Fahnen - © Foto: APA / Roland  Schlager

Wer braucht heute noch Patriotismus?

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Was ist österreichischer Patriotismus? Und wie verträgt sich dieser Patriotismus mit einem interkulturellen Miteinander? Eine Debatte anlässlich des Nationalfeiertages.

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Was ist österreichischer Patriotismus? Und wie verträgt sich dieser Patriotismus mit einem interkulturellen Miteinander? Eine Debatte anlässlich des Nationalfeiertages.

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Umfragen bescheinigen Österreichs Bevölkerung einen starken Patriotismus. Was das mit der verworrenen Geschichte des Landes zu tun hat und wie es die politische Gegenwart beeinflusst, diskutieren Ursula Stenzel und Peter Huemer.

DIE FURCHE: Wie lautet Ihre persönliche Definition von Patriotismus?

Ursula Stenzel: Patriotismus ist eine demokratieverträgliche Identifizierung mit seiner Heimat, dem Land, in das man hineingeboren wurde. Es ist eine abgestufte, modernere Lesart des Nationalismus.

Peter Huemer: Patriotismus ist eine besondere Beziehung zum eigenen Land, weil es das eigene ist.

DIE FURCHE: Das klingt mehr nach Emotion als nach Verstand. Es heißt ja auch "Heimatliebe" oder "Vaterlandsstolz". Ist Patriotismus etwas Irrationales?

Stenzel: Patriotismus ist eben ein grundstiftendes Element der menschlichen Existenz. Huemer: "Irrational" geht mir doch ein bisschen zu weit. Neben der Gefühlslage gibt es auch einen rationalen Aspekt: Das Eigeninteresse. Wenn mein Land, in dem ich lebe, floriert, dann wird es auch mir besser gehen.

DIE FURCHE: Österreich liegt bei Umfragen zum Patriotismus regelmäßig im weltweiten Spitzenfeld. Woher kommt das?

Stenzel: Erstens haben wir ein sehr schönes Land. Und die Kultur ist prägend. Daher ist man dem Land, in dem man leben darf und das viel aufzuweisen hat, zugetan. Wenn meine amerikanischen Verwandten Österreich besuchen, sind sie sowas von bezaubert, obwohl sie sehr amerikanisch fühlen.

Huemer: Der Patriotismus ist ein Produkt der Zweiten Republik. Dieses Österreich-Bewusstsein hat sich erst nach 1945 entwickelt und ist ein Elitenprojekt, das einer völlig verwirrten, schuldbeladenen Bevölkerung von oben aufgedrückt worden ist. Federführend dabei war die ÖVP, die dafür in ihre Geschichtskiste gegriffen hat. Dabei ist wie bei jedem Prozess des "nation buildings" gelogen worden, dass sich die Balken biegen. Die Geschichte wurde zurecht gebogen.

DIE FURCHE: Sie meinen den Opfer-Mythos?

Huemer: Auch, aber überhaupt diese Leugnung, dass es eine 1000 Jahre alte gemeinsame Geschichte mit Deutschland gibt. Was aber gelungen ist: Diese Fixierung auf den Deutschnationalismus zu beenden. In den Sechzigern hat es noch geheißen: Nein, wir sind noch keine Nation, wir sind auf dem Weg dorthin. In der Ära Kreisky war dieser Prozess abgeschlossen. Weil das Österreichisch-Sein so neu war, hatte es einen überschießenden Charakter. Ab den Achtzigern wurde der Patriotismus politisch instrumentalisiert - zuerst durch die Waldheim-Affäre und dann von der FPÖ -und ist so in ein verhängnisvolles Fahrwasser geraten.

Stenzel: Gewisse Begriffe wie "Heimat" oder "Vaterland" getraut man sich kaum mehr in den Mund zu nehmen, aus Angst am Nationalsozialismus anzustreifen. Ich habe diese Angst nicht. Man muss den Leuten das Recht lassen, auf die Heimat stolz zu sein.

DIE FURCHE: Zu Deutschland: Das kleine Österreich ist stets bemüht um Abgrenzung gegenüber dem großen Nachbarn, den "Piefke". Ist das ein Kleinheitskomplex?

