Wichtiges Ärgernis SATIRE

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Der Fall "Böhmermann" hat nicht nur in Deutschland neue Diskussionen darüber ausgelöst, was Satire kann und darf. Und wofür sie steht.

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Der Fall "Böhmermann" hat nicht nur in Deutschland neue Diskussionen darüber ausgelöst, was Satire kann und darf. Und wofür sie steht.

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Von 1919, dem ersten zensurfreien Jahr nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs, stammt die wohl berühmteste Definition der Satire. Ihr Urheber ist Kurt Tucholsky, der feststellt: "Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an." Sein Artikel schließt mit den vielzitierten Worten: "Was darf die Satire? Alles." Das war nicht nur der programmatische Ausdruck des Wunschs nach Meinungsfreiheit angesichts der repressiven Geschichte, es war auch als Provokation gemeint und damit ebenfalls Satire.

Wie aktuell und weiterhin umstritten Satire sein kann, zeigte das Gedicht mit dem Titel "Schmähkritik", das den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan adressiert und ihm verschiedenste gewalttätige und sexuelle Praktiken zuschreibt. Der deutsche Satiriker Jan Böhmermann hat es in der Ausgabe seiner Satire-Sendung "Neo Magazin Royale" vom 31. März 2016 im Sender ZDF neo verlesen und dabei ausdrücklich Bezug genommen auf den satirischen Song "Erdowie, Erdowo, Erdowan" aus der NDR-Sendung Extra 3 vom 17. März, der die Einbestellung des deutschen Botschafters in der Türkei zur Folge gehabt hatte.

Als Literatur markiert

Zum Übertreibungsgestus der Satire gehört, dass sie Personen der Zeitgeschichte der Lächerlichkeit preisgibt, lustvoll und ohne Rücksicht auf Tabus. Die Herabsetzung bezieht sich dabei aber nicht auf die Person, sondern auf das, wofür sie steht. Die reale Person wird zur literarischen Figur, zur Repräsentantin des 'Schlechten'. Zugleich wird die Herabsetzung als Literatur markiert, durch den Tabubruch und die Komik, mit der dieser Tabubruch geschieht. Wer diese basalen Zuordnungsvoraussetzungen nicht kennt, kann Satire nicht 'lesen' und wird gegen sie opponieren - dies ist eine gewollte Provokation, die Folgen haben kann. Davon konnte bereits Frank Wedekind, der die Satirezeitschrift Simplicissimus mitbegründete und im Münchner Kabarett "Die elf Scharfrichter" mitwirkte, ein Lied singen, als er 1899 für ein satirisches Gedicht auf Kaiser Wilhelm II., das ihm als Majestätsbeleidigung ausgelegt wurde, ein halbes Jahr Freiheitsstrafe verbüßen musste.

Wiederholt sich nun die Geschichte? Wegen Böhmermanns Gedicht richtete die türkische Regierung eine sogenannte Verbalnote an das Auswärtige Amt, in der sie die Strafverfolgung des Satirikers wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes nach §103 StGB forderte, ein solches Verfahren kann nur mit Zustimmung der Bundesregierung eröffnet werden. Außerdem stellte der türkische Präsident persönlich Strafantrag wegen Beleidigung. Die seither heiß diskutierte Frage lautet wieder einmal: Was darf die Satire? Handelt es sich um eine Beleidigung oder nicht?

Der Text, um den es geht, ist mehrfach als Satire gerahmt und ausgezeichnet. Er wird in einer Satire-Sendung präsentiert, die auf einem späten Sendeplatz läuft und ein kleines Publikum mit entsprechendem Interesse hat. Zur Satire gehört die konjunktivische Rede -man führe das vor, was verboten sei, um den Unterschied zu dem, was erlaubt sei, deutlich zu machen. Das Lachen des Publikums zeigt, dass die Darbietung als Satire im Studio erkannt wird. Der Text selbst wird nicht nur als Gedicht bezeichnet, er ist es auch formal, durch Verse, Paarreim und Volksliedstrophe. Der Text folgt einem Überbietungsgestus von Beleidigungen, der ebenso witzig ist, wie er ins Leere läuft, weil er mit Gegensätzen und Paradoxien arbeitet. Niemand wird ernsthaft annehmen können, dass auch nur eine der Verbalattacken etwas mit dem türkischen Ministerpräsidenten persönlich zu tun hat. So gesehen ist die Beleidigung eigentlich erst durch das Wörtlichnehmen und die Anzeigen erfolgt. Auch widersprechen sich die Textstellen, denn sie folgen einem gegen die Alltagslogik gerichteten Nonsens-Schema.

