Wider die grenzenlose Hybris des Machbaren

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Wie die Entwicklungen der Fortpflanzungsmedizin einen "Achtundsechziger" zum Konservativen werden lassen: ein flammendes Plädoyer eines Psychotherapeuten.

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Wie die Entwicklungen der Fortpflanzungsmedizin einen "Achtundsechziger" zum Konservativen werden lassen: ein flammendes Plädoyer eines Psychotherapeuten.

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Es kommt nicht so oft vor, dass man sich als "Spät-68-er" (Jg. 1953) in einer gesellschaftspolitischen Frage einmal in der Nähe der österreichischen Bischöfe wiederfindet. Aber das, was sich derzeit an Zuspruch zu künstlicher Vermehrung unserer Gattung in Medien und Politik abspielt, lässt mich tatsächlich ebenso besorgt sein wie die geistlichen Herren.

Der letzte fortpflanzungsmedizinische Hype ist nun jene 60-jährige Oberösterreicherin, die vor kurzem nach einer Eizellenspende im Ausland Zwillinge geboren hatte. Die Medien feierten dieses Ereignis als großes Spektakel und in Ehrfurcht vor den medizinischen Möglichkeiten, die sich heute auftun. Derartige Spätgeburten hat es in der Vergangenheit in Einzelfällen immer wieder einmal gegeben -bei Frauen um die 50. Im Unterschied dazu handelt es sich nun nicht mehr nur um einen außergewöhnlichen Einzelfall mit etwas reproduktionstechnischer Nachhilfe, sondern offenbar zeitgeistig um eine "Normalität des Machbaren".

"Altersdiskriminierung"

Dass und wie dieser Zeitgeist, wonach der Mensch mit sich und seiner Nachkommenschaft macht, was technisch geht, selbst recht konservative Kräfte erfasst, zeigt etwa ÖVP-Seniorenchef Andreas Khol: Er sieht das positiv und wittert sogar eine "Altersdiskriminierung", würde man alten Menschen diese neuen Errungenschaften verweigern. Ja sogar der Herrgott muss herhalten, als hätte er den Fortpflanzungsmedizinern die Hand geführt: "Gott hat auch diese Form der Geburt zugelassen." Auch der Anti-Aging-Experte Johannes Huber - einst Kardinal-König-Sekretär - hat bei diesem Treiben keine bio-ethischen Bedenken, sieht er doch hier "keine weltanschauliche Frage, sondern schlicht eine der 'Fitness'". Diese sei heute bei 60-jährigen Gebärenden in der Regel nicht gegeben, aber wenn die Anti-Aging-Medizin so weit sei: "dann ja!"

Ich reibe mir die Augen und denke: träum' ich eigentlich? Wird hier das fundamentale Gesetz der generativen Weitergabe von Leben durch Liebe(?) und Sexualität zweier Menschen endgültig aufgehoben? Kennen nicht einmal mehr die Statthalter des Wertekonservativismus irgendeine Grenze dessen, was zwar machbar ist, aber deshalb noch lange nicht gemacht werden muss?

Neben diesem Schielen auf "Seniorenelternschaft", die jedes vom Abstand her sinnvolle Generationenverhältnis aushebelt, machen nun auch Trends wie jener zum "Social egg freezing", dem Einfrieren noch befruchtbarer Eizellen zum Zweck des späteren Befruchtens, langsam Furore: Wie toll für junge Frauen, die gerade beruflich unabkömmlich sind und für später "vorsorgen" wollen. Google und Facebook bezahlen ihren Mitarbeiterinnen schon den Egg-freezingProzess, damit sie ihre Kinder - sozusagen per Dienstanweisung - später bekommen. Das zeigt in recht bedrohlicher Weise, wohin die Reise geht. Der kürzlich verstorbene Pillen-Papst Carl Djerassi empfand es als ein normales künftiges Szenario, dass 20-jährige Frauen sich einen Vorrat an tiefgekühlten Eizellen zulegen (man weiß ja nie!). Und Humangenetiker Markus Hengstschläger meint, die Idee sei keine Science-Fiction, sondern: "Wir müssen akzeptieren, dass die Entkopplung von Beziehung, Partnerschaft, sexuellem Akt und Fortpflanzung fortschreitet." Müssen wir? Angesichts einer so bedeutsamen conditio humana wie die Weitergabe von Leben? Nur weil es "wissenschaftlich" ermöglicht wurde?

