Wer verzweifelt, liebt nicht, glaubt nicht

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Mit „Betulia liberata“ in den Versionen von Mozart und Jommelli, überzeugend dirigiert von Riccardo Muti, luden die Salzburger Pfingstfestspiele zu einem instruktiven Vergleich. Mozarts Komposition wurde szenisch dargeboten und war solcherart auch einmal als „azione teatrale“ erlebbar, Jommellis oratorienhafteres Werk wurde konzertant aufgeführt.

Bereits zum vierten Mal dominierte die neapolitanische Schule die Salzburger Pfingstkonzerte. Auch kommende Pfingsten wird „Neapel. Metropole der Erinnerung“ das beherrschende Thema dieses Festivals sein – mit Saverio Mercadantes zweiaktigem Melodramma buffo „I due Figaro“ und dem c-Moll-Requiem von Luigi Cherubini als Hauptwerken.

Diesmal lautete das beherrschende Thema „Betulia liberata“. An die vierzig Vertonungen dieses Stoffes, der die Befreiung der Stadt Betulia durch die heldenhaft agierende Witwe Judith zum Thema hat, sind bekannt. Darunter von Mozart und Niccolò Jommelli, dem langjährigen Oberkapellmeister am Württembergischen Hof, den Mozart in Neapel besucht hatte. Haben Sie damals über Jommellis Werk gesprochen? Hatte es der 15-jährige Mozart in Erinnerung, als er sich 1771 mit diesem Sujet beschäftigte? Manche gleichartige Behandlung des Chores, aber auch ähnlich klingende Passagen in beiden Werken sprächen dafür.

Vienna liberata

Immerhin basieren sie auf demselben Text. Pietro Metastasio, der führende Librettist seiner Zeit und Hofdichter Karls VI., hat ihn verfasst. Über ausdrücklichen Wunsch des Habsburger-Herrschers, der mit der Geschichte der mutigen Judith angesichts der noch nicht weit zurückliegenden Wiener Türkenbelagerung von 1683 darauf hinweisen wollte, dass selbst in scheinbar ausweglosen Situationen ein Einzelner das Schicksal wenden kann. Oder, wie es im Libretto heißt: „Wer verzweifelt, liebt nicht, glaubt nicht, denn Glaube, Liebe und Hoffnung sind drei Fackeln, die gemeinsam leuchten, und keine gibt Licht ohne die andere.“

Mozart hat seine „Betulia liberata“-Version „azione sacra“ genannt. Aber, fragte Muti im Vorfeld zu dieser Pfingstfestspielpremiere, ist es nicht ebenso eine „azione teatrale“? Anlass, dieses von einer dramatischen d-Moll-Ouvertüre einbegleitete, durch zahlreiche raffinierte harmonische Entwicklungen charakterisierte zweiteilige Jugendwerk einmal szenisch zu realisieren und damit seiner gewohnten oratorienhaften Sicht zu entkleiden.

Als Mischung von kirchlicher Objektivität und subjektivem Gefühlsausdruck hat der Mozart-Biograf Hermann Abert Mozarts „Betulia liberata“ einmal bezeichnet. Genau dort setzte die Regie Marco Gandinis, eines früheren Zeffirelli-Assistenten, im Haus für Mozart an. Behutsam und nobel versuchte er, den sich aus der Musik ergebenden Gefühlsregungen nachzuspüren. Deutlich wurde nicht nur der zögerliche Charakter des Betulia-Fürsten Ozia (profund Michael Spyres). Ebenso klar entfalteten sich – in der an die Werke des amerikanischen Bildhauers Richard Serra erinnernden Bühnenarchitektur (Italo Grassi) – die Konturen der an Ozias Mitleid leidenschaftlich appellierenden israelitischen Edelfrau Amintal (exzellent Maria Grazia Schiavo), des sich schließlich zum Monotheismus bekehrenden Ammoniterfürsten Achior (prägnant Nahuel Di Pierro) und der von unbeugsamem Glauben und Mut erfüllten Judith (leidenschaftlich Alisa Kolosova). Ohne ihren Einsatz wäre das israelische Betulien wohl nie von der Schreckensherrschaft des Assyrers Holofernes befreit worden.

Elegance und Spielfreude

Tadellos der erstmals bei den Pfingstfestspielen zu hörende Philharmonia Chor (Einstudierung: Walter Zeh). Und das Orchestra Giovanile Luigi Cherubini realisierte – ganz im Sinne von Riccardo Muti – mit Elegance, Spielfreude und einer aus dem melodischen Charme der Musik gewonnenen Artikulation und Phrasierung mustergültig seinen Part. Der Applaus war entsprechend.

Dass sich Chor und Orchester ebenso auf Niccolò Jommellis bereits 1743 entstandene, deutlich mehr dem damals üblichen Oratorienstil verpflichtete, expliziter auf die Abfolge Rezitativ-Arie setzende „Betulia liberata“-Version verstehen, zeigten sie – wiederum unter der souveränen Direktion von Riccardo Muti – bei der ausschließlich konzertanten Abschlussmatinee dieser Pfingstfestspiele in der Felsenreitschule. Mit der kommende Saison auch in Wien zu hörenden Laura Polverelli (Judith), sowie mit Terry Wey (Ozia), Vito Priante (Achior) und Dmitry Korchak (Carmi) war für die heiklen Solistenpartien ein gleichermaßen klug aufeinander abgestimmtes wie die schwierigen Herausforderungen meist ideal meisterndes Ensemble aufgeboten.

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