Wer oder was soll das E-Book noch retten?

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Der Verkauf von Lesegeräten soll angekurbelt werden. Hierzulande erfreuen sie sich aber noch nicht allzu großer Nachfrage.

Bei ihrer fast schon verzweifelten Suche nach der größeren Attraktivität von E-Books gegenüber herkömmlichen Lesemöglichkeiten sind die Entwickler und Anbieter von elektronischen Lesegeräten und E-Books, die entweder aus der Unterhaltungselektronik oder aus dem stationär nicht mehr ausweitbaren Filialbuchhandel und vereinzelt auch aus dem Verlagswesen kommen, zuletzt sogar darauf verfallen, den E-Book-Verleih in ihren Handel mit Lesegeräten und E-Books einzubeziehen und das Enhanced E-Book für eine adäquate Umsetzung von Buchinhalten per E-Book zu halten.

Alles zum Buch dazu

Der E-Book-Verleih soll den stockenden Lesegeräteverkauf ankurbeln und eine Multimedia-Zusammenfassung à la "das Buch und alles zum Buch dazu" gemeinsam mit diversen "Geschäftsmodellen", von denen überall geredet wird, aber noch keiner weiß, was das sein soll, das E-Book retten, noch bevor es zu einem nachgefragten Artikel geworden ist. Mit einem halben Prozent Anteil am Gesamtumsatz von Büchern im deutschsprachigen Raum und sechs Prozent am US-Buchmarkt liegt es deutlich unter den Verkaufserwartungen bzw. im deutschsprachigen Raum gerade noch über der Wahrnehmungsgrenze.

Das Leben von E-Readern und von neuen Geschäftsmodellen mit mobilen Datenträgern und im Netz ist kurz. Und so gut wie immer ist mit der Präsentation solcher Leseneuigkeiten ein Bestsellerautorenname verbunden: Dan Brown 2009 mit dem E-Reader "Kindle 2" von Amazon, Ken Follet 2010 mit dem ersten deutschsprachigen Enhanced E-Book für iPhones und iPads bei Bastei Lübbe und der als Online-Autor schon fast wieder vergessene Stephen King mit einer 2000 zum Download ins Netz gestellten, 700.000-mal abgerufenen Kurzgeschichte, von dem eine rund ein Jahrzehnt später ausschließlich für Amazon-Kunden als E-Book zur Verfügung gestellte weitere Kurzgeschichte aufgrund ihrer ebenfalls auf ein digitales Medium beschränkten Verbreitungsform kaum noch für Aufsehen sorgte.

Sie sind entweder mausgrau und lesefreundlicher oder knallbunt und anstrengender zu lesen, haben nur eine einzige Funktion oder sind multimedial an alle Möglichkeiten, die das Netz bietet, angeschlossen; sie sind klein genug, damit man sie in Hosen- und Jackentaschen mit sich herumtragen kann, und haben zu wenig Platz am Bildschirm für größere Lesemengen, sie haben mehr Platz am Bildschirm für größere Lesemengen, passen aber nicht mehr in Hosen- und Jackentaschen, und haben eines gemeinsam: Sie wollen den Markt der Leserinnen (zwei Drittel aller Lesenden) und Leser unter sich aufteilen.

Längst ist die angekündigte und bisher ausgebliebene Ablöse des Buchs durch das E-Book nicht mehr nur eine Angelegenheit von E-Reader-Herstellern und E-Book-Anbietern allein. So gut wie jeder der bisher im Zusammenhang mit digitalen Entwicklungen aufgetauchten Hersteller und Händler bietet inzwischen Möglichkeiten an, Bücher in digitaler Form lesen zu können. Nur wer sich ständig auf den einschlägigen Produktinformationsseiten in den größeren Medien informiert und am besten sein Wissen durch das Nachlesen in einschlägigen Fachzeitschriften vertieft, kann diesen Entwicklungen noch folgen. Oder aber es bleiben lassen und ohne jegliche technische Voraussetzung und ohne jegliches technische Vorwissen einfach zum Buch greifen.

