Wenn Kunst zum Leben erwacht

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Ausstellung in München zur "Erschaffung des Menschen im Atelier".

Wiederum naht sich sein Mund; mit der Hand prüft er den Busen, / Siehe, das Elfenbein wird weich, und befreit von der Starrheit / sinkt an den Fingern es ein, fügsam wie Wachs vom Hymettus, / ... / Ja, es ist Leib. Aufbeben, geprüft mit dem Daumen, die Adern." So erzählt Ovid in seinen Metamorphosen von Pygmalion, der, verliebt in Aphrodite, ihr Bild in Elfenbein schneidet und es anfleht, es möge ihn erhören. Gerührt schlüpft die Göttin in ihr Abbild und gibt ihm menschliche Wärme. Höchster Künstlerwunsch: die Identität von Kunst und Leben zu erreichen, gar im Kunstwerk die Natur zu übertreffen.

Seit der Renaissance hat die Künstler dieses Bestreben nicht mehr losgelassen: die Erschaffung des Menschen im Werk "wie lebend" zu gestalten, aber nicht als bloße Nachahmung (imitatio) der Natur. Um die Idealgestalt der äußeren Erscheinung zu beseelen, galt es, ins Innere vorzudringen. Im doppelten Sinne: in der anatomischen Erforschung physiologischer Zusammenhänge, aber auch in der Reflexion über das Verhältnis von Körper und Bewegung, von Körper und Seele, von Leben und Vergänglichkeit.

Welche technischen und künstlerischen Instrumentarien den Künstlern für die Gestaltung des Menschen seit dem 16. Jahrhundert zur Verfügung standen, beleuchtet eine rund 200 Werke umfassende Ausstellung des Lenbachhauses in München unter dem Titel "Pygmalions Werkstatt - Die Erschaffung des Menschen im Atelier von der Renaissance bis zum Surrealismus". Werkstatt- und Akademiebilder vermitteln vielfältige Einblicke, wie sich seit dem 16. Jahrhundert die Künstler an antiken Bildwerken, den Idealen menschlicher Gestalt, bilden konnten. Schüler studieren im nächtlichen Dunkel, bei Kerzenschein Abgüsse von Skulpturen, wie dies Vasari an der ersten offiziellen, 1563 von ihm gegründeten Akademie vorsah. Unter den vielen seit dem 15. Jahrhundert aufgefundenen antiken Bildwerken gehörten Werke wie die Venus Medici, der Borghesische Fechter oder der Herkules Farnese bis ins 20. Jahrhundert zu den begehrtesten Studienobjekten.

Führende Künstler/Theoretiker wie Leon Batista Alberti und Leonardo da Vinci verbanden den Wissenschaftsanspruch der Malerei und der bildenden Kunst mit der Forderung nach anatomischen Studien der Künstler. Im Sinne des Aristoteles suchten sie, um die Ganzheit von Körper und Seele zu ergründen, das unter der Oberfläche Verborgene der menschlichen Gestalt. Der Muskelmann, "Ecorché" oder "der Gehäutete", war neben den erst ab 1482 päpstlich genehmigten Sektionen das anatomische Anschauungsmaterial für Künstler. Angelo Bronzinos "Hl. Bartholomäus" (1555), eine der großartigsten künstlerischen Umsetzungen, legt den Blick auf das "Innere" des Menschen frei.

Die hölzerne Gliederpuppe, oft lebensgroß und frei beweglich an allen Gelenken, diente seit der Renaissance vor allem zu Gewandstudien. Von der gepolsterten, mit bemaltem Kopf versehenen Kasseler Gliederpuppe (1817) fällt der Blick auf das "Stilleben im Atelier" von Otto Dix - auf das Ende der akademischen Gliederpuppe, zerstört wie das in Pose erstarrte Modell. Auch dieses, männlich wie weiblich, war seit dem 16. Jahrhundert unverzichtbares Studiengeschöpf.

Mit der Aufklärung rührt sich Kritik an der Jahrhunderte alten akademischen Praxis. Die im 20. Jahrhundert als seelenleere Maschinen und wesenlose Gestalten apostrophierten Instrumentarien bevölkern die metaphysischen Räume de Chiricos, dem eine eigene Retrospektive gewidmet sein wird. In Max Ernsts "Es lebe die Liebe oder Pays charmant" gibt das eng umschlungene Paar, von Abgussschalen schützend umschlossen, Hoffnung auf Leben und Liebe in einer nicht definierten Welt. Die Geschichte von der Erschaffung des Menschen durch den Künstler seit dem 20. Jahrhundert beginnt - nicht mit Pygmalion.

Bis 25. November 2001

Städtische Galerie im LenbachhausKunstbau, D-80333 München, Luisenstraße 33. www.lenbachhaus.de

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