Wertvolle Bände werden allgemein zugänglich

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Wir beginnen mit diesem Projekt eine äußerst spannende Ära." Mit diesen Worten stellte Hans Marte, Direktor der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), stolz das erste CD-Rom-Faksimile einer Handschrift vor. Die Speicherung auf einen elektronischen Datenträger soll die bisherige Methode des gedruckten Faksimiles ablösen, "weil es sich dabei um eine um vieles kostengünstigere und schonendere Herstellungsart handelt". Schonend deshalb, weil das gebundene Original dabei nicht mehr in Einzelblätter zerlegt werden muß.

Eine CD-Rom kann wegen des geringen Preises von einer Forschergruppe, Bibliothek oder einem Sammler relativ leicht angekauft und außerhalb der ÖNB studiert werden. Sie besteht aus der vollständigen Handschrift nebst einer kodikologischen und kunsthistorischen Einführung (bei der "Nummer 1" von Andreas Fingernagel) mit zusätzlichem Bildmaterial. Ein Index der Textanfänge und ein Kommentar zum Buchschmuck erleichtern die Arbeit des modernen Forschers bedeutend. Denn so manche bildliche Darstellung, die früher Allgemeingut war, wird heute kaum mehr ohne umständliche Recherche verstanden. Weiters können die Bilder durch benutzerfreundliche Optionen wie Vergrößerung, Erstellung von Ausschnitten, Vermessung von Details direkt am Bildschirm bearbeitet, die Helligkeitswerte und der Kontrast korrigiert und schließlich in einem "Notizblock" mit eigenen Kommentaren versehen werden.

Handtaschen-Bibel Das Projekt, das der ÖNB eine internationale Vorreiterrolle sichert, wurde mit dem schlichten Titel "Codices Manuscripti CD 1" begonnen.

Leicht gemacht haben es sich die Wissenschaftler und der Verlag Brüder Hollinek damit nicht, denn "Versuchskaninchen" ist die zweibändige, rund 500 Blätter (also 1.000 Seiten) starke "Admonter Riesenbibel". Die großformatige Handschrift mit den Ausmaßen 56x41 Zentimeter wurde um die Mitte des 12. Jahrhunderts wahrscheinlich in Salzburg - zu jener Zeit bedeutendes Zentrum romanischer Miniaturenkunst - nach italienischem Vorbild hergestellt. Mit Hilfe moderner Technik wurde sie nun zu einer "Riesenbibel für die Handtasche".

Über 100 Rankeninitialen und rund 50 Miniaturen zieren diese häufig gebrauchte Voll-Bibel. Um die 1.000 Seiten auf einer einzigen statt auf vier CD-Roms unterbringen zu können, mußte der Verlag eine starke Daten-Kompression durchführen.

Auf einen "kommerziellen Erfolg" der 8.000 Schilling teuren Scheibe, die ab Mitte Februar auf dem Markt sein wird, hofft jedenfalls Bibliotheksdirektor Marte und Verleger Richard Hollinek. Denn dann könnten weitere Handschriften, die "Informationsträger und Kunstobjekt zugleich sind", so Marte lapidar, einer größeren Leserschaft zugänglich gemacht werden.

Die kostbaren, zum Teil reich verzierten Originalwerke sind durch übermäßige Benützung, Exposition, schädliche Umwelteinflüsse (wozu Schwankungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit bei schlechter Lagerung ebenso gehören wie der Einfluß von Schadstoffen) stark gefährdet und könnten deshalb einer wachsenden Leserschaft kaum unbeschadet standhalten. Aus diesem Grunde sollen in Hinkunft Handschriften, die von kulturhistorischem Interesse und somit besonders schützenswert sind und außerdem einem größeren Kreis von Forschern zugänglich gemacht werden sollen, auf diesen modernen Datenträger gebannt werden, erläuterte der zuständige Sammlungsdirektor Ernst Gamillscheg.

Suche nach Sponsoren Angesprochen auf weitere Pläne der Nationalbibliothek bezeichnete Marte die derzeitigen Sparmaßnahmen als einen argen Hemmschuh für eine gedeihliche Arbeit an seinem Institut. Er gab zu bedenken, daß Kultur auf lange Zeit angelegt sei und selbst kurzfristige Sparmaßnahmen weitreichende Folgen haben könnten.

Man sei deshalb äußerst dankbar, wenn sich Sponsoren finden, mit deren Hilfe man die wissenschaftliche Arbeit fortsetzen, beziehungsweise die oft einzigartigen Dokumente vergangener Kulturen für die Nachwelt erhalten könne. Auf einen solchen Sponsor hofft auch Gamillscheg zur Verwirklichung der Idee für eine "CD 2", nämlich die Digitalisierung des in die UNESCO-Liste für schriftliches Weltkulturerbe aufgenommenen "Dioscurides-Codex" aus dem 6. Jahrhundert, eine byzantinische Kopie eines spätantiken Pflanzenbuches und Prototyp mittelalterlicher Herbarien.

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