Huemer: Die Abgrenzung gegenüber Deutschland war nach 1945 panisch. Wir haben kein Schulfach "Deutsch" gehabt, sondern im Zeugnis stand "Unterrichtssprache". Das hat allmählich nachgelassen, aber man merkt es noch immer bei den Fußballspielen. Ein Sieg über Deutschland - er ist halt nur so selten - ist etwas ganz besonderes.

Stenzel: Ich würde nicht von Komplexen sprechen. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie war Österreich auf der Suche nach einer Identität. Nach 1945 war die Identifizierung mit Österreich sicher eine Sache der ÖVP-Politiker. Aber aus der bitteren KZ-Erfahrung, die Christlich-Soziale genausogemacht haben wie Sozialdemokraten, ist nach 1945 ein anderer Patriotismus erwachsen, der mit der Sozialpartnerschaft, dem neuen Wohlstand, der Stabiliät zu tun hat.

DIE FURCHE: In der Europahymne heißt es: "Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt. Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt." Ist der Patriotismus so eine Mode, die teilend wirkt, und ist er im Zeitalter der europäischen Integration überholt?

Stenzel: Der Patriotismus unterliegt Erosionserscheinungen, weil wir durch die Globalisierung in einer neuen Weltordnung - oder eher Unordnung - leben. Andererseits haben wir es aus einem nötigen Verschmelzungsprozess heraus mit der europäischen Integration zu tun. Nach der Euphorie der ersten Jahre -man gehört wieder zu einem Gemeinschaftsprojekt, das Frieden, Freiheit, Wohlstand sichern soll - hat sich eine gewisse Ernüchterung eingestellt.

DIE FURCHE: Warum gibt es so wenig emotionale Bindung an Europa?

Stenzel: Weil die EU im Grunde aus einer Wirtschaftsgemeinschaft erwachsen ist und ihr viele Probleme zugeordnet werden, die wir ohne EU wohl potenziert hätten. Und weil man nationalstaatliche Souveränität abgeben muss. Der EU fehlt eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, denn die wird dominiert von den großen Playern. Da kriegt Österreich oft Komplexe.

Huemer: Die EU ist ein Vernunftprojekt. Sie entwickelt sich sehr langsam und nur unter gewaltigen Schlägen, die sie abkriegt. Wobei die ökonomischen Schläge der letzten Jahre offenbar auch noch nicht ausgereicht haben. Ich meine, dass ein Mensch zu zwei Staaten eine besondere Beziehung haben kann.

DIE FURCHE: Wie verträgt sich Patriotismus mit einer liberalen Zuwanderungspolitik?

Huemer: Der verträgt sich damit ausgezeichnet, denn wir müssen Patriotismus von Chauvinismus unterscheiden. Ich denke, dass sich Patrioten mit dem eigenen Land besonders kritisch auseinandersetzen - in der Meinung, mit der Kritik etwas zum Besseren bewirken zu können. Was die Chauvinisten als Nestbeschmutzung bezeichnen, ist in Wirklichkeit ein Akt des Patriotismus.

DIE FURCHE: Bedeutet eine Betonung des eigenen eine Abwertung des anderen?

Stenzel: Im Gegenteil. Man kann das andere nur schätzen, wenn man das eigene kennt und weiß, wo man steht und woher man kommt. Ich bin Österreicherin und überzeugte Europäerin, nicht nur wegen meiner langjährigen Tätigkeit im EU-Parlament, sondern auch weil ich dieses vielfältige Europa besonders schätzen kann.

DIE FURCHE: Sozialwissenschaftliche Studien zeigen, dass eine patriotische Haltung fremdenfeindliches Gedankengut fördert.

Stenzel: Die Identifizierung mit der kulturellen Herkunft ist nie ein Feindesakt gegenüber anderen. Worunter die Gesellschaft heute leidet ist der Identitäts-und Orientierungsverlust: Verlust der Religion, der familiären Bindungen. So eine Orientierungslosigkeit kann in Kombination mit einem wirtschaftlichen Abschwung dazu führen, dass die Menschen den Rattenfängern wieder auf den Leim gehen - sowohl von links wie auch von rechts.

