WER SUCHET, FINDET: ENGAGIERTE STIMMEN

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NEBEN DEN VIELREZIPIERTEN GROSS-SCHRIFTSTELLERN GIBT ES ENGAGIERTE LITERATUR, DIE BEACHTUNG VERDIENT.

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NEBEN DEN VIELREZIPIERTEN GROSS-SCHRIFTSTELLERN GIBT ES ENGAGIERTE LITERATUR, DIE BEACHTUNG VERDIENT.

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Rechtspopulismus, Flüchtlingskrise, Angriffe auf die Pressefreiheit. Das müsste doch zwangsläufig eine Hochzeit des politischen Romans einläuten. Fehlanzeige.

Wir leben in prekären Zeiten. Rechtspopulismus, Flüchtlingskrise, Angriffe auf die Pressefreiheit. Man könnte meinen, das müsste ganz zwangsläufig eine Hochzeit des politischen Romans einläuten, aber Fehlanzeige: Wir schreiben Zahnarztprosa. Zugegeben, das ist etwas zugespitzt formuliert, aber dennoch. Unter engagierter Literatur stellt man sich etwas Anderes vor.

Das ist nicht der Ruf nach Literatur mit moralisch erhobenem Zeigefinger, die sich rechts oder links positioniert, aber nach einer, die einen wachen Blick auf die Welt um sich herum wirft, statt sich in einer ermüdenden Nabelschau der eigenen Befindlichkeit zu ergehen. Naserümpfen der l'art pour l'art-Vertreter ist unangebracht. Literatur, die nicht nur dem Selbstzweck dient, sondern etwas zur Bewusstmachung gesellschaftlicher Probleme beitragen will, muss nicht ästhetisch anspruchslos sein. Natürlich braucht die Literatur etwas Vorlaufzeit, doch die Flüchtlingskrise hat nicht erst gestern begonnen, und die alarmierenden Zeichen häufen sich seit Jahren.

Politik auf der Bühne

Das Politische, so scheint es, hat sich ins Theater zurückgezogen und ist dort auch gut aufgehoben. Welcher Roman könnte, ohne zu verflachen und zu verkürzen, schon so schnell und scharfzüngig auf aktuelle Ereignisse eingehen wie Elfriede Jelinek mit ihrem Flüchtlingsdrama "Die Schutzbefohlenen"(2013!) oder mit ihrem Trump-Stück "Am Königsweg". Das soll nicht heißen, die österreichischen Literaten seien unpolitisch. Jelinek, Streeruwitz, Menasse und Co. traten schon immer als kritische Intellektuelle und politische Kommentatoren in Erscheinung. Und man kann von keinem Schriftsteller verlangen, dass er nun bitte einen politischen Roman vorzulegen habe. Gute Literatur muss nicht politisch sein. Punkt.

Die österreichische Literatur als Ganzes gesehen, das fällt indes auf, gibt sich erstaunlich zahnlos in den letzten Jahren. Sie ist nicht völlig unpolitisch, aber schlängelt sich verlässlich mit narrativem und ästhetischem Sicherheitsabstand an tatsächlich engagierter, zeitkritischer Literatur vorbei. Kein neuer Thomas Bernhard, nirgends. Politisch ja, aber lieber in der Rückschau, wie Arno Geigers "Unter der Drachenwand", in der verallgemeinernden Verfremdung wie Daniel Kehlmanns "Tyll". Und greift dann doch einmal einer das heiße Eisen Flüchtlingspolitik an, wie Norbert Gstrein in seinem neuen Roman "Die kommenden Jahre", dann in bewusst distanziert-analytischem Gestus. Passenderweise ist die Hauptfigur ein Gletscherforscher, der sich über die instrumentalisierende Hilfsbereitschaft seiner Frau, Profession Schriftstellerin, einer syrischen Flüchtlingsfamilie gegenüber, inklusive marketingträchtiger literarischer Verarbeitung, befremdet zeigt. Da trifft Gstrein einen wunden Punkt. Zwischen Engagement und Selbstvermarktung liegt ein schmaler Grat. Ein so aktuelles, polarisierendes Thema wie die Flüchtlingspolitik aufzugreifen, ist natürlich ein großes Wagnis, das zeigt ein Blick auf die deutschen Nachbarn, wo Monika Marons "Munin oder Chaos im Kopf" erschienen ist, ein ausgesprochen kontrovers diskutierter Roman über die Angst vor Flüchtlingen, in den ein zweifelhaftes Darwinismuskonzept verwoben und ein unwidersprochener Alarmismus zum Grundton wird.

