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Sprichwörter und Redensarten säumen unsere Lebensbahn. Diese Sprüche, anonym oder an einen Namen geknüpft, ragen noch in unser aufgeklärtes Bewusstsein herein. Auch wenn der Verstand gegen manche populäre Binsenweisheiten rebelliert, werden wir ihren Einfluss nicht einfach los! Sie bleiben über unseren Kopf gestülpt und bedecken Augen wie Ohren.

Oft verstärkt noch der Reim als Klangreiz die semantische Aussage: "Sich regen bringt Segen" stachelt den Eifer an, doch das "Eile mit Weile!" warnt vor übergroßer Hast. "Wein auf Bier, das rat ich dir!" regiert die Getränkefolge jedes kulinarischen Angebots. "Bier auf Wein, das lasse sein!" bestätigt die Regel von der Gegenseite. Wie würden Experten auf eine Umstellung der Art "Bier auf Wein, das ist erst fein!" reagieren?

In PISA-Zeiten erhalten gewisse lateinische Parolen wieder praktische Bedeutung. "Non scholae, sed vitae discimus": Mit diesem Merksatz hat schon mancher Lehrer seine Schüler zu mehr Fleiß ermuntern wollen. Im Brief des Seneca, aus dem die Devise stammt, lautet die Botschaft aber zunächst umgekehrt. Sollte der große Philosoph so verstockt und lebensfern argumentiert haben? Keine Sorge: der Kontext erweist die Äußerung als ironischen Sprechakt und dabei widersprechen sich bekanntlich Sinn und Wortlaut. Also gilt es weiterhin, lebenslang für das Leben lernen.

Unser Bundeskanzler, medial oft als "der große Schweiger" tituliert, mag die Maxime "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" verinnerlicht haben. Auch in diesem Fall lautete der Appell einst genau umgekehrt. Hat sich der Wertekanon verändert? Haben natürliche Eloquenz und rhetorische Kunst heute so wenig Ansehen? Steht im öffentlichen Leben die Diplomatie über allen Tugenden? Das ist die eine Seite der Medaille. Sich bedeckt zu halten, beweist aber neben Dezenz auch praktische Klugheit. Denn wer nichts sagt, hat immer Recht.

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