Erstaunliche Allianzen

In Verteidigung Böhmermanns und seines Nonsens-Gedichts kommt es in der Folge zu erstaunlichen Allianzen. Das Satiremagazin Titanic verfasst in einer Solidaritätsbekundung "Das Schmährkelgedicht", das gegenüber der Bundeskanzlerin Angela Merkel ähnlich beleidigend und diffamierend wirkt, bisher ohne Androhung juristischer Folgen. Der Kabarettist Dieter Hallervorden veröffentlicht satirische Lieder als Kommentare zum Geschehen und fordert darin: "Erdogan, zeig mich an." Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen befindet, Böhmermann habe mit den Versen ein Hybrid und eine neue Gattung geschaffen, die "Schmähsatire", mithin ein "Stück satirischer Genialität". Michael Bertrams, früher Präsident des nordrheinwestfälischen Verfassungsgerichtshofes, sieht das Gedicht "durch die vom Grundgesetz garantierte Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt". Die Unterstützung der Presse reicht von FAZ-Herausgeber Berthold Kohler über den Chefredakteur der Zeit, Giovanni di Lorenzo, bis zu Kai Diekmann, Herausgeber der Bild-Zeitung. Künstler, Prominente und Politiker solidarisieren sich in einem offenen Brief mit Böhmermann. In der Politik kommt es zu höchst ungewöhnlichen Allianzen: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Guy Verhofstadt (Belgien), der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), und die Grünen-Fraktionsvorsitzende, Rebecca Harms, sind sich einig, dass der türkische Ministerpräsident die Meinungs- und Pressefreiheit ebenso wie die Minderheitenrechte respektieren müsse.

Auch international wird die Affäre mit deutlichem Kopfschütteln wahrgenommen. So fragte in seiner Show "Last Week Tonight" im Sender HBO der Moderator John Oliver am 17. April sich und seine Zuschauer: "How on earth can an insulting poem be against the law?" Einen Monat später urteilte das Landgericht Hamburg tatsächlich, verschiedene Formulierungen des Gedichts seien persönlich verletztend, und gab einer Unterlassungsklage teilweise statt, ein Urteil, gegen das Böhmermann und sein Anwalt nun vorgehen wollen. Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in ähnlichen Fragen ist zu vermuten, dass Böhmermann gute Chancen hat, zumindest in letzter Instanz zu gewinnen.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht das Gedicht kritisch, denn ihre Politik, große Mengen an Flüchtlingen erst gar nicht nach Deutschland kommen zu lassen, steht und fällt mit der Türkei und ihrem mächtigen Ministerpräsidenten. Sie bezeichnet das Gedicht in einem Telefonat mit Erdogan zunächst als "bewusst verletzend", auch wenn sie diese Äußerung später als Fehler sieht. Dennoch lässt sie mit einer Presseerklärung vom 15. April das von der türkischen Regierung beantragte Verfahren zu, und zwar gegen den Willen von Teilen der Regierung, etwa ihres Justizministers Heiko Maas. Zugleich kündigte sie an, § 103 abschaffen zu wollen. Kritiker finden es inkonsequent, einerseits seine Anwendung zu ermöglichen und andererseits für seine Streichung zu plädieren.

Eine Differenz zu früher gibt es bereits: Anders als Frank Wedekind damals im Kaiserreich oder viele Journalisten, Künstler und Wissenschaftler heute in der Türkei, die wegen Kritik am türkischen Ministerpräsidenten inhaftiert und drangsaliert wurden und werden, kann Böhmermann weiterarbeiten. Das zeigt auch sein neuester Coup, "Verafake". In der Sendung vom 12. Mai, der ersten nach der selbst auferlegten Pause, deckt das Neo Magazin Royale dubiose Praktiken der RTL-Sendung "Schwiegertochter gesucht" und ihrer Moderatorin Vera Int-Veen auf.

Immer in Opposition

Tucholskys Definition von Satire stammt von 1919. In einem weiteren Artikel aus diesem ersten Jahr der Zensur-und Pressefreiheit in Deutschland seit der kurzen Phase von 1848/49 hat er den Begriff präzisiert: "Politische Satire steht immer in der Opposition. Es ist das der Grund, weshalb es bis auf den heutigen Tag kein konservatives Witzblatt von Rang gibt und kein regierungstreues."

Insofern müsste man Jan Böhmermann eigentlich bescheinigen, mit seiner Satire nicht weit genug gegangen zu sein, hat er doch vorher unvorstellbare Allianzen geschmiedet, etwa der Bild-Zeitung mit der FAZ oder der CSU mit den Grünen im Europaparlament. Doch genau dies gibt die Hoffnung, dass die Deutschen tatsächlich etwas aus ihrer Geschichte gelernt haben.

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