Werner Schneyder läßt hinter die Kulissen blicken

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Ein Buch über Theaterarbeit mit Seitenhieben auf die Verschwender und Selbstdarsteller.

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Wo liegt Meiningen? Der vielseitige Werner Schneyder, politischer Kabarettist über viele Jahre, Chansonnier, Drehbuchautor, Sportkommentator, Erzähler und Lyriker, wußte es nicht, als er das Angebot annahm, ein Stück am Meininger Theater zu inszenieren. Sieben Wochen in einer 23.000 Einwohner zählenden Stadt folgten. Meiningen liegt in der ehemaligen DDR und ist Theaterhistorikern vertraut, denn hier begründete Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen vor über hundert Jahren eine Hoftheatertruppe, die auf Tourneen durch ganz Europa bekannt und stilbildend wurde.

Schneyder wählte für seine Inszenierung Arthur Schnitzlers Tragikomödie der Lügen "Das weite Land". Kann man dieses Werk überhaupt mit deutschen Schauspielern verwirklichen, die vom Ton der feinen Wiener Gesellschaft um die Jahrhundertwende keine Ahnung haben? Szene für Szene nimmt Schneyder den Leser hinein in dieses wunderbare Stück um "verlogene Erotik und erotische Lüge". Die Besetzung hatte er noch aus der Ferne, in Wien, vorgenommen. Seine Erzählung reicht von den ersten Leseproben bis zu all den kleinen und größeren Katastrophen, die jede Inszenierung begleiten: Plötzliche Indispositionen von Schauspielern, aufflammende Meinungsverschiedenheiten zwischen Regisseur und einzelnen Darstellern, Eifersüchteleien, Rückfälle der Schauspieler in mühsam abgewöhnte Unarten.

Seitenhiebe gegen hoch subventionierte Hauptstadttheater fehlen nicht. Schneyder sah von Anfang an, daß die Truppe Schwachpunkte hatte, er hätte vielleicht sogar mit Erfolg um einen Gast bitten können: "Aber da hätte ich mich sofort verachtet; wie ich dieses Reisegesindel verachte, das da, seinen Guru in der Mitte, von Staatstheater zu Staatstheater zieht, um dort einen Theaterstaat im Theaterstaat zu mimen... Unter dem Vorwand, sich cliquenweise in subventionierten Theatern mit eigenem Ensemble einzunisten und sich mit dort engagierten Schauspielern am Rande zu garnieren, ist künstlerisch und kulturpolitisch gleichermaßen niederträchtig."

Ihm geht es um die Begegnung mit Leuten, die ihr Handwerk beherrschen, und er hat ein klar definiertes Ziel: Eine Produktion auf die Beine zu stellen und zum angekündigten Zeitpunkt fertig zu werden, ohne Schließtage oder Premierenverschiebungen. Seine Truppe arbeitet hart. Während der Probezeit stehen die Schauspieler in fertigen Stücken viele Abende auf der Bühne, müssen sogar eine Tournee absolvieren. Rationelles Arbeiten ist angesagt, da ist kein Platz für einen Mißstand, der in vielen Theatern den Steuerzahler teuer zu stehen kommt, die Diskutiersucht: "Die Hälfte der an Bühnen üblichen, beantragten, benötigten Probezeit ist eine vergeudete. Sie ist subventioniertes Privatleben. Schauspieler schaffen verbale Scheinproben nicht nur, weil sie ihren Text nicht können ... Schauspieler wollen anhand der Theatertexte über sich sprechen, ihre Einsamkeit durchbrechen. Da Autoren in der Regel klüger sind als Regisseure und auch mehr Bedenkzeit hatten, muß fast jeder spontane Deutungsversuch des Regisseurs Unsinn sein. Also Zeitvergeudung."

Ein wichtiger Aspekt, den der Theaterbesucher kaum bemerkt, sind die Striche im Text. Ein intelligenter Regisseur kann einschätzen, was von einem hundert Jahre alten Stück wegfallen darf und was dann noch "erspielbar" ist. Regisseure müssen sich zu Uneindeutigkeiten bekennen, dürfen sich nicht zur Simulation von Erkenntnis zwingen lassen, die über das Wissen des Autors selbst hinausgeht. Sie haben nur eine Aufgabe: "Sich eine Theatervorstellung im Kopf zu formen, auf den Proben zu überprüfen, ob die Form stimmt, um das im Kopf Geformte gegebenenfalls zu falsifizieren und zu korrigieren."

Nüchtern, unromantisch? Werner Schneyder verabscheut tief die Originalitätssucht um jeden Preis. Er haßt Um-, ja Fehldeutungen, nur damit die Aufmerksamkeit gelangweilter, übersättigter und oft auch nicht besonders gebildeter Theaterkritiker gebannt wird. "Wir haben zwei Hauptrichtungen im zeitgenössischen Theater: Inszenierungen, die Publikum ausschließen und dadurch ein Publikum finden. Jene Menschen, die dafür sind, daß die anderen ausgeschlossen werden. Übermenschversammlungen. Gruppenfaschismus. Intellektinzest. Die zweite: würdeloses Nachrennen dem Publikum. Ein großer Theatermann hat einmal gesagt: Wer dem Publikum immer nur nachläuft, sieht auf Dauer nur dessen Arsch. Das ist absolut richtig. Man muß dem Publikum voraus sein, ihm etwas vorgeben, vorlegen. Aber in Erhörweite."

Schneyders Liebe zum Theater zeigt sich aber nicht primär in seiner Wut auf jene, die diese herrliche Kunst dem Publikum entfremdet haben. Seine Liebeserklärung besteht darin, daß er mit seinem neuen Buch dem Leser ein Stück erschließt, das jeden zumindest in einer bestimmten Lebensphase angeht: Es geht um die Liebe, die ersehnte, verspielte, geheuchelte, und die Eitelkeit, die Angst vor Verlust. Keine germanistische Interpretation, kein Schauspielführer kann ersetzen, was Schneyder hier geleistet hat. Indem er sich bei jeder Szene fragt, wie sie zu spielen sei, indem er zeigt, wie und wo sich Schauspieler schwer tun, welche äußeren und inneren Bedingungen stimmen müssen, öffnet er die Türen des Theaters weit, läßt einen Blick tun auf die Fragen der Dekoration, der Beleuchtung, der Kostüme. Er verschweigt auch nicht die Angst, ob das Vorhaben gelingen werde, die Selbstzweifel und seine Freunde, daß Schnitzler in Meiningen hervorragend angenommen wurde. In "Zwischenakten" entsteht das Bild dieser lebendigen Theaterstadt, in der das Theater ernst genommen und geliebt wird.

Meiningen oder Die Liebe und das Theater Von Werner Schneyder, Kremayr & Scheriau, Wien 1998, 160 Seiten, geb., öS 243,

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