht einfach nach Jerusalem hinein. Am Palmsonntag 2010 wollte Awad zusammen mit anderen Christen und einigen Muslimen von Bethlehem nach Jerusalem wandern, um zu beten. Sie hatten sich mit Eseln auf den Weg gemacht, mit Olivenzweigen und Palmblättern, und sie gingen einfach durch den Übergang für Touristenbusse, doch die israelische Polizei verprügelte und verhaftete sie, erzählt Sami Awad: "Das war sehr erfolgreich - wir können die Mauer durchbrechen, wenn wir wollen“, sagt Awad mit einem Lächeln.

Die Presseagentur PNN (Palestine News Network) des Holy Land Trust ist die zweitbekannteste palästinensische Nachrichtenagentur. Auf Arabisch, Deutsch (german.pnn.ps), Englisch und Französisch werden Nachrichten über gewaltfreie Aktionen und sozialen Wandel verbreitet - für eine internationale Leserschaft wie für die lokale Bevölkerung. Auch ein lokaler TV-Sender soll ein neues, gewaltfreies Selbst-Bewusstsein der Palästinenser unterstützen - und ein Reisebüro Touristen in die Kunst der Gewaltfreiheit einführen. Wenn es im Heiligen Land Frieden gäbe, Frieden zwischen Juden, Christen und Muslimen, dann wäre das ein Ereignis von internationaler Bedeutung, sagt Sami Awad: "Wir könnten der ganzen Welt zeigen, wie man in Frieden miteinander leben kann.“

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