Und es gibt sie doch, nur eben nicht in der ersten Reihe der Bücher, denen in der medialen Aufmerksamkeitsökonomie besonders viel Raum zugestanden wird. Eine typisch österreichische Art, sich der Politik zu widmen, zelebriert Livia Klingl in ihrem Roman "Der Lügenpresser". In bester Herr-Karl-Manier liefert der Ich-Erzähler, Dr. Karl Schmied, seines Zeichens Redakteur bei einer österreichischen Boulevardzeitung, die sich unschwer als Kronenzeitung dechiffrieren lässt, eine euphorisch-grantelnde Suada, schwankend zwischen latenter Homophobie à la "ich hab eh nichts gegen Homos, Hauptsache, sie haben nicht die gleichen Rechte", ethnischen Stereotypen und Vorurteilen, durchsetzt von durchaus treffenden Beobachtungen. Das ist hochgradig ironisch, aber keine Satire. Klingl schöpft aus ihren eigenen Erfahrungen als Kriegsberichterstatterin und Leiterin des Außenpolitikressorts beim Kurier. Wie Qualtinger liefert auch sie ein Stimmungspanoptikum eines (großen) Teils der österreichischen Bevölkerung und zeigt gleichzeitig Funktionsweisen und Gefahrenpotenzial des populistisch agierenden Boulevards auf.

In "Teheran Wunderland" vom iranstämmigen Autor Sami Maani gerät der Ich-Erzähler in einer nicht näher bezeichneten Stadt in den Deutschsprachigen Bergen in die familiäre Gerichtsverhandlung dreier eingewanderter iranischer Brüder. Einer von ihnen, so die Anklage, habe die Revolution verraten. Dieser dritte Bruder ist der eigentliche Held, ein empfindsamer Poet, der vom Aufwachsen in Teheran erzählt, weitab von westlichen Klischeevorstellungen. In diese fragmentierten poetischen Impressionen eingeflochten sind Seitenblicke auf die österreichische Gesellschaft. Sexualität, Kunst und Politik bedingen sich hier gegenseitig, der Körper und das Begehren zeichnen ein Abbild politischer Verhältnisse.

Empathie erzeugen

Einem politisch vernachlässigten Thema stellt Simone Schönett in ihrem Roman "Andere Akkorde" eine Utopie entgegen. Gegen die Herabwürdigung der Roma will eine Gruppe von Aktivisten die Kumpanei wiedererwecken, den Zusammenschluss der europäischen Roma, um den ersten Roma-Staat auszurufen. Der entscheidende Funke, um diese Utopie tatsächlich zum Leben zu erwecken, ist einer der Gewalt, als in Rom eine Roma mit ihrem Baby mit Benzin übergossen und mit einem Flammenwerfer in Brand gesetzt wird. Wie bei den NSU-Morden wird die Tat zum internen Problem erklärt und eine Fehde unter verfeindeten Romagruppen dafür verantwortlich gemacht. Schönett schont den Leser nicht. Brutal wird die Gewalttat geschildert, auch aus der Perspektive des Opfers. Auch das ist politisch engagierte Literatur: Eine, die in der Lage ist, Empathie zu erzeugen, und die Wut auf die herrschenden Verhältnisse provoziert.

Derweil fachsimpeln Clemens Setz und Daniel Kehlmann in der Zeit über den Dreißigjährigen Krieg und Grimmelshausen. Das Politische beschränkt sich auf Interviews und Unterzeichnungen von PEN-Erklärungen, in der Literatur der zelebrierten Großschriftsteller aber bleibt es uneigentlich und auf Nebenschauplätze verlegt. Ausnahmen gibt es natürlich, Robert Menasses Europa-Plädoyer "Die Hauptstadt" etwa oder Julya Rabinowichs großartiges Jugendbuch "Dazwischen: Ich". Die lesenswerten politisch engagierten Texte gibt es, aber sie gehen oft unter zwischen den meterhohen Stapeln derjenigen, die in der österreichischen Literatur gerade kanonisiert werden. Es lohnt sich allerdings, danach zu suchen.

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