Wenn Spielleidenschaft krankhaft wird

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Woche für Woche der Nervenkitzel: Millionen träumen vom Sechser im Lotto. Manche brauchen eine höhere Dosis an Spannung. Sie verlieren Millionen beim Spiel. Was sind die Wurzeln dieser Leidenschaft?

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Woche für Woche der Nervenkitzel: Millionen träumen vom Sechser im Lotto. Manche brauchen eine höhere Dosis an Spannung. Sie verlieren Millionen beim Spiel. Was sind die Wurzeln dieser Leidenschaft?

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Vielleicht wurde meine Seele durch die vielen Empfindungen während des Glücksspiels nicht in höherem Maße befriedigt, sondern nur gereizt und verlangte nach immer stärkeren Empfindungen - mehr und mehr, bis sie schließlich völlig erschöpft war." So beschreibt Fjodor Dostojewsky Erfahrungen mit der Spielleidenschaft in seinem Roman "Der Spieler" aus dem Jahr 1866.

Dieselbe Leidenschaft treibt auch heute viele an: 1,5 Prozent der Bevölkerung sind pathologische Glücksspieler. "Das Spielsuchtpotential könnte weiter ansteigen, seit die Lottozahlen zweimal pro Woche gezogen werden und das Angebot an Glücksspielen immer größer wird", verweist Regina Prunnlechner-Neumann von der Universitätsklinik für Psychiatrie in Innsbruck, auf die Erfahrungen anderer Länder. Das Spielangebot ist "griffnah" geworden.

Auch die Schwellenangst, in ein Spielkasino zu gehen, wird jetzt leichter überwunden als früher. Silvester im Kasino, Roulettespiel kombiniert mit Ballvergnügen, spielen ist durchaus gesellschaftsfähig. "Wenn die Veranlagung zum Glücksspiel vorhanden ist - und es gibt sie zweifellos - dann wird sie durch die Gelegenheit ausgelöst", sieht Walter Pöldinger, langjähriger Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie in Basel, die Versuchung durch das steigende Angebot.

Deshalb wurde auch bei der Psychiatrischen Herbsttagung in Igls bei Innsbruck nach Antworten auf die Frage "Glücksspiel - eine Sucht?" gesucht. Veranstalter waren die Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck, das Universitätsinstitut für Suchtforschung und die Sektion Psychiatrie der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie und Psychiatrie.

"Es gibt durchaus süchtige Spieler, die nicht nur um des Geldes willen, sondern um des Spieles an sich spielen", urteilt Pöldinger. Eigentlich zählt ja das Spiel zu den Urtrieben von Mensch und Tier. Das beginnt beim Kind, das spielend seine Umgebung kennenlernt. Das kann man bei spielenden Jungtieren beobachten; mit dem baumelnden Wollknäuel lernt die Katze Mäuse fangen. Das erkannte der Nobelpreisträger für Chemie 1969, Manfred Eigen (Göttingen), als er in seinem Werk "Das Spiel" unter anderem schrieb: "Der Mensch ist Teilnehmer an einem großen Spiel, dessen Anfang für ihn offen ist."

Das Spiel kann aber zur Sucht werden. Exzessives Spielen wurde von der WHO als psychiatrische Krankheit bezeichnet. Ähnlich wie bei Alkohol und Drogen treten auch hier Entzugserscheinungen auf, obwohl die Abhängigkeit nicht "stofflich" bedingt ist.

Reizbar, depressiv, selbstmordgefährdet Es entwickelt sich ein Krankheitsbild, das von Reizbarkeit, Schlafstörungen, Alpträume, Depressionen bis zu Schuld- und Angstgefühlen reicht. Reinhart Haller (Krankenhaus Frastanz, Vorarlberg) spricht von einer Ko-Morbidität, die Impulsstörungen sowie Zwangsvorstellungen umfaßt. Bei bis zu 20 Prozent der Betroffenen führt diese Situation zum Selbstmord, 15 bis 47 Prozent sind auch alkoholabhängig, etwa 13 Prozent drogenabhängig.

Es ist erstaunlich, daß sich die Literatur, besonders um die Jahrhundertwende, eingehend mit Spielleidenschaft, Liebe und Tod befaßt hat, wie etwa Arthur Schnitzler, Stefan Zweig oder Fjodor Dostojewsky. Die Wissenschaft hingegen hat lange gebraucht, bis sie den biologischen Ursachen nachgegangen ist, ein Fehlverhalten, ein Verdrängen vielleicht.

