Wer ist islamistisch?

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Nachsilben, Ableitungselemente oder Suffixe, wie Linguisten sie nennen, zählen zu den unscheinbaren Merkmalen im Sprachsystem. Doch bisweilen entfalten auch sie ihr Eigenleben. Das Suffix -isch dient gewöhnlich der Ableitung von Eigenschaftswörtern aus Substantiven: Seelisch ist das Pendant zu leiblich und im Wortpaar himmlisch - höllisch liegt der semantische Gegensatz ausschließlich im Grundwort. Gleichwohl gibt es eine Bedeutungsnische, in der die Nachsilbe allein einen abwertenden Sinn vermittelt. Ein kindliches Gemüt unterscheidet sich von einem kindischen Verhalten. Während weiblich objektiv beschreibt, fällt weibisch ein subjektives Urteil. Wer einen launigen Einfall schätzt, kann gleichwohl launische Mitmenschen ablehnen.

Bei gelehrten Fach- und Fremdwörtern korrespondieren häufig die Suffixe -ist, -istisch und -ismus. Sie fügen sich dann zu einem festen Ensemble, bilden gleichsam einen wortschöpferischen Verbund. Doch nicht alle Wortfamilien sind neutrale Fachvokabel. Nationalist oder Sozialist (von ihrer Zusammensetzung ganz zu schweigen) samt ihren jeweiligen Ableitungen sind als Fahnenwörter' entstanden, verkörperten also ein positives Selbstverständnis und stifteten Identität. Im gegnerischen Lager aber verkamen sie alsbald zu Stigmawörtern'. Die ideologische Punze verwandelt sich in ein verbales Feindbild. Gerade aus dem letzten Jahrzehnt bietet unser Suffixbündel prominente Beispiele für diesen Prozess. Während Fundament und fundamental auf Grundsätze abzielen, benennen Fundamentalist, fundamentalistisch und Fundamentalismus eine daraus resultierende starre Haltung. Islam und islamisch sind Ausdrücke für ein religiöses System, wohingegen Islamist, Islamismus sowie islamistisch eine darauf beruhende politische Einstellung verbal verurteilen. Hilfsmittel der Grammatik haben so ihre semantische Unschuld verloren.

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