Man könnte es ja auch einmal ganz anders sehen: wenn prekärer werdende Arbeitsverhältnisse, wenig Unterstützung und unzureichende Kinderbetreuung, eine insgesamt familiengründungsfeindliche Gesellschaft und Wirtschaft sowie mangelhafte Väterbeteiligung das Familiengründungsund Gebäralter immer mehr hinauftreiben, warum kämpfen wir dann nicht gegen diese gesellschaftlichen Bedingungen?

Abschaffung der Großeltern

Auch deshalb, weil diese Technologien und ihre Errungenschaften eine ganze Reihe pädagogisch-psychologischer Fragen aufwerfen: Seit Jahrzehnten wissen wir um die Sensibilität des menschlichen Embryos, um die Bedeutung vorgeburtlicher Einstellungen werdender Eltern zum kommenden Kind, von der psychischen Dimension des Wohlergehens des Fötus' in Abhängigkeit von der Mutter und auch vom Vater. Leihmütter, speziell solche, die aus ökonomisch elenden Regionen und Situationen heraus dazu missbraucht werden, aber auch Eizellenspenderinnen werden ein erwartbar gleichgültiges Verhältnis zu dem gezeugten und werdenden Wesen in sich haben. Schon heute gibt es in der Bundesrepublik für auf diesem Weg geborene Kinder und ihre Mütter Spezialambulanzen, weil sich eine Menge psychischer Probleme einstellen kann. Was sagen dazu jene, die um die Diskriminierung einer 60-Jährigen mit Kinderwunsch besorgt sind?

Oder: was macht es mit der Generationenfolge, wenn die von 60-Jährigen oder noch Älteren Geborenen dann in der Adoleszenz allein auf sich selbst gestellt sind (die bisherige spanische "Weltrekordhalterin" Carmen Bousada de Lara, die mit 66 noch Mutter wurde, hinterließ ihre Kinder schon drei Jahre später als Waisen)? Wenn sie ihre Pubertätswickel mit 75- oder 80-Jährigen austragen müssen? Und nicht zuletzt: die Großelternschaft ist damit weitgehend abgeschafft. Kinderfreundlich?

Dazu kommt der in unserer Gesellschaft seit geraumer Zeit verbreitete Trend zur Emotionalisierung von Kindheit, der neben seiner positiven Seite (Rücksicht auf Kinder) auch eine Schattenseite hat: die "Benützung" der Kinder für das eigene emotionale Wohlbefinden, was die Betroffenen dann bei Psychotherapeuten als narzisstische Problematik thematisieren: Bin ich denn wirklich um meiner selbst geliebt worden -oder um meine Eltern zu erfreuen? Diese oft überschwängliche Elternliebe kommt fallweise mehr einer narzisstischen Ausbeutung gleich und hat einschneidende psychische Folgen für das Kind. "Kinderwunsch" ist, wenn er verschiebbar, "einfrierbar" und grenzenlos möglich wird, verstärkt dieser Gefahr ausgesetzt und hat mit "Kindeswohl" nichts mehr zu tun! Sollen wir das alles ignorieren und das Kinder-bekommen-Wollen zum unbegrenzten Volkssport der Fortpflanzungstechnologie bis ins hohe Alter machen?

Freuds "Prothesengott"

Der alte Freud hatte den nach Fortschritt strebenden Menschen, der sich zum Schöpfer seiner Welt und seiner selbst erhebt, als "Prothesengott" bezeichnet, der sich großartig fühlt, so lange er seine technischen Prothesen angelegt hat. Mir scheint es hier um einen Aspekt dieses Prothesengottes zu gehen: um die Frage der Machbarkeit und Grenzenlosigkeit und damit um die menschliche Hybris. Während "Grenzenlosigkeit" als Problem Heranwachsender beklagt wird, exerzieren uns die Spitzen der Wissenschaft und der Gesellschaft genau diese Grenzenlosigkeit vor. Die Botschaft lautet: Nichts hält uns auf, was machbar ist, kann auch gemacht werden. Und wer sich dagegen stellt, ist ein hoffnungsloser Konservativer. Es lebe der Fortschritt!

Der Autor ist Professor für Psychoanalytische Pädagogik an der Universität Innsbruck

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