An der Universität Innsbruck ist Professor Saria bemüht, neuro-biologische Mechanismen aufzudecken, die für ein Suchtverhalten verantwortlich sind. Neurobiologische Daten werden von krankhaften Spielern sowie von Kontrollpersonen erfaßt und verglichen. Es ergeben sich Hinweise, daß funktionelle Störungen des noradrenergenen Systems für die Auslösung der Sensationslust und des pathologischen Spielverhaltens bestimmend sind.

Man nimmt weiters an, daß sich diese Störungen teilweise auch in der gesamten Persönlichkeit widerspiegeln. Die Experten beschreiben diese Menschen als realitätsfremd. Spieler können aus gemachten Fehlern nicht wirklich lernen, sie neigen zu Selbstsüchtigkeit und Aggressivität, Unzufriedenheit, sie können ihre Probleme nicht bewältigen.

Dieses Persönlichkeitsbild paßt auch zu den entdeckten Störungen des Serotonin-Haushaltes. Serotonin ist wichtig für die Impulskontrolle. Bei einem Mangel können sich Menschen weniger gut beherrschen. Auch bei den Messungen von Gehirnfunktionen krankhafter Spieler haben die Wissenschafter Auffälligkeiten festgestellt. Die im EEG (Elektroenzephalogramm) aufgezeichneten Muster ähneln jenen von Kindern mit verminderter Fähigkeit zur Aufmerksamkeit. Die Wissenschaft vermutet, daß diese Störung anlagebedingt ist.

Opiumähnliche Stoffe im Körper Es wurden aber auch körpereigene biochemische Überträgersubstanzen entdeckt, die Störungen und Verstimmungen - Hochstimmungen und Niedergeschlagenheit regulieren. Es sind körpereigene Stoffe (Opioide), die wie Opiate wirken: schmerzstillend, streß- und angstabbauend, euphorisierend.

Im Gehirnstamm produziert, durchwandern sie die Nervenstränge und beeinflussen das limbische System, das die Gefühle steuert. Ein erworbenes oder angeborenes Defizit dieser Stoffe kann Stimmungen der Niedergeschlagenheit auslösen und zur Suchtentwicklung führen. Davon betroffene Menschen sind bestrebt, einen Stimmungsumschwung herbeizuführen, was durch eine höhere Freisetzung von Opioiden erreicht wird. Das Naschen von Süßigkeiten und Alkoholkonsum erhöhen die Ausschüttung dieser Substanzen - und es wird neuerdings angenommen, daß auch das Glücksspiel auf diese Weise euphorisierend wirkt.

Das würde auch die Querverbindungen zu anderen Süchten erklären. "Untersuchungen der Begleitsymptome exzessiver Spieler haben gezeigt, daß problematische Spielgewohnheiten oft mit anderen Abhängigkeiten gekoppelt sind", beobachtet Herwig Scholz (Sonderkrankenhaus de la Tour der evangelischen Stiftung Treffen, Kärnten). Dazu zählt vor allem Alkoholismus, exzessive Sexualität, süchtiges Essen, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit.

Scholz ist der Ansicht, daß es sinnvoll ist, Spielabhängige zusammen mit alkohol- und medikamentenabhängigen Patienten zu behandeln. "Exzessives Spielen hat in den meisten Fällen Suchtcharakter und es bestehen starke Querverbindungen zu anderen Süchten", weiß Scholz aus Erfahrung.

Ein erfolgreiches Therapiekonzept wird an der Innsbrucker Universitätsklinik durchgeführt, eine Selbsthilfegruppe, die von Regina Prunnlechner-Neumann und Christoph Hannemann betreut wird. Die Therapie ist auf gegenseitiges Lernen, Verstehen und Motivieren aufgebaut. So wie beim Alkoholismus gilt auch hier das Gebot: totale Abstinenz.

Und wie steht es mit der Vorbeugung? Viele Religionen haben sich damit beschäftigt. Der Islam verbietet Spiel und Alkohol. Josef II. hat 1787 das Glücksspiel verboten - mit wenig Erfolg. Der Staat tut heute geradezu das Gegenteil, als Glücksspielmonopolist bietet er immer mehr Glücksspiele an und nimmt damit etwa 5,5 Milliarden Schilling im Jahr ein. Ein trügerischer Gewinn, denn die Betreuung und der soziale Verlust durch die Spielsüchtigen ist sicher viel teurer. Schutzmaßnahmen, auch grenzüberschreitende im europäischen Wirtschaftsraum, wurden diskutiert, bis jetzt noch ohne Einigung. Verantwortungsbewußtsein ist gefragt. Der Traum vom erspielten Glück kann leicht zum Alptraum werden.

Die Autorin ist freie Wissenschaftsjournalistin.

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