Bibliophile Verlage

Ein in seiner ganzen Tragweite noch überhaupt nicht abschätzbares Problem betrifft den gesamten Bereich digitaler Lesemöglichkeiten. Immer schneller gehen Hard- und Software - und die mit ihnen erfassten Inhalte - wieder verloren. Von der Weiterentwicklung des Buchs vom Handsatz zum maschinellen Satz, vom maschinellen Satz zum Lichtsatz und vom Lichtsatz zur digitalen Druckvorlage bzw. bei den Druckmaschinen von der Handpresse zum Tiegeldruck und zum legendären Heidelberger Zylinder und vom Tiegeldruck und Heidelberger Zylinder zum Rotations- und Offsetdruck sind sämtliche Entwicklungsstufen als weiterhin anwendbare Technologien erhalten geblieben und haben wegen ihrer Seltenheit in ihrem Wert und Ansehen und in ihrer Begehrtheit dazugewonnen. Die zahlreichen Gründungen bibliophiler Verlage in den letzten beiden Jahrzehnten sind dafür ein überzeugendes Beispiel. Von der ersten Welle von E-Books Mitte der 1990er Jahre ist hingegen jedoch so gut wie nichts mehr vorhanden, den meisten ist nicht einmal mehr bekannt, dass es schon einmal den massiven Versuch gab, E-Books in den Buchmarkt einzuführen. Insgesamt könnte es somit sein, dass zwar immer mehr Information entsteht und immer mehr Wissen abgerufen werden könnte, aber wegen veralteter und vergessener Technologien kein Zugang mehr dazu besteht. Es wird also in Zukunft weniger wichtig sein, sich die Übersicht über den potenziellen und tatsächlichen Lesestoff zu verschaffen, sondern vor allem über den technischen Entwicklungsstand und über die technischen Entwicklungsstandards Bescheid zu wissen und über sie zu verfügen.

Mehr lesen - nicht mehr lesen

Da Leseinteressen bisher kaum mit technischen Interessen in Verbindung gestanden sind, anders als z. B. bei Autonarren, die sich sehr wohl für die technische Seite des Gegenstandes ihrer Faszination interessieren, redet die Geräteherstellerindustrie sehr gerne von neuen Lesegewohnheiten neuer Generationen. Diese neuen Lesegewohnheiten neuer Generationen dürften aber eher darin bestehen, nicht mehr zu lesen, so dass weniger das iPhone, das iPad, der E-Reader und E-Books oder die diversen Netzangebote das Buch ablösen werden, sondern das Nichtlesen das Lesen. Ein anschauliches Beispiel dafür hat die Synergiefantasie der branchenfremden Veranstalter der ersten "Buch Wien" 2008 geliefert: Die parallel stattfindende "Vienna Boat Show", die auch für zusätzliches Publikum bei der Buchmesse sorgen sollte, hat diese Erwartungshaltung nicht im Geringsten erfüllen können.

Vergleichsweise unauffällig - ausgenommen der Kaperversuch geschützter Werke durch Google - haben sich neben den Aufgeregtheiten um mobile Datenträger in den letzten Jahren zahlreiche Datenbanken im Zusammenhang mit dem Buch konstituiert. In welcher Rolle diese Bücherdatenbanken wie allen voran "Google Books" auftreten werden, zeichnet sich derzeit bestenfalls ebenfalls nur ab. Einerseits speist Google in seine Bücherdatenbank ein, so viel das Unternehmen am Buchmarkt und von Bibliotheken bekommen kann, derzeit z. B. rund 400.000 Bücher aus den historisch einzigartigen Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek, die mit Google einen unter Verschluss gehaltenen Vertrag über die Weiterverwertung der Bestände geschlossen hat, andererseits sendet Google ununterbrochen Signale aus, dass das Unternehmen nicht nur als Wohltäterin für das Weltwissen in Erscheinung treten will, sondern an allen nur denkbaren Verwertungsmöglichkeiten interessiert ist, die sich in den letzten Jahren abgezeichnet haben, angefangen von der Verwertung seiner Buchdatenbankbestände durch die "Espresso-Book-Machine", einem Print-On-Demand-Drucker, der in Buchhandlungen oder Bibliotheken aufgestellt werden kann, bis hin zur E-Book-Produktion und zum E-Book-Handel.

Egal in welcher Form

Letztlich ist es aber egal, in welcher Form Bücher gelesen werden, und ist die für E-Reader und E-Books gerne ins Treffen geführte ominöse Platzfrage im Reisegepäck oder im Bücherregal sicher keine Frage, mit der sich eingefleischte Leser, sondern eher vorsätzliche Nichtleser beschäftigen. Bücher können genauso gut in platzsparenden Versionen als Taschenbuch oder in Reclam-Ausgaben auf Reisen mitgenommen werden, und die Bücherregale, aus denen man seine Bücher nimmt und sie wieder dorthin zurückstellt, können auch in Büchereien und Bibliotheken stehen.

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