Huemer: Natürlich ist die Grenze zwischen Patriotismus und Nationalismus fließend. Sobald die Hochschätzung des Eigenen zu einer Abwertung und Abwehr von allem Fremden führt, ist diese Grenze überschritten. Von da nach dort ist es kein weiter Weg.

DIE FURCHE: Frau Stenzel, Sie haben einen Vortrag von Thilo Sarrazin in Wien besucht. Welchen Aspekten seiner Integrations-Kritik können Sie etwas abgewinnen?

Stenzel: Ich sehe diese Fragen losgelöst von der Parteipolitik der ÖVP und ich lehne die parteipolitische Beschlagnahmung von positiven Werten wie der Identifizierung mit der Heimat ab. Durch die zunehmende Entideologisierung der großen Parteien ist ein Vakuum entstanden. Selbst innerhalb der FPÖ -ich habe mich mit der einschlägigen Literatur befasst -kann man einen Wandel vom Deutschnationalen zum Patriotischen und zu den religiösen Chiffren bemerken.

Huemer: Aber das ist doch alles Fremdenfeindlichkeit!

Stenzel: Ich bin gegen diese Tendenz zur Entideologisierung und dafür, dass man den Menschen Werte anbietet.

Huemer: Jetzt habe ich eine Frage: Ich habe gelesen, dass du dich gegen den arabischmuslimischen VP-Nationalrats-Kandidaten Asdin El Habassi gestellt hast. Als ich das las, habe ich es überhaupt nicht verstanden. Stenzel: Jessas! War vielleicht nicht sehr präzise ausgedrückt von mir. Ich glaube, das war ein Telefon-Interview. Aber die ÖVP hat an Profil verloren, weshalb sich vieles vom bürgerlichen Wähler zur FPÖ verschiebt.

DIE FURCHE: Meinen Sie, die ÖVP sollte sich in Integrationsfragen an der FPÖ orientieren?

Stenzel: Nein. Einfach ein klares Profil zeigen. Mehr will ich dazu nicht sagen. Damit wollte ich ausdrücken: Das Thema, ob in Österreich lebende Menschen gleich welcher Herkunft das Wahlrecht haben sollten, sollte kein Thema sein in einer Demokratie.

Huemer: Herausgekommen ist in den Medien aber genau das Gegenteil!

Stenzel: Tut mir insofern leid, als es missverständlich war.

DIE FURCHE: Wieviel Integrationswille und Anpassung darf man den Migranten in Österreich abverlangen?

Stenzel: Ich habe Emigranten in meiner Familie. Wieviel Integrationswillen hat man denen abverlangt? Sehr viel. Es ist so weit gegangen, dass sie ihre eigene Muttersprache mittlerweile nicht mehr beherrschen.

Huemer: Die wollten aber auch nicht mehr Deutsch sprechen, weil sie als Juden aus Österreich geflohen sind.

Stenzel: Sie lernten sogar einen amerikanischen Slang, um sich zu integrieren. Und meine Verwandten waren auch bescheiden, als sie emigrierten. Sie wollten nicht gleich wieder Hochschulprofessoren werden.

DIE FURCHE: Wie hat sich Ihr Verhältnis zu Österreich im Laufe der Jahre verändert?

Huemer: Als junger Mann habe ich das Wien der Jahrhundertwende entdeckt, da war ich richtig Österreich-besoffen. 1961 kam der Herr Karl - ich konnte ihn eine Stunde lang rezitieren. Als ich schon Geschichte studierte, war ich noch immer der Meinung, der Zeitraum von 1938 bis 1945 würde zur deutschen Geschichte gehören. In den Siebzigern ist völlig klar geworden, was da zusammengelogen worden ist - was den Umgang der Zweiten Republik mit dem österreichischen Schuldanteil betrifft. Einen wirklichen Knacks in der Geschichte des Landes hat die Waldheim-Affäre bedeutet. Stenzel: Die Waldheim-Affäre hat einen Politiker diffamiert. Der ursprüngliche Vorwurf war unwahr. Er war kein Kriegsverbrecher. Er hat verdrängt wie soviele Österreicher. Diese Sache hat einen neuen Riss durchs Land gebracht, den ich sehr bedaure. Huemer: Nicht "einen neuen Riss", sondern "den Riss"!

Stenzel: Mir wäre lieber, der wäre nicht erfolgt. Es hätte keiner Waldheim-Affäre bedurft, um die historische Rolle Österreichs in der NS-Zeit neu zu bewerten.

Huemer: Da bin ich skeptisch. Diese Auseinandersetzung war nötig und wäre nicht passiert, wenn nicht das Ausland nach Österreich zurück gespiegelt hätte. Das Wichtige an der Waldheim-Affäre war, dass es bald nicht mehr um seine Person ging, sondern um eine österreichische Selbstbefragung.Ich hab mich vor der Waldheim-Affäre gefragt, ob ein Volk unerkannt in die Geschichte entkommen kann. Obwohl ich diese Auseinandersetzung gut und wichtig fand, gab es in mir einen Schmerz, dass dieser österreichische Name nun unwiderruflich beschädigt wird.

Stenzel: Diese Debatte hat spät eingesetzt. Der Verdrängungsprozess war ein ungeheurer. Dennoch bin ich gegen die Kollektivschuld. Ich kann nicht ein ganzes Volk zu Mittätern machen und damit über Jahrzehnte bestimmte politische Optionen verunmöglichen. Man soll diese Belastungen nicht ständig in die Gegenwart mitnehmen.

Huemer: Aber was 1945 passiert ist, war die Kollektiv-Unschuld! Die Folge war, dass es in Österreich diese Abgrenzung gegenüber dem Nationalsozialismus wie in Deutschland nie gegeben hat. Deswegen kann ein Spitzenpolitiker in Österreich mit einem neonazistischen Zeichen sein Bier bestellen. Worauf man in Deutschland geradezu panisch reagiert, darauf antwortet man in Österreich nur: "Wieso? Was soll denn sein?"

DIE FURCHE: Würden Sie sich als Verfassungspatrioten bezeichnen?

Huemer: Ja, weil die demokratische Verfassung etwas Entscheidendes ist. Ich gehe noch weiter: Ich will schon, dass Österreich beim Fußball gewinnt. Ob Österreich bei der WM dabei ist oder nicht, ist eigentlich ziemlich wurscht. Ich hätte es aber trotzdem gern gehabt. Das ist Patriotismus!

DIE FURCHE: Präsentiert sich der Österreich-Tourismus mit Mozart und Sisi zu vergangenheitsorientiert?

Huemer: Das ist schlicht eine Frage der Zweckmäßigkeit. Wenn die Österreicher selber sich mit diesen Österreich-Klischees identifizieren, ist es allerdings idiotisch.

Stenzel: Die Engländer identifizieren sich auch mit fish and chips. Das ist harmlos.

DIE FURCHE: Besitzen Sie eine Tracht?

Stenzel: Ich habe einige Dirndl, trage sie aber selten, weil sie unbequem sind.

Huemer: Selbst im Urlaub im Salzkammergut habe ich eine Scheu, eine Lederhose oder einen Janker anzuziehen. Es wäre eine Verkleidung für mich. Das Dirndl gefällt mir aber an meiner Frau sehr gut.

DIE FURCHE: Wie fühlen Sie sich als Österreicher im Ausland?

Stenzel: Wenn ich im Ausland die Bundeshymne höre, bin ich immer berührt. Wenn man Österreicher trifft, verbindet allein das.

Huemer: Wenn im Flieger eine österreichische Reisegruppe sitzt, ducke ich mich.

DIE FURCHE: Was sagen Sie Leuten, die nicht viel mit Österreich verbinden?

Stenzel: Ich habe immer Leute getroffen, die mit Österreich etwas verbinden: Die Musik. Das Neujahrskonzert ist kein Klischee, sondern beste musikalische Tradition.

Huemer: Wenn man mit den 1938 emigrierten Österreichern in Tel Aviv redet, sprechen sie immer von der Landschaft. Danach gibt es eine unglaubliche Sehnsucht. Nach den Österreichern nicht. Aber die Berge und Seen haben schon etwas Magisches.

DIE FURCHE: Was machen Sie am 26. Oktober? Huemer: Nichts besonderes.

Stenzel: Ich werde mir die Vereidigung der Rekruten am Heldenplatz